„Ein guter Buchhändler ist unersetzbar!“
24.1.2014, 07:59 UhrBenedikt Rüssel sitzt in der Leseecke seines Ladens an einem ovalen Tisch mit Thonet-Lehnstühlen und erklärt die Situation: „Der Mietvertrag läuft Ende März aus. Wir haben uns gar nicht um eine Verlängerung bemüht.“ Die Miete sei jetzt schon — gemessen am Umsatz — zu hoch. Eine Mietsteigerung wäre nicht mehr tragbar gewesen. „Außerdem hätten wir den Laden dann renovieren müssen. An die 100000 Euro dafür in die Hand zu nehmen, ist einfach nicht drin.“
Derzeit arbeiten mit ihm noch drei Buchhändler als Vollzeitkräfte und zwei Teilzeitkräfte. Rüssel wird mit allen Mitarbeitern nach Altenfurt umziehen. Denn hier kommen viele seiner Kunden her. Er wird einen Laden mit ähnlicher Größe in der lebendigen Löwenberger Straße 10 beziehen, mit Parkplätzen direkt vor dem Haus.
In den besten Zeiten beschäftigte die Buchhandlung sogar neun Buchhändler. Zweimal wurde der 1969 gegründete Laden umgebaut und vergrößerte dabei seine Verkaufsfläche von anfänglichen 75 auf 200 Quadratmeter.
Dass er in das Geschäft seines Vaters Hans Rüssel einsteigen würde, war nicht geplant. Aber als dieser 1974 plötzlich mit 60 Jahren verstarb, brach Benedikt Rüssel sein Studium ab und übernahm die Buchhandlung.
Er ist Buchhändler mit Leib und Seele und auch als Literaturvermittler tätig. So kann man den 65-jährigen, groß gewachsenen, hageren Mann mit grauem Vollbart und Nickelbrille auch in der Kulturkellerei erleben, wie er mit anderen Buchhändlern und einem geladenen Gast über aktuelle Literatur debattiert, oder ihn in der Stadtteilbibliothek in Langwasser über neue Romane referieren hören.
An die Qualität seiner Buchhandlung stellt er große Ansprüche. Anders als manch anderer Buchhändler schaut er nicht nur auf die Verkaufszahlen. Denn dann würde die Auswahl schmäler und schmäler werden. Bestimmte Bücher müssen bei ihm einfach immer im Laden stehen.
Er ist begeistert von Nobelpreisträgerin Alice Munro und ihren genialen Kurzgeschichten, die er schon vor 15 Jahren für sich entdeckt hatte. Auf dem Tisch vor ihm liegen einige ihrer Bücher ausgebreitet, die er nur wärmstens empfehlen kann. Hinter ihm ist eine ganze Regalwand mit Karl-May-Bänden gefüllt. Er ist stolz, dessen Werk vollständig vorrätig zu haben.
Umsatz ging zurück
Als 2001 Hugendubel schräg gegenüber einzog, blieben seine Verkaufszahlen in den ersten Jahren zunächst gleich. Und er verlängerte sogar noch einmal seinen Mietvertrag. Doch unterdessen muss er Umsatzeinbußen von 25 Prozent hinnehmen. Internet-Geschäft, Wirtschaftslage, Konkurrenz? Woran es genau liegt, dass er nun gehen muss, kann Rüssel nicht sagen.
Center Manager Frank Kosterka bedauert, dass Rüssel, ein Mieter der ersten Stunde, Abschied nimmt, den er stets als sehr kompetent erlebt habe. Zur umstrittenen Platzierung von Hugendubel in unmittelbarer Nähe der kleinen Buchhandlung erklärt Kosterka, dass man die „Kompetenz im Buch- und Zeitschriftenhandel“ im Franken-Center ausbauen wollte, dabei aber im Hinblick auf die bestehende Buchhandlung auf eine „vertretbare Größe“ achtete, die damals „die Hälfte des Branchenüblichen“ betrug.
Durch sein Engagement und seine persönliche Note habe Rüssel es geschafft, auch in schwierigen Zeiten — Online-Handel und Digitalisierung der Bücherwelt — zu bestehen. Deshalb glaubt Kosterka an Rüssels weiteren Erfolg.
„Schade!“, sagen seine Kunden. Sonja Lilienberger ist Lehrerin an der Blindenschule in der Brieger Straße und schaute regelmäßig nach der Arbeit in die Buchhandlung, weil sie hier immer einige besondere Bücher fand. „Wir werden ihm dennoch die Treue halten und nach Altenfurt fahren“, sagt auch Almut Büttner, obwohl sie unterdessen in St. Johannis wohnt. Denn: „Ein guter Buchhändler ist unersetzbar!“ Sie kauft ihre Bücher ausschließlich nach seinen Empfehlungen. Genau wie ihre Mutter, die sie gerade begleitet und über 30 Jahre lang bei Rüssel einkauft.
Kundin Birgit Kraus sagt, sie kaufe alle Bücher ausschließlich bei ihm. Ihre krebskranke Tochter schrieb als Teenagerin für die Jugendbuchabteilung Leseempfehlungen und unterstützte damit Mitarbeiterin Laura Scheidig, deren Zusammenarbeit mit Kindergärten und Schulen preisgekrönt ist. Sie durfte dafür im Gegenzug die Leseexemplare behalten. „Wo gibt es sonst so eine persönliche Bindung? Es ist ein Verlust, dass er hier weggeht. Ich finde es furchtbar, dass diese Einkaufszentren überall gleich aussehen“, klagt Kraus.
Rosi Angerer war 1981 der erste Lehrling bei Rüssel und blieb. Jetzt wird sie schon ein wenig wehmütig. „Kürzlich machte ein Kunde sogar noch ein paar Fotos vom Laden und von Benedikt Rüssel, um sie seiner Mutter zu schicken“, erzählt sie.
„Natürlich ist der Umzug für mich ein Wagnis“, sagt Rüssel. Aber er freut sich schon darauf, bald endlich Tageslicht zu haben und abends in der Buchhandlung auch Veranstaltungen durchführen zu können, was im Franken-Center nicht möglich gewesen ist. Außerdem: Alice Munro, Karl May, die Leseecke und der große Ohrensessel kommen natürlich mit.
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