Eine Sternstunde im Nürnberger Konzertleben
12.3.2017, 19:15 UhrTod, Wiedergeburt, Erlösung, das Verhältnis des Menschen zu seinem Gott – es sind die existenziellen Themen, mit denen Gustav Mahler in seiner 2. Sinfonie ringt. Nicht nur die musikalischen Einflüsse Richard Wagners sind spürbar, in gewisser Weise hat Mahler mit der sogenannten Auferstehungssinfonie eine eigene Variante des "Parsifal" geschaffen – und fast wie nebenbei die Gattung der Sinfonie über Beethovens Gipfelbesteigung bei dessen Neunter zu neuen Höhen geführt. Die gewaltigen Ecksätze, ein großangelegter Schlusschor, der Einsatz von zwei Gesangsolistinnen, die Dauer von 90 Minuten und vor allem die üppige Instrumentierung machen Mahlers Zweite zu einer Herausforderung auch für deutlich größere Orchester als die Nürnberger Symphoniker mit ihren 56 Musikerstellen. Obwohl man in den beiden Konzerten am Samstag und am Sonntag in der Meistersingerhalle die Fassung von Erwin Stein spielte – sie reduziert die Instrumentierung etwas, ohne dass die Sinfonie erheblich an Wirkung einbüßt –, musste das Orchester deutlich verstärkt werden.
Der große gemischte Chor rekrutierte sich aus Singenden des Hans Sachs Chors, des Lehrergesangvereins und des Philharmonischen Chores Nürnberg. Das war zum Abschied Shelleys eine schöne symbolische Geste, waren hier doch Mitglieder jener Nürnberger Konzertchöre vereint, mit denen die Symphoniker traditionell zusammenarbeiten.
Das Monumentale dieser Sinfonie, das merkte man bereits im großen Kopfsatz, der unter dem Titel "Totenfeier" auch ein Eigenleben im Konzertbetrieb führt, bereitete den Symphonikern keine Schwierigkeiten: Shelley animierte seine Musiker, die sich immer wieder auftürmenden, zum Teil gewaltigen Steigerungen mit der nötigen Rücksichtslosigkeit zu spielen – ohne dabei unpräzise zu werden. Die große Mahler-Kunst aber beginnt in den lyrischen Passagen des Rückzugs, der solistischen Einsätze, der erneuten Sammlung, mit denen der Komponist – gleich einem musikalischen Sisyphos – den nächsten Sturm auf den Gipfel der (Selbst-)Erkenntnis vorbereitet. Hier braucht es die fahlen, düsteren Stimmungen eines Trauermarsches ebenso wie den lieblichen sonnenbeschienenen Ton des idyllischen Menuetts im 2. Satz – oder das groteske Irrlichtern der Antonius-Fischpredigt aus den Wunderhornliedern.
Auch bei diesen heiklen Klangfarben-Valeurs gelangen den Symphonikern viele große Momente im Kleinen und Leisen, manchmal fehlte es aber auch an der letzten Prägnanz. Was aber kein Wunder ist für ein Orchester mit wenig Mahler-Erfahrung und deshalb fehlenden eingespielten "Routinen" in den einzelnen Instrumentengruppen. Umso höher muss Shelleys Koordinations- und Animationsleistung bewertet werden.
Nach Marina Prudenskayas schön timbriertem, aber zu opernhaft maniriertem "Urlicht"-Solo machte Shelley den großen Schlussatz zu seinem Meisterstück. Mit klar und formbewusst formulierendem Chor (Einstudierung Gordian Teupke), Sopransolo (Ania Vegry mit schöner Höhe, aber viel Vibrato), kleinem Fernorchester vom Rang und musikdramatisch höchst wirkungsvoll ineinandergreifenden Steigerungen und Kontrasten (schade, dass Mahler nie eine Oper schrieb) wurde das Finale zu einem erfüllenden, auch dem geistigen Gehalt der Sinfonie gerecht werdenden Ereignis.
Ja, es war einer der größten musikalischen Momente in der Geschichte der Nürnberger Symphoniker. Ergriffenheit, dann Jubel und Standing Ovations. Das Publikum bejubelte das Vermächtnis von Alexander Shelley, auf dem der zukünftige Chefdirigent Kahchun Wong – der mit dem Orchester viel Mahler spielen will – getrost aufbauen kann.
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