"Tatort Nürnberg": Dreifachmörder schluckte im Streifenwagen Zyankali
27.1.2019, 05:58 UhrMit einem Arm fing alles an. Der 9. März 1958 ist ein Sonntag. Schnee liegt über der Stadt, die milden Temperaturen drängen die weiße Decke aber allmählich zurück. Es beginnt die Zeit der Wahrheit, was eben noch darunter versteckt lag, kommt ans Licht. Auch der Arm von Maria P. Entdeckt hat ihn eine Spaziergängerin im Wald bei Nürnberg-Moorenbrunn. Die Polizei schaufelt schließlich so viel Schnee weg, bis der ganze Körper zu sehen ist. Im Mund der 62-Jährigen steckt ein Knebel, um ihren Hals hängt ein Kabel. Gerichtsmediziner stellen fest: P. ist Opfer eines Mordes geworden.
Ihre Identität ist zunächst noch unbekannt. Erst ein Abgleich mit der Liste vermisster Personen und der Blick von Angehörigen auf die Leiche räumen jeden Zweifel aus. Wie aus Polizeiakten hervorgeht, war die Frau aus Gera bei einer wohlhabenden Nürnberger Familie in der Arminiusstraße als Hausangestellte tätig. Am 20. Dezember verließ sie Hals über Kopf den Arbeitsplatz: Der Tisch war gedeckt, geschälte Kartoffeln lagen auf einem Teller, das Messer daneben. Warum musste die eher mittellose Hausangestellte sterben? Die Kripo kommt bald nicht mehr weiter, auch Hinweise aus der Bevölkerung laufen ins Leere.
Alle Fälle der Serie "Tatort Nürnberg"
Monate später, im August desselben Jahres, macht dann ein Pilzsammler zwischen Fischbach und dem Nürnberger Ortsteil Birnthon einen grausigen Fund: eine männliche Leiche im Unterholz. Dem Toten fehlt der linke Unterarm, der durch eine Prothese ersetzt war. Ein Kriegsversehrter. Diese Tatsache und ein Abgleich mit den gemeldeten Vermissten hilft den Polizisten bei der Identifizierung der Leiche. Denn drei Wochen zuvor war der 36-jährige Matthias N. spurlos verschwunden. Das besondere Merkmal: N. fehlt der linke Unterarm. Todesursache war ein Geschoss, das seinen Kopf durchbohrt hatte. "Die tödliche Kugel hat N.s Kopf völlig durchschlagen; sie trat an der rechten Schläfe ein, während sich die Ausschussöffnung hinter dem linken Ohr fand", berichteten die Nürnberger Nachrichten am 11. August 1958.
Stofffetzen im Mund
Bei der Obduktion entdeckt der Gerichtsarzt außerdem einen Stofffetzen in N.s Mund. Der oder die Mörder hatten vor dem tödlichen Schuss ihr Opfer geknebelt — wie bei Maria P., deren Leiche Monate zuvor nicht weit von N.s Fundort entfernt lag.
Jetzt aber konzentriert sich die Suche der Polizei auch auf N.s Vermieterin, Elisabeth W. Bei ihr wohnte er zur Untermiete im Kirchenweg. Auch von ihr fehlt jede Spur. Zeugen berichteten, dass sie von zwei Männern, die sich als Kriminalbeamte ausgaben, Besuch hatte. Die Männer zeigten ihre Dienstausweise und wollten N.s Räume durchsuchen. Der Vermieterin kamen diese Gestalten allerdings merkwürdig vor, sie wimmelte die Männer ab. Klar ist: Die (echte) Polizei weiß von so einem Einsatz nichts, sie geht von falschen Kripobeamten aus. Doch was wollten sie von N.?
Arm im Teich bei Lauf gefunden
Nur eine Woche später sorgt eine neue Meldung für helle Aufregung. An der Wasseroberfläche eines Teiches bei Lauf taucht ein Arm auf, als der Pächter des Weihers mit der Sense das auf dem Gewässerbodens wuchernde Unkraut abmäht. Der Ring am Finger des Körperteils führt zur traurigen Gewissheit, dass es sich um den Arm der ebenfalls verschollenen Vermieterin Elisabeth W. handelt.
Der öffentliche Druck auf die Ermittler wächst immens. Drei ungeklärte Morde innerhalb weniger Monate. Eine Sonderkommission mit 22 Beamten wird gegründet, am Ende werden sie fast 2000 Spuren abgearbeitet haben. Doch in diesen Augustwochen sind Polizisten und Feuerwehrleute erst einmal damit beschäftigt, den Teich und das Gebiet um den Fundort des Armes zu durchkämmen, auf der Suche nach der Leiche. Knapp 100 Meter vom Teich entfernt finden sie die sterblichen Überreste von Elisabeth W. im Unterholz. Todesursache: ein Schuss in den Kopf.
