Niedriger Preis um jeden Preis

18.6.2017, 17:28 Uhr
Niedriger Preis um jeden Preis

© Foto: Roland Fengler

Für 9,99 Ã von Nürnberg nach Verona fliegen, für 12,99 Ã nach London – eines ist sicher: Wir Verbraucher lieben es! Wo immer Billigflieger wie Ryanair oder Eurowings ihr Angebot ausbauen, heben die Passagierzahlen ab. In Franken ist das nicht anders als zuvor schon in Köln/ Bonn und Berlin-Schönefeld.

Nur: Wie sind solche Preise an der Grenze zur Redlichkeit möglich?

Die Geschichte beginnt in den 90er Jahren, als die EU-Kommission den Himmel über Europa öffnet und die alten Staatsairlines à la Air France und Lufthansa von der weichen Monopol-Wolke schubst. Smarte Unternehmertypen wie Ryanair-Chef Michael O’Leary erkennen die Chance und attackieren den Markt mit einem für den Kontinent neuen Geschäftsmodell: Hangar auf für den Billigflieger!

Deren Manager haben es im Knausern und Knapsen zu ungeahnter Meisterschaft gebracht. "Die Billigflieger können so günstig sein, weil sie selbst Kosten haben, die um zirka 50 Prozent unter denen der alten Anbieter liegen", erklärt Richard Klophaus, Professor für Aviation Management an der Hochschule Worms.

Für dieses Ziel drücken sie auf ähnlich viele Knöpfe wie ein Pilot im Cockpit. Das fängt mit einer einheitlichen, jungen Flotte an. Ryanair beispielsweise fliegt über 360 Maschinen, weitere 305 sind bestellt — und alle sind sie eine Boeing 737-800. Easyjet setzt allein auf die A320-Familie aus dem Hause Airbus. "Im Einkauf, in der Ausbildung, in der Wartung, überall spart das Geld", sagt Klophaus.

Dazu bestuhlen Low-Cost-Carrier (LCC) — so der Fachbegriff — ihre Flieger maximal eng, wie jeder weiß, der sich schon mal in so eine Reihe gefaltet hat. Und vor allem: Sie füllen diese Sitze. 2016 waren Ryanair-Flieger zu 93 Prozent ausgelastet, Lufthansa-Flüge nur zu 79,1 Prozent. Schließlich sind Billigflieger anteilig auch länger in der Luft, denn nur dort verdient eine Maschine Geld. Noch einmal das Beispiel Ryanair: Tagsüber heben die Iren im Schnitt 25 Minuten nach der Landung wieder ab — die Konkurrenz hat da manchmal den letzten Koffer noch nicht ausgeladen.

Ein struktureller Vorteil für Billigflieger ist, dass sie wenig Langstrecke anbieten und somit kein kompliziertes Netzwerk brauchen, sondern jede Verbindung für sich optimieren können. Kein Flieger muss Rücksicht auf irgendwelche Umsteiger nehmen. Und eine Strecke, die sich nicht sofort rentiert, wird sowieso schnell wieder gecancelt. Lufthansa oder Air France, die hungrige Hubs wie Frankfurt und Paris zu füttern haben, können das nicht. Ihr Angebot ist komplexer.

Im Vergleich zur Konkurrenz kräftig gespart wird bei den LCC auch bei den Personalkosten, etwa den Piloten. Den Rest erledigt das Marketing. Tatsächlich für weniger als 20 Ã in den Urlaub abheben, wie es von den Werbeplakaten schreit? Nach einer Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) lag in diesem Frühjahr der am Ende tatsächlich gezahlte Durchschnittspreis für eine Strecke bei WizzAir bei 43,84 Ã, bei Ryanair bei 54,37 Ã, bei Easyjet bei 60,42 Ã. Immer noch günstig, aber mit den Lockangeboten nur locker verwandt.

Für eine Handvoll Euros mehr

Denn: Die Super-Sparpreise gibt’s nur für sehr frühe Bucher — gratis Umtausch ausgeschlossen. Streng kontingentiert sind die Tickets auch. Ein Koffer oder gar ein Schnittchen an Bord kosten eh extra. Und ob es für den Rückflugtag ebenfalls noch Schnäppchen-Tickets gibt? Der Varianten, den Kunden um weitere Euro zu erleichtern, sind viele.

Diese ist zudem am besten über die Airline-Homepage zu erledigen, während alle anderen Wege schnell noch komplizierter oder teurer werden — gerne beides. Der Vertrieb über die eigene Website spart den Billigfliegern weitere Kosten etwa für Reisebüros. "Pro Buchung können das durchaus zehn Euro sein", erläutert Klophaus, "das ist eine ganze Menge."

Das alles summiert sich. So sehr, dass Billigflieger trotz ihrer niedrigen Preise Renditen von um die zehn Prozent einfliegen, während die Konkurrenz oft nur ein bis drei Prozent schafft. Was nicht heißt, dass nicht doch jemand für diesen Erfolg bezahlt. Die Mitarbeiter zum Beispiel mit diskutablen Arbeitskonditionen. Oder die Umwelt und die Flughafen-Anwohner. Die billigen Preise schaffen einen Markt, wo vorher gar keine Nachfrage war — und damit Extra-Verkehr über den natürlichen Bedarf hinaus.

Den Aufstieg der Billigflieger dürfte das aber kaum aufhalten. In Zufriedenheitsrankings landen sie zwar meist auf den hinteren Plätzen. Doch für die Preise verzeihen ihnen ihre Kunden offenbar nahezu alles. "Die Deutschen würden für billige Flüge nackt über Glasscherben kriechen", gab O’Leary mal zum Besten. Laut DLR-Studie liegt der Marktanteil von Ryanair, Easyjet & Co. in Deutschland aktuell bei 23 Prozent — und das ist noch relativ wenig. In ganz Europa sind es schon 29 Prozent.

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