„Die Stücke sind wie kleine Postkarten“

3.8.2018, 14:13 Uhr
„Die Stücke sind wie kleine Postkarten“

© Edgar Pfrogner

Alle Blicke auf sich ziehen oder posierende Gesten – nicht sein Ding. Kahchun Wong könnte im Foyer des Ramada-Hotels irgendein Tourist sein. Kleidung? Schwarz. Offenes Lächeln, klarer Händedruck. Lieber drinnenbleiben, nicht auf die Terrasse – „es ist so heiß!“ Der Satz kommt mit warmer Stimme, fast akzentfrei. Montagnacht kam er an, direkt aus Japan. „40 Grad und viel Feuchtigkeit – du wachst morgens auf und schwitzt. Da ich aus
Singapur stamme, bin ich Hitze zwar gewöhnt, aber ich mag sie nicht so.“ Also kein direkter Blick auf die vertrocknete Wiese, die am Samstag bunt sein wird von Menschen, die das Klassik-Open-Air lieben und ihn kennenlernen wollen. Wie ist er, dieser Nachfolger von Alexander Shelley?
Ruhig. Aufmerksam. Intensiv. Interessiert. Offen.Das transportiert Wong in höchstens drei Minuten; der Zeit, die nach seinen Worten ein Orchester braucht, „um zu wissen, ob es mit einem Dirigenten auskommt“. Das vierte Mal, erklärt er nun auf Englisch, sei er nun schon hier – „es ist meine erste Saison, aber es fühlt sich an, als wäre ich schon länger da“. Und wie empfindet er die Franken? „Nett und höflich.“ Tatsächlich? „Viel wärmer als im Norden, dort sind die Menschen sehr direkt“, bekräftigt Wong, der zwei Jahre in Berlin studiert hat und bei Meisterkursen auch manch andere deutsche Stadt kennenlernte.
„St. Sebald mag ich sehr, Pachelbel war hier ja Organist; die Burg natürlich.“ Und unsere Würstchen? „Jaaaa! Aber auch sehr gerne Schäuferla und Hax’n – da hab ich schon einige vertilgt“, sagt der 32-Jährige strahlend. Ein deutsches Lieblingswort? „Musizieren“, kommt es prompt. „Ich denke, es gibt in der Übersetzung weder in Englisch noch auf Chinesisch ein Äquivalent. Übersetzt man es ins Englische und dann zurück, kommt ein ganz anderer Sinn heraus. Die deutsche Bedeutung ist einzigartig!“
Ein Tiefdenker, ein Nachsinner und Nachspürer ist dieser Neue, der unbedingt Deutsch lernen will. „Das war Teil meiner Entscheidung, als ich hier zugesagt habe. In Berlin sprach jeder Englisch, zudem war ich viel unterwegs, im Sprache-Lernen war ich damals faul. Das bedauere ich jetzt.“

Geschenk für die Konzertfamilie

Die Proben mit den Symphonikern laufen auf Deutsch. Zahlen, Instrumente . . . „Das muss man wissen. ,Erste Geige, Takt 501, bitte mehr Piano!‘“ Spreche man eineSprache zu gut, könne das sogar hinderlich sein: „Beschreibe ich auf Chinesisch, welchen Klang ich mir vorstelle, werde ich oft zu poetisch.“ Mit weniger Wortschatz seien die Angaben präziser.
Wenig nur wird er beim diesjährigen Klassik-Open-Air auf Deutsch erläutern, mehr auf Englisch.Doch genau diese Moderation führt aktuell zu – ja was? „Es ist ein bisschen von allem: Nervosität, Aufregung, schwitzige Hände, Freude, als wäre ich elektrisiert.“ Selbstverständlich hat er sich auf YouTube angesehen, was Shelley im Luitpoldhain auch als Entertainer gewuppt hat. „Fantastisch, das würde ich nie können!“, stellt Wong mit großen Augen klar; und ja, er hat gezögert, das Open Air zu dirigieren.
„Ich glaube, warum ich Musik so liebe, ist, dass ich durch sie kommuniziere. Ich bin eher introvertiert, schüchtern. Doch dann sprach ich mit den Musikern und bekam den Eindruck, dass es eher das Treffen einer großen Konzertfamilie ist.“ Wong sagte zu. Ein „kleines Geschenk“ für seine neue, fränkische Familie im Gepäck. Die Eigenkomposition „Sunny Island in Germany“, ein Marsch für Orchester und Publikum. Ein Marsch? Er nickt. Und lässt tiefer blicken.
„Ich komme aus einer eher einfachen Familie. Mein Vater ist beim Militär, meine Mutter kümmert sich um kleine Kinder. Mit Musik hatte niemand etwas zu tun.“ Der Anregung eines Lehrers folgend, wurde er sieben Jahre jung zum Blechbläser;
auch später im Militärorchester spielte er Trompete. „Deshalb der Marsch. Ursprünglich für Blasorchester, jetzt habe ich ihn fürs Symphonieorchester eingerichtet.“