Portrait-Skizze eines Verdächtigen
Die öffentliche Fahndung läuft auf Hochtouren, Dozenten der Akademie der bildenden Künste fertigen auf der Basis von Täterbeschreibungen eine Porträt-Skizze eines Mordverdächtigen an, die Zeitungen veröffentlichen.
Während der Ermittlungen in diesem mysteriösen Fall gerät ein Beweismittel immer stärker in den Fokus: das Sparbuch des ermordeten N. Nach Angaben eines Mitarbeiters der Sparkasse hatte ein Mann am 22. Juli versucht, das komplette Sparbuch abzuräumen — 20 000 Mark. Die Summe war aber zu hoch, der Bankmann bestand darauf, dass der Inhaber, Matthias N., das Geld persönlich abheben solle. Wie sich später zeigte, war der 36-jährige N. zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Der Unbekannte verließ die Bank, das Sparbuch ließ er zurück. Klar war: N. hatte seiner Ehefrau am Vorabend des 22. Juli erklärt, er müsse morgen zu einem Geschäftspartner. Spätere Ermittlungen ergaben, dass N. in Inseraten Darlehen anbot. Der Kontakt zu seinem Mörder ist auf diese Weise entstanden. Am Vormittag des 22. Juli stand ein Mann vor N.s Türe. Ausgemacht war, dass dieser ihn mit seinem Sparbuch zu einem Makler fährt, der N. erläutern soll, wie er sein Geld gewinnbringend anlegen könne.
Körper in der Erde verscharrt
Doch N. stieg in den Wagen seines Mörders. Er ist es, der nach der Tat mit dem Sparbuch in der Sparkasse auftaucht. Die Kripo geht zu diesem Zeitpunkt von zwei Tätern aus, die noch am selben Tag Elisabeth W. ermordeten. Denn die 65-Jährige kannte die beiden Unbekannten, sie gaben sich ja als Kriminalbeamte aus. Den Tätern war klar: Die Vermieterin könnte ihnen Schwierigkeiten bereiten. Die Rekonstruktion ergab auch, dass sie die Leiche von W. zunächst im Waldteich versenkten, was ihnen wohl zu heiß wurde. Die Nürnberger Nachrichten berichteten: "Und da sie fürchteten, dass durch die Bewegung des sonst stillen Gewässers die von ihnen versenkte Leiche zum Vorschein kommen könnte, holten sie sie im Schutze der Nacht wieder aus ihrem Grab hervor." Dabei riss einer der Täter W.s Arm ab, den Körper verscharrten sie einige Meter weit vom Weiher entfernt unter einer Kiefer.
Ende August geraten die Ermittlungen wieder ins Stocken. Bis zum 12. Oktober. Ab dann geht‘s Schlag auf Schlag. Den Anstoß liefert der Anruf aus einer Druckerei in der Jagdstraße bei der Polizei. Denn dort will an diesem Tag ein gewisser Otto R., der sich mit einem gefälschten Dienstausweis als Verwaltungsinspektor Heinrich Mack ausgibt, einen Auftrag erteilen, der einer Mitarbeiterin suspekt vorkam: Große Mengen von Urlaubsmarken der gemeinnützigen Urlaubskasse für das Baugewerbe wollte der Betrüger drucken lassen. Die Sparmarken hätte er dann bei Sparkassen gegen Bares eingetauscht. Eine Streife rückt an und nimmt R. fest, der als Betrüger polizeibekannt ist. Dann aber passiert etwas völlig Unerwartetes: Im Streifenwagen schluckt R. unauffällig Zyankali und stirbt wenig später auf dem Weg ins Krankenhaus.
Drei Pistolen gefunden
Dass der aufgedeckte Betrug der Anlass für den Selbstmord ist, glaubt niemand. Als die Polizei R.s Haus in Fischbach durchsucht, wird klar, wer seinem Leben ein Ende gemacht hat: der gesuchte Dreifachmörder. Die Polizei findet in seinem Wagen drei Pistolen vom Kaliber 7,65 mm, eine Handfeuerwaffe Kaliber 0,22 mit Schalldämpfern. Im Haus entdeckt sie ein Kleinkalibergewehr, große Mengen Munition, zig gefälschte Dienstausweise und Zyankali. In R. Brieftasche steckt auch das Passfoto eines Mannes, der später als Richard M. identifiziert wird — ein Mann mit langem Vorstrafenregister. Mit dem Foto sollte R. einen weiteren gefälschten Polizei-Dienstausweis herstellen. Die Ermittler weisen M. nach, dass er R.s Komplize war. Jahre später starb der verurteilte Mörder im Gefängnis. Otto R., der in den 30er Jahren SA-Mann war und später auch als Fremdenlegionär in Nordafrika diente, war der Kopf des Duos, M. nur sein Handlanger.
Was aber geschah mit Maria P. dem ersten Opfer? Die Ermittler kommen zu dem Schluss, dass sie als mögliche Zeugin einer geplanten Entführung und Ermordung ihrer Chefin getötet worden war. Aus dem Komplott gegen die Chefin wurde aber nichts. Warum? Das bleibt im Dunkeln.
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