Inklusion bringt Lehrer an ihre Grenzen

15.7.2014, 16:00 Uhr
Inklusion bringt Lehrer an ihre Grenzen

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Inklusion sieht manchmal so aus wie in dieser ersten Klasse an der Pestalozzischule: 25 Kinder gehören ihr an – das ist an Grundschulen die Obergrenze, wenn mehr als die Hälfte der Schüler eines Jahrgangs einen Migrationshintergrund haben. Zu den vielen Kindern mit Deutsch-Förderbedarf gesellen sich drei „mit emotionalen und sozialen Auffälligkeiten“, wie Rektor Thomas Bauer erzählt, dazu eines, das die Klasse wiederholt und „höchst unregelmäßig kommt“, und ein autistisches Kind, das seinen (erwachsenen) Schulbegleiter mitbringt. Es ist eine bunte, eine herausfordernde Mischung.

Die Klasse sei ein Extrembeispiel, sagt Bauer. Warum allerdings selbst für solche Klassen keine niedrigeren Grenzen gelten, versteht er ebenso wenig wie das Kollegium und Schulpsychologin Susi Grüner. Wären nicht so viele Schüler mit ausländischen Wurzeln an der Pesta, säßen sogar 28 Kinder vor der Lehrerin – das ist die reguläre Obergrenze. Anders als in anderen Bundesländern hat das Ziel, alle Kinder gemeinsam zu unterrichten, in Bayern keine Auswirkungen auf die Klassenstärke. Das liege daran, dass Eltern hier immer noch die Möglichkeit haben, ihr Kind auf die Förderschule zu geben, sagt Schulamtsdirektorin Ulrike Merkel.

Ein Argument, über das viele Lehrer den Kopf schütteln: Sie würden ja gerne alle gemeinsam unterrichten – aber geht das bei 25 oder 28 Schülern? Auch die Eltern der Erstklässler waren besorgt, als sie hörten, dass es drei proppenvolle statt vier kleinere Klassen geben wird.

An der Pestalozzischule ist man überzeugt davon, dass Inklusion der richtige Weg ist. Die Schule, die seit Jahren eng mit der Hallemannschule der Lebenshilfe kooperiert, ist sogar eine von Bayerns „Profilschulen Inklusion“. Doch man sieht hier die Unterschiede besonders deutlich: zwischen der Inklusion in den sogenannten Partnerklassen, in denen Pesta- und Hallemannschüler gemeinsam lernen und in die Geld des privaten Trägers, der Lebenshilfe, fließt – und der Inklusion in den Regelklassen, wie sie seit 2011 in Bayern stattfindet.

Alle Kinder in einem Klassenzimmer nach ihren Fähigkeiten zu fördern, wäre das Optimale, sagen die Psychologin, der Rektor und zwei Lehrerinnen, die beim Pressegespräch von ihren Erfahrungen erzählen. Aber: „Nicht unter den Bedingungen, die wir haben!“

"Nicht wie im Prospekt"

Regelschulen, die Inklusionskinder aufnehmen, bekommen – abhängig von deren Zahl – ein Kontingent an Förderstunden. Geleistet werden sie von Lehrern des Mobilen Sozialpