"Christsoziale Laternen gibt es nicht"

29.1.2020, 19:58 Uhr

© Archivfoto: Matthias Kronau


Herr Dr. Winkelmann, gibt es eine Faustregel bei der Parteipolitik auf kommunaler Ebene?

Dr. Winkelmann: Die Parteiendurchdringung in den Parlamenten ist in der Regel von der jeweiligen Größe der Kommune abhängig. Dabei gilt: Je kleiner die Stadt oder Gemeinde ist, desto weniger wichtig ist die Parteipolitik in Stadt- oder Gemeinderat.

Statt Parteiprogrammatik oder Ideologie stehen in der Kommunalpolitik also vor allem Sachthemen im Vordergrund. Woran liegt das?

Dr. Winkelmann: Auf lokaler Ebene sind die Politiker viel näher dran an den Problemen der Bürger; für Ideologie ist oft schlicht kein Platz. Es gibt schließlich keine christsoziale oder grüne Straßenbeleuchtung, sondern nur eine, die funktioniert – oder eben nicht. Nur so ist es zu erklären, dass es auf lokaler Ebene vorkommen kann, dass sich FDP-Stadträte für die Rekommunalisierung, also das Rückgängigmachen der Privatisierung zuvor öffentlich-rechtlicher Aufgaben, einsetzen oder Linke für die Privatisierung von Kommunalbetrieben. Auf Bundes- oder Landesebene wäre das schier undenkbar.

Wie läuft es in Großstädten in den Ratssälen?

Dr. Winkelmann: Denken Sie an München oder Nürnberg. Dort werden die Stadtratssitzungen bei ausgewählten Themen durchaus als parteipolitische Bühne genutzt. Zugleich gelten dort die Ämter der (Ober-)Bürgermeister oder Referenten als Prestigeposten, die – je nach Kräfteverhältnis – gezielt mit Personen mit einem bestimmten Parteibuch besetzt werden. Gerade in Wahlkampfzeiten können sich in Großstädten durchaus ideologische Grabenkämpfe zwischen Kandidaten unterschiedlicher Parteien zeigen. Zuletzt zu sehen war das beispielsweise in der Hansestadt Hamburg.

Im Gegensatz zur beispielsweise kleinen Großstadt Erlangen: Der Finanzreferent gehört der CSU an, ist aber seit fast sechs Jahren Teil der Regierung eines rot-grün-gelben Rathausbündnisses.

Dr. Winkelmann: Hier steht ganz offensichtlich das Sachthema, zum Beispiel eine solide Finanzpolitik, im Zentrum, nicht die Parteizugehörigkeit des Referenten. Neben den relevanten Themen und der Bindung an eine Partei spielt im Kommunalen beim Wahlverhalten die zur Wahl stehende Person und ihre Persönlichkeit eine sehr zentrale Rolle. Das spiegelt sich auch im Wahlsystem wider.

Wie denn?

Dr. Winkelmann: Die süddeutsche Ratsverfassung, die auch in Bayern gilt, sieht vor, dass (Ober-)Bürgermeister direkt gewählt werden. Dessen Rolle ist eine sehr gewichtige, als Leiter der Gemeinde- oder Stadtverwaltung und als Vorsitzender des Stadt- oder Gemeinderats. Durch die direkte Wahl hat der Amtsinhaber eine viel höhere Legitimation durch den Bürger als bei einem repräsentativen System.

© Foto: Giulia Iannicelli/FAU

Woran lässt sich noch die zentrale Bedeutung der Person bei der Kommunalwahl ablesen?

Dr. Winkelmann: Gerade in Phasen des Wahlkampfes kann man gut beobachten, wie mancher Kandidat versucht, bei jeder Gelegenheit – und sei es die Einweihung einer Bushaltestelle – mit auf das Foto zu kommen, das dann in der Lokalzeitung veröffentlicht wird. Deshalb kann der Wahlkampf gerade auf der kommunalen Ebene sehr zeitaufwendig und anstrengend sein. Im Lokalmedium möglichst oft zu sehen zu sein, scheint im Kommunalen nach wie vor die entscheidende Bühne zu sein. Spannend – Stichwort: Bühne – ist es auch, sich die Social-Media-Auftritte der Kandidaten anzusehen.

Wie sieht es mit Ausnahmen aus?

Dr. Winkelmann: Bei der Bedeutung der zentralen Rolle, die der jeweilige Politiker selbst spielt, gibt es auch Einschränkungen. Jemand, der den Linken oder den Grünen angehört, wird es in Oberbayern traditionell eher schwerer haben gewählt zu werden, als andernorts im Freistaat – ganz gleich, um wen es sich handelt.

Auf Bundes- oder Landesebene bauen Parteien in der Regel ihre eigenen Kandidatinnen oder Kandidaten für politische Ämter auf. Wenn das Parteibuch auf kommunaler Ebene eher von untergeordneter Bedeutung ist, was zählt dann in kleineren und mittleren Städten besonders?

Dr. Winkelmann: Wer dort (wieder-)gewählt werden möchte, benötigt andere Netzwerke als eine Partei – sei es die Familie, Verbände oder Vereine, in denen der Kandidat Mitglied ist. Die geringere Bedeutung der Parteipolitik auf kommunaler Ebene zeigt sich gut an den so genannten Rathausparteien, wie zum Beispiel den Freien Wählern, oder auch an unabhängigen Kandidaten, die – wenn sie gut vernetzt sind – gute Chancen haben, in die Kommunalparlamente gewählt zu werden und dort – obwohl sie nur eine kleine Gruppe sind – thematische Akzente zu setzen.

Zum Beispiel?

Dr. Winkelmann: Bei den Diskussionen um die Stadt-Umland-Bahn (eine geplante Straßenbahn von Nürnberg über Erlangen nach Herzogenaurach, d. Red.) setzten die Freien Wähler im Landkreis Erlangen-Höchstadt auf eine Bürgerbefragung, so dass das Infrastrukturprojekt – nicht um jeden Preis und nicht über die Köpfe der Bürger hinweg, wie es hieß – durchgesetzt werde. Letztlich stieg der Landkreis nach einem Bürgerentscheid aus dem Projekt aus.

Analog zur Landes- oder Bundespolitik legen auch im Kommunalen die Vertreter der Parteien gerade bei zentralen Fragen Wert auf Fraktionsdisziplin. Wie passt das zum Mandatsträger, der – Stichwort: freies Mandat – eigentlich nur seinem Gewissen verpflichtet ist?

Dr. Winkelmann: Selbst wenn die Fraktionsdisziplin genau aus diesem Grund sehr kritisch gesehen wird, muss – wenn es um konkrete Beschlüsse geht – die Handlungsfähigkeit parlamentarischer Gremien sichergestellt sein. Insofern sind Absprachen oder Verhandlungen vor Abstimmungen normal. Trotzdem tut es der Demokratie gut, wenn das Feld nicht nur Parteien überlassen wird.

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