Die Integration von Geflüchteten hat viel Kraft gekostet
16.11.2018, 19:51 Uhr"Wir waren so naiv." Gerhard Springs sagt diesen Satz mehrfach, nicht seufzend, nur feststellend. Der Personalchef des Landmaschinenherstellers Horsch berichtet, wie das Abenteuer begonnen hatte. 2015 stand eine Gruppe unbegleiteter junger Geflüchtete in Schwandorf buchstäblich auf der Straße. Da müsse die Firma doch was tun, meinte Inhaber Michael Horsch. "Bildet mal 25 Jugendliche aus", sagte er seinen Leuten.
25 wurden es dann nicht. Aber zehn junge Leute aus Afghanistan, der Elfenbeinküste, Eritrea und anderen Ländern begannen eine verkürzte Lehre zur Fachkraft Metalltechnik. "Die üblichen Abläufe und Tests kann man vergessen, wir haben alles angepasst", erinnret sich der Personalleiter. Die Ausbildungsdauer wurde heruntergeschraubt, so dass die jungen Männer die Lehre durchhalten können, bevor es ans Geldverdienen geht. Und eine Sonderklasse in der Berufsschule plus Nachhilfekraft eingerichtet sowie eine Wohngemeinschaft auf Zeit angeschoben.
"Naiv" sei die Firma gewesen, als sie sich notgedrungen mit dem Papierkrieg befasst hatte. Springs: "Wir hatten mit Behörden zu tun, von deren Existenz wir bis dato nichts wussten."
"Plötzlich Lebensbegleiter"
Aber es ging voran, wenn man davon absieht, dass ein junger Mann Vater wurde, zudem plötzlich mit einer hohen Mietnachforderung konfrontiert war. "Da sind Sie dauerhaft Lebensbegleiter", schildert Springs die Überlastungssituation des Mittelständlers. Auch andere Betriebe können ein Lied davon singen, vor welchen unerwarteten Problemen sie bei der Integration von Flüchtlingen stehen.
Für Inhaber Horsch allerdings zählt der faktische Erfolg: Von zehn Lehrlingen hatten nur zwei abgebrochen, sieben legten die Facharbeiterprüfung ab, fünf von ihnen hat die Firma übernommen, etwa als Gesellen in der Schweißerei.
"Eine phänomenale Erfolgsquote von 50 Prozent", schwärmt Bertram Brossardt. Der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft hatte zum Wochenende zum "Praxiskongress Flüchtlingsintegration" in Nürnberg eingeladen.
Unter den 120 Teilnehmern ist Nicola Gerhardt vom Helferkreis Garching. Auch sie erklärt, wie naiv ihre Gruppe in der euphorischen Welle der Willkommenskultur die Arbeit angepackt habe. Zum Beispiel habe sich beim Abfragen der Lebensläufe herausgestellt, dass unter den 200 Geflüchteten nur wenige "High Performer" waren, so dass die Vita meist sehr kurz ausfiel.
Nach dem Abflachen der breiten Hilfsbereitschaft stellt die Juristin heute fest: "Die staatlichen Stellen arbeiten viel besser als noch vor drei Jahren. Das entlastet uns." Das braucht die inzwischen geschrumpfte Helfergruppe auch. Mit Sorge erfüllt sie das Schicksal Geflüchteter aus sogenannten sicheren Herkunftsländern, die im Grunde zum Nichtstun verdammt sind. Die Folge sei Demotivation.
Insgesamt stellt die Garchingerin die Diagnose: "Wir stagnieren bei der sozialen Integration" und meint damit, dass zu wenig Freundschaften mit Deutschen geknüpft würden oder Flüchtlinge zu wenig in Vereinen mitmachten.
Gibt es Motivationsprobleme bei jenen Zuwanderern, denen keine Bleibeperspektive bescheinigt wird? Das sei ein gesellschaftliches Problem, antwortet Hans-Eckhard Sommer, seit Juni Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und z[2]uvor als Ministerialrat im bayerischen Innenministerium zuständig für Ausländer- und Asylrecht. "Wir müssen die Asyleinwanderung jener stoppen, die nicht schutzbedürftig sind." Im Übrigen werde ja ein Einwanderungsgesetz vorbereitet. Daniel Terzenbach, bei der Bundesagentur für Arbeit zuständig für Flüchtlingsmanagement und im nächsten Jahr Mitglied des BA-Vorstands, sagt, die Politik müsse die Frage beantworten, ob jeder, der einen Arbeitsvertrag hat, auch arbeiten dürfe.
Auf jeden Fall muss bei dem Personenkreis, der ein Bleiberecht hat, untersucht werden, welche berufliche Richtung die geeignete ist. Dazu hat sich ein Werkzeug bewährt, das die bayerischen Industrie- und Handelskammern in Auftrag gegeben hatten. Heraus kam der Online-Kompetenztest "check.work", entwickelt vom Nürnberger Meramo Verlag.
Wie das Testinstrument funktioniert, erfuhren die Teilnehmer des Kongresses "Pro Fachkräfte" in der Nürnberger Meistersingerhalle. Seit eineinviertel Jahren wird "check.work" bundesweit eingesetzt in Integrationsklassen von Berufsschulen, Jobcentern und Arbeitsagenturen sowie von Bildungsträgern.
Zu diesen Weiterbildungsinstituten gehört Ingeus, aktiv in zwölf Ländern. Aktuell arbeite man hier mit 340 Kunden mit den Eignungstests, berichtet Jürgen Zeitler von Ingeus. "Wir gewinnen dank check.work erste Hinweise", wo bei jungen Geflüchteten die Interessen liegen. Wegen sprachlicher Barrieren arbeitet das Programm mit Bildern von beruflichen Tätigkeiten. Per Klick kann man immer tiefer in die Materie eingetauchen.
Ein zweites Modul ist gedacht für Erwachsene, die vor ihrer Ankunft in Deutschland schon viele Jobs vom Elektriker bis zum Taxifahrer verrichtet hatten — ohne dazu Zeugnisse vorlegen zu können. Dabei geht es um das Aufspüren beruflich verwertbarer Kenntnisse. "Ziel ist, eine grobe Richtung zu finden und Fehlleitungen zu vermeiden", sagt Daniel Haßler von der IHK Nürnberg. In Mittelfranken hat die Integrationsberatung schon über 1000 solcher Tests absolviert — "mit Erfolg", sagt Haßler.
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