Eine vergessene "Kathedrale der Technik"
13.2.2018, 20:02 UhrSteht man im Inneren der bis zu 280 Meter langen und bis zu 70 Meter breiten Umladehallen (im Bahner-Jargon kurz "Ula") am Nürnberger Südbahnhof, fühlt man sich als Mensch auf einmal klein, sehr klein. Der Weite und Transparenz dieses Bauwerks wohnt etwas zutiefst Erhabenes inne, so dass die hochtrabende Bezeichnung "Kathedrale der Technik" mit einem Mal sehr plastisch wird.
Angesichts seiner Größe entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass selbst die meisten Nürnbergerinnen und Nürnberger diesen Schatz der Industriebaukunst nicht kennen. Allerdings verirrt sich auch kaum jemand in die von Bäumen und Büschen überwucherte Industriebrache zwischen Brunecker und Münchener Straße im Stadtsüden.
Einst waren die Hallen Europas größte Umladestelle für Stückgut. Päckchen, Pakete und Paletten mit Waren wurden hier mit der Bahn angeliefert und auf die Güterzüge verteilt, die ihre Bestimmungsorte oder weitere Zwischenstationen anfuhren.
Um diesem Zweck bestmöglich zu genügen, reizten die Planer die Möglichkeiten der Ingenieurskunst voll aus: Die gesamte Grundkonstruktion der Hallen bestand aus Spannbeton und war freitragend, so dass Trennwände beliebig versetzt und die Räumlichkeiten bei Bedarf leicht erweitert werden konnten. Elektrische Verbindungsbrücken, die man bei der Einfahrt eines Zuges hochklappte, verbanden die elf Bahnsteige.
Errichtet wurden die Hallen 1932 bis 1933. Ein "Nazi-Bauwerk" sind sie allerdings nicht: Wie bei so vielen Prestige-Projekten (Stichwort: Autobahnen), die sich das braune Regime auf die Fahnen schrieb, schlummerten die Pläne dafür schon seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 in der Schublade der Reichsbahndirektion Nürnberg.
Die Nationalsozialisten aber waren es, die den Hallen zu medialer Aufmerksamkeit verhalfen: 1935 richtete die Reichsbahn in Nürnberg die Ausstellung "100 Jahre Deutsche Eisenbahn" aus, die, obwohl reichhaltig und informativ, bis in die Spitzen von Propaganda durchtränkt war. Als Ort der Schau wählte man die Umladehallen. Wo sonst in Nürnberg bot sich die Möglichkeit, mehrere Dutzend Lokomotiven, Wagen, Dioramen und vieles mehr unter einem Dach zu präsentieren?
Auch anlässlich der 125-Jahr-Feier 1960 machte man von den Hallen und ihrem weitläufigen Umgriff regen Gebrauch. Beide Male zog der Nachbau des "Adler", der ersten Lokomotive im regulären Einsatz auf dem europäischen Festland, seine Runden.
Als Zweckbau blieben den Umladehallen spätere Eingriffe nicht erspart. Die Satteldächer aus Stahl, Blech und Glas ruhten einst auf hölzernen Fachwerkbindern, die bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg teilweise zerstört wurden. 1951 bis 1957 ersetzte man sie durch ein filigranes Dachwerk aus Beton und Stahl, das die Hallen durch ihre gebogenen Binderbalken um eine reizvolle Komponente bereicherte.
1998 hatten sich die Umladehallen überlebt. Die Rationalisierung der Logistik, vor allem die zunehmende Verlagerung des Güterverkehrs auf die Straße, hatte sie überflüssig gemacht. Im Gegensatz zu den beiden Paketpostämtern am Hauptbahnhof fielen die Hallen – sie gehören heute dem Immobilienentwickler Aurelis – nicht der Abrissbirne zum Opfer. Noch nicht. Denn die Planungen für den neuen Stadtteil, der auf dem Areal des Südbahnhofs entstehen soll, sehen den Erhalt der Hallen – bislang jedenfalls – nicht vor.
Heute sind ein paar Wachleute die einzigen "Nutzer" des Gebäudes. Ihre Aufgabe besteht darin, Neugierige vor den Tücken des Bauwerks und das Bauwerk vor der Zerstörungswut von Vandalen zu schützen.
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