Leitartikel: Deutsche Autobauer sind sich selbst der Feind
15.9.2017, 20:10 UhrBlitzendes Blech, garniert mit schönen Frauen und beschallt von Branchenmanagern, die noch jedes banale Alltagswägelchen anpreisen, als hätten sie gerade das Auto neu erfunden: Eigentlich ist auf der 67. Internationalen Automobil-Ausstellung alles wie immer. Und das ist beängstigend.
"Größte Veränderung seit Jahrzehnten", "radikaler Wandel" oder jetzt zu treffende "lebenswichtige Entscheidungen": In so gut wie jeder Prognose über die kommenden Jahre der Autoindustrie fallen Formulierungen wie diese — und da ist der Dieselskandal nicht mal eingepreist. Die Trends zu alternativen Antrieben und zur Digitalisierung der Mobilität bis hin zum vollautomatisierten Fahrzeug und neuen Konkurrenten der Gewichtsklasse Google reichen schon.
Die Frage ist auch gar nicht mehr, wann dieser Wandel kommt — er läuft bereits. Tesla oder die Post mit ihrem Streetscooter sind die Vorboten, und es stimmt nachdenklich, dass beide Projekte von den deutschen Autobauern einst als unmöglich (Tesla) respektive unter ihrer Würde (Post) belächelt wurden. Überheblichkeit ist eher selten ein Begleiter von Erfolg.
Eine Milliarde, zwei Milliarden, zig Milliarden Euro: Zwar werden die Versprechen zu den Forschungsgeldern, die "in den nächsten Jahren" in die Megatrends fließen sollen, immer fantastischer. An den Messeständen des VW-Konzerns, bei Daimler und — mit Abstrichen — BMW aber sieht man dann doch von IAA zu IAA überwiegend Bekanntes, zeigt sich das Mantra vom Schneller, Stärker, Fetter quicklebendig — gerade ob der SUV-Flut.
Auf Realitätsflucht
Noch stärker als dieser offenkundige Mangel an zukunftssicherem Portfolio verstört die Geisteshaltung, die aus den begleitenden Äußerungen gerade deutscher Automanager in Frankfurt spricht. Bedrückend deutlich wird das am Beispiel des Abgasskandals. Von Demut, Selbstkritik oder gar Reue keine Spur. Alle anderen sind schuld an der Glaubwürdigkeits- und Vertrauenskrise der Branche. Böse Mächte, die schon lange den Untergang des Autos herbeisehnten und Deutschland ins Unglück stürzen wollen. Die Verbraucherschützer, die Ökos, die Medien, wer auch immer — suchen Sie sich was aus.
Die Autoindustrie nicht Täter, sondern Opfer? Das ist so surreal, dass es nicht mal zur Legendenbildung taugt. Legenden haben wenigstens einen wahren Kern. Mit dieser Art der Realitätsverweigerung sind sich die deutschen Autobauer selbst ihr größter Feind. Denn nur, wer ehrlich zu sich selbst ist, kann eigene Fehler analysieren und die Ursachen abstellen.
Ingenieure ausgebremst
Der Rückstand zu einigen Rivalen bei den Megatrends ist ärgerlich, aber er ist noch nicht uneinholbar. Alternative Antriebe und Digitalisierung müssen für den VW-Konzern, BMW und Daimler ein Riesengeschäft werden — und können es auch. Sie beschäftigen Ingenieure, die niemandem mehr beweisen müssen, dass sie zu den besten der Welt gehören, und haben schlagkräftige Zulieferer als Bonus.
Doch es ist nicht das fehlende Know-how der Mitarbeiter, sondern der zu schwache Wille zum Wandel in den Vorständen, der die deutsche Autoindustrie ausbremst. Und es ist schon erstaunlich, wie wenig sie, die ertappten Trickser, mit ihrem selbstverliebten Auftreten dafür tun, Vertrauen zurückzugewinnen. Wie irrational. Legen Studien doch nahe, dass etwa beim automatisierten Fahren gerade Vertrauen und Glaubwürdigkeit der Schlüssel sein werden, ohne den Erfolge nicht möglich sind.
Es ist noch nicht lange her, da dachte man, diese Werte sollten eigentlich für Deutschlands Autobauer sprechen. Doch sie haben sich verwundbar gemacht, ohne Not. Umparken im Kopf: Man würde sich wünschen, die heimischen Hersteller würden anfangen, auf ihre eigenen Werbesprüche zu hören.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen