21. September 1968: Gerichtssaal geräumt

F. H.

21.9.2018, 07:00 Uhr
21. September 1968: Gerichtssaal geräumt

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Nach genau einer Stunde war Amtsgerichtsrat Paul Helldörfer mit seiner Geduld am Ende. Er ließ den überfüllten Saal von der Polizei räumen. Die Demonstranten stimmten die "Internationale" an und verließen langsam das Sitzungszimmer.

Als es sich die jugendlichen Revoluzzer auf der Treppe bequem machen wollten, versuchten die Beamten, das "Go-out" zu beschleunigen: Dabei kam es zu einem Handgemenge zwischen Ordnungshütern und Demonstranten, das die Polizei entschlossen beendete. Sie beförderte die Jugendlichen, die sich heftig wehrten, an die frische Luft.

Das Interesse der aufgebrachten Protestierer galt einem 19jährigen Buchhändlerlehrling aus Gaulnhofen im Landkreis Schwabach, der an den Zwischenfällen beim SPD-Parteitag im März dieses Jahres vor der Meistersingerhalle beteiligt und wegen Landfriedensbruchs angeklagt war. Seine Anhänger kamen aus den Reihen des Republikanischen Clubs, der berüchtigten "Rockers-" und "Blue Angels"-Bande, die sofort zur "Aktion" übergingen. Händeklatschen dröhnte durch das Justizgebäude, als der Vorsitzende mit dem Strafgesetzbuch unterm Arm in den Verhandlungsraum schritt.

Amtsgerichtsrat Helldörfer versuchte, die "Bombe" Im Zuhörersaal auf gütliche Art zu entschärfen. "Was soll das?", fragte er und erhielt aus der Runde prompt die Antwort: "Wir heißen Sie damit herzlich willkommen." Als die Störenfriede keine Ruhe gaben, reagierte der Vorsitzende scharf. "Noch eine solche Kundgebung", erklärte Helldörfer kompromißlos, "und Sie erleben den Ausgang des Prozesses nicht mehr!" Er begnügte sich allerdings, eine Stunde lang mit dem Rausschmiß nur zu drohen.

Bis der Vorsitzende um 15 Uhr von seinem Hausrecht Gebrauch machte, mußte er sich allerhand anhören: Hohngelächter für die Polizeibeamten im Zeugenstand, Pfuirufe und Pfiffe für den Staatsanwalt sowie pausenlose Zwischenrufe. Als der Amtsgerichtsrat kurz hintereinander vier Demonstranten vor die Tür geschickt hatte ("der war‘s, der mit der Brille und dem Pullover"), stimmte die Menge die "Internationale" an. Paul Helldörfer hielt das Zeichen für gegeben, den Saal von der Polizei räumen zu lassen. Genau sieben Minuten später war der Spuk vorbei, bei dem es allerdings zu Tätlichkeiten auf beiden Seiten kam. Vor dem Gebäude machten die Protestierer noch einige Zeit ihrem Ärger lautstark Luft. Sie riefen im Chor "Klassen-Justiz", "Seht euch diese Typen an" und drohten mit Dienstaufsichtsbeschwerden gegen einige Beamte.

"Wann rebellieren die Schüler?"

Im Saal ging indes die Sitzung ohne Störung über die Bühne. Der 19jährige Buchhändler-Lehrling gab zu, bei einer Zusammenrottung am SPD-Parteitag teilgenommen und ein Plakat mit der Faust beschädigt zu haben. Der Vorwurf, auch nach einem Polizisten geschlagen und das Transparent angezündet zu haben, konnte nicht aufrechterhalten werden. In Blome-Manier überstand der Jugendliche den Prozeß: er durfte während der Verhandlung sitzen bleiben; er folgte ihr ohne großes Interesse. Als der 19jährige von Zeugen belastet wurde, las er gelangweilt einen Aufsatz. Thema der Lektüre: "Wann rebellieren die Schüler?"

Erster Staatsanwalt Dr. Friedrich Rößler betonte in seinem Plädoyer, der Angeklagte habe sich des Landfriedensbruchs schuldig gemacht. Er bescheinigte ihm politische Unreife und verlangte eine Verurteilung nach dem Jugendstrafrecht. "Wenn die Strafe einen erzieherischen Zweck haben soll", meinte der Anklagevertreter, "dann sind vier Wochen Dauerarrest nicht zu lange." Rechtsanwalt Wolfgang Kauper plädierte dagegen nur für Freizeitarrest. Der Vorsitzende folgte jedoch dem Antrag des Staatsanwaltes, milderte die Strafe allerdings auf drei Wochen.

Der 19jährige Lehrling blieb auch nach der Urteilsverkündung bei seiner Meinung. "Gewalt", so formulierte er seine These, "halte ich für ein Mittel, um eine Demokratisierung der Bundesrepublik zu erreichen."

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