Forschung außerhalb des Schwerkraftbannes
27.9.2011, 15:27 Uhr„Granulare Dämpfer sind Schwingungsdämpfer“, erklärt der Physiker. „Sie sind im Wesentlichen temperaturunabhängig, relativ wartungsarm, einfach herzustellen und gut einkapselbar.“ Kollmer hält einen kleinen runden Plastikbehälter, gefüllt mit Glaskügelchen in der Hand. Das Konstrukt, das an eine Rassel erinnert, wird in allen Größen und Varianten eingesetzt, beispielsweise in Banknoten-Zählmaschinen, Werkzeugen, Raketentriebwerken oder Turbinen. „Ziel ist es, Schwingung zu reduzieren. Granulare Dämpfer finden häufig Anwendung in der Luft- und Raumfahrt und neuerdings auch in der Medizintechnik, etwa bei Zahnarztbohrern, um die Vibration zu verringern“, sagt Kollmer.
Im Team erforscht er die Größe der Kugeln, die Füllmenge der Dämpfer und das Material, das für die einzelnen Anwendungsgebiete am besten geeignet ist. Als Granulate dienen Glas, Aluminium, Stahl oder Kunststoff. Stoßen die Granulate aneinander, wird Energie in Wärme umgewandelt. „Die Dämpfer funktionieren in der Schwerelosigkeit besser“, erklärt Kollmer. Um den Effekt der Schwerelosigkeit zu simulieren, hat das Forscherteam rund um Professor Thorsten Pöschel Versuche im freien Fall unternommen. Im Mai dieses Jahres reisten Kollmer und Kollegen dazu nach Bordeaux. Im größten fliegenden Labor der Welt, dem Airbus A300 Zero-G führten sie Experimente in der Schwerelosigkeit durch.
Das Forschungs-Flugzeug der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA fliegt sogenannte Parabelflüge über den Atlantik. „Ein Flug hat 31 Parabeln, davon befindet man sich jeweils 22 Sekunden in der Schwerelosigkeit“, erklärt der Erlanger Wissenschaftler. Insgesamt ist das Team 93 Parabeln an drei Tagen geflogen und hat zwei Wochen in Bordeaux verbracht. Alleine die Sicherheitsprüfung für den Versuchsaufbau habe eine Woche in Anspruch genommen. „Wir mussten vorab zeigen, dass die Elektrik abgesichert ist, unsere granularen Dämpfer dicht sind und nichts passieren kann“, erzählt Kollmer. Erst dann konnte es mit dem Fliegen losgehen. „Von den sechs Leuten im Team sind immer vier gleichzeitig geflogen“, so der Physiker. „Während der Parabeln wurde der Versuch automatisiert, danach wurden die Proben gewechselt und alles neu eingestellt.“
Was sich einfach anhört, ist alles andere als simpel. „Viele Dinge funktionieren in der Schwerelosigkeit nicht“, sagt Kollmer und lacht. Etwa bestimmte Mechaniken oder auch elektronische Geräte wie beispielsweise ein Laptop. „Die Festplatte schaltet sich in der Schwerelosigkeit automatisch aus, damit die Daten nicht gelöscht werden, wenn das Gerät vom Tisch fällt“, erklärt er. Daran müsse man denken, bevor die Aufzeichnungen für die Versuchsreihe beginnen. Wie auch daran, dass es während des dreieinhalbstündigen Flugs keine Möglichkeit gibt, auf die Toilette zu gehen – denn die gibt es nicht an Bord.
Mit dem Ziel, ein neues Modell für granulare Dämpfer zu entwickeln, hat das Team der FAU Kunststoffbehälter mit kleinen Kügelchen gefüllt, deren Bewegungsverhalten während der kurzen Phase der Schwerelosigkeit gemessen wurde. In einem der beiden Teilexperimente wurden die Behälter mit den Kügelchen von einem Motor angetrieben und permanent geschüttelt, im anderen Teilexperiment wurden die Behälter auf Federn montiert und konnten langsam ausschwingen. Dabei variierten die Forscher die Stoffe, mit denen sie die Behälter während der Parabelflüge füllten. Mittels einer Hochgeschwindigkeitskamera filmten sie in der Schwerelosigkeit die Bewegungsmuster der Kügelchen. Jeder der sechs Wissenschaftler hatte seine Aufgabe: Proben auswechseln, Messparameter einstellen oder Kamera, Motor und Datenaufzeichnung starten. „So etwas funktioniert nur im Team“, sagt Kollmer. Mit Hilfe der Aufzeichnungen will der Lehrstuhl belegen, wie granulare Dämpfer in Zukunft noch effizienter gebaut werden können.
Im Flugzeug waren die Wissenschaftler aus Erlangen nicht allein. An den Parabelflügen nehmen auch Forscher anderer Universitäten sowie Leute aus der Luft- und Raumfahrt zu Trainingszwecken teil. „Eine künftige Astronautin hat permanent versucht, mit einem Akku-Schrauber eine Schraube festzudrehen, da sie dies in ein paar Jahren beim Einsatz auf einer Raumstation können muss. Das war sehr schwierig, weil sie sich ständig mit dem Schrauber um die eigene Achse gedreht hat“, erzählt Kollmer.
Wie es ist, wenn man kein Gewicht, sondern nur Masse hat, sei schwierig zu sagen. „Man muss vorsichtig sein, wie man sich bewegt, und sich permanent gut festhalten, da man sonst darauf hoffen muss, dass einen jemand einfängt.“ Um sich daran zu gewöhnen, brauche es schon ein paar Parabeln, so der Physiker. Die Spannung im Vorfeld war groß. Kleine Pannen gab es zwar, aber das sei nicht dramatisch gewesen. „Einmal ist versehentlich jemand an den Notschalter gestoßen, da haben wir die halbe Parabel verpasst und einmal wurde vorzeitig gestoppt“, erzählt Kollmer. „Insgesamt war das Experiment aber ein voller Erfolg.“
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