Katze, Kochen und Whisky-Duft

Der Regen von Singapur ist ebenso Teil des Geschenks wie die Beteiligung des Nürnberger Publikums und ein Volkslied, das Kinder seines pädagogischen Projekts „Infinitude“ aus Singapore eingesungen haben. „Infinitude“ – ein Herzensthema. Lebendig und mit ausdrucksstarker Mimik erzählt Wong begeistert, wie er die Kinder zu Konzerten begleitet und ihnen Musik erklärt, um die Tür in eine unbekannte Welt zu öffnen. „Sie füllen oft meine Batterien auf und lehren mich mehr, als ich ihnen beibringen kann.“
Sätze, die nachschwingen. Nicht selten bei diesem Mann, der auch mit dem Gesamtprogramm eine Botschaft sendet: „My Playlist – eine Hitparade seiner Lieblingsstücke“, steht im Programm, doch das übergreifende, in allen Stücken verarbeitete Thema ist die Liebe. „Sie ist so universell wie die Musik. Und vielleicht ein netter Weg, um ,Hi!‘ zu sagen.“
Ob die Symphonic Dances aus der „West Side Story“, Highlights aus Prokofjews Ballett „Romeo und Julia“, „The Butterfly Lovers“ von Gan Chen & Zhanhao He, Franz Waxmans „Carmen Fantasie“ oder Pietro Mascagnis Intermezzo sinfonico aus „Cavalleria Rusticana“ – da sei auch viel Tänzerisches und Rhythmus im Spiel, verspricht Wong.
„Diese Stücke sind wie kleine Postkarten“, beschreibt er poetisch die angenehme Hördauer. Lediglich das Violin-Konzert mit Solistin Bomsori Kim (unter anderem Preisträgerin des berühmt-begehrten ARD-Musikwettbewerbs) dauere etwa 25 Minuten. „Und keine Sorge, es müssen nicht alle meine Programme asiatische Anteile haben; doch ich dachte, zum Thema Liebe ist es schön, Eindrücke aus verschiedenen Ländern zu haben.“
Und Zugaben? „Oh ja!“ Jetzt grinst er spitzbübisch. Und? „Zum Beispiel etwas aus ,Titanic‘“, meinem ersten Film“, erzählt er ernster. „Meine Lieblingsszene ist das Streichquartett, das bis zuletzt spielt. Nicht für die anderen, sondern für sich. Diese Szene führte zu meiner Entscheidung, Musiker zu werden.“
Drei Proben bleiben dem Maestro mit den Symphonikern. „Sie haben so viel Erfahrung mit dem Klassik-Open-Air, ich bin froh, einen solchen Partner auf der Bühne zu haben!“, meint Wong bescheiden. Komplimente an die Musiker folgen. Weder banal noch dahingesagt. „Für die Musik habe ich ein sehr gutes Gefühl!“
Und was tut er gegen das Moderations-Lampenfieber? „Zu Hause in
Japan haben meine Frau und ich eine Katze – sie ist der Boss“, meint er lachend, „und wirkt auch beruhigend. Ich koche auch gern zur Entspannung. Und ich mag den Duft von gutem Single-Malt-Whisky.“ Da bleibt in Nürnberg aber nur . . . Er zwinkert. „Erst nach dem Konzert!“ Kahchun Wong ist angekommen.

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