Über den Zauber des Zerbrechens
4.4.2019, 19:38 Uhr"Sie läuft ja wie ein offenes Rasiermesser durch die Welt", hat Musikjournalist Harald Inhülsen Nicos verstörenden Lebenswandel kommentiert. Wie auch immer: egal ob Berlin, New York oder Paris – wo die als Christa Päffgen in Köln geborene, zierliche Frau auftauchte, scharte sie spannende Leute um sich.
Bob Dylan schrieb ihr den Song "I’ll be your mirror". Auch die Rolling Stones und Led Zeppelin zählten zu den zeitweiligen Gefährten dieser Gefährtin der Gefahr. Sie blieb im Lauf ihrer krassen Karriere zwischen Kunst und Selbstzerstörung, Leuchten und Traurigkeit eine Ikone und ein ewiges Rätsel gleichermaßen.
Dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, die schlussendliche Wahrheit über die oft verklärte Meisterin der Mythen herauszufinden, ist Manfred Rothenberger vom Nürnberger Institut für moderne Kunst schon klar. Dennoch brennt er seit zwei Jahren für sein Projekt "Nico – Wie kann die Luft so schwer sein an einem Tag an dem der Himmel so blau ist". Der melancholische Titel zitiert einen Satz der Autorin Juliane Liebert. Zum Finale der Ausstellung im Galeriehaus Defet soll dann Rothenbergers Buch über Nico erscheinen, das erstmals auf Deutsch veröffentlichte Interviews, rare Fotografien, Gedichte und Beiträge von Wegbegleitern enthält.
Unter anderem kommt der Berliner Musiker Lüül von der Band "17 Hippies" darin vor. Als Nicos viel jüngerer Liebhaber teilte er jahrelang Dramen und Leben mit ihr. Eine Zeit lang kam das wilde Paar sogar bei Lüüls Eltern unter. Im Erdgeschoss soll Lüüls Mutter ahnungslos Suppe geköchelt haben und Nico oben Drogen.
Parallel zur Buchpremiere ist Rothenberger und seinem Team eine vielseitige Schau geglückt. 30 renommierte Künstler wie Rosemarie Trockel, Jonathan Meese, Olaf Nicolai und Jutta Koether reagierten auf seine Anfrage und schickten Kunst nach Nürnberg, die um die Licht- und Schattengestalt Nico kreist.
Der Fürther Künstler Andreas Oehlert hat den Ausstellungsraum mit Gespür kuratiert. Wände in fünf unterschiedlichen Grau- und Blautönen sind jetzt der Hintergrund einer Schau von zuweilen gespenstischem Inhalt.
In Gabi Trinkaus’ Nico-Porträt "I stand in ruins behind you" stecken dem Star eine Stecknadel und eine Perlennadel in den Pupillen. Die Schöne und die Sucht. Von Olaf Nicolai stammt eine Dornenkrone mit dem doppeldeutigen Schriftzug "Héroine" darüber. Aber auch Oehlerts eigener Beitrag als Künstler besticht. In seiner Fotoarbeit "Stagebeauty14" liegen zwei zart schimmernde Seifenblasen gefesselt in Ketten und berühren die Flüchtigkeit des Glanzes.
Der provokanteste Beitrag wiederum wurde von "Kitti & Joy" eingereicht, einem Duo, das auf den Pop-Kunst-Kommerz buchstäblich "pisst". Heiliges Blech! Ihre Bodeninstallation besteht aus Kupferplatten in Kruzifix-Form, auf denen sich oxidierte Urinflecken und Geldmünzen abzeichnen. Was für ein Kontrastprogramm zu den makellosen Modemagazinen mit Bildern der jungen Nico darin – , die sich irgendwann in den verzweifelten Satz rettete, dass sie nicht mehr schön sein wolle.
Es gibt auch Musik und Sammlerstücke in der Schau über den Zauber des Zerbrechens. Ein Plakat erinnert an Nico als Sängerin in Nürnberg, zuletzt trat sie 1988 in der Zabo-Linde auf. Kurz vor ihrem tödlichen Fahrradunfall auf Ibiza – als die Seifenblase für immer zerplatzte.
Institut für moderne Kunst im Galeriehaus Defet, Gustav-Adolf-Straße 33, Nürnberg. Bis 6. Juli, Sa./So. 12–17 Uhr sowie nach Vereinbarung unter Tel. 09 11/2 40 21 20.
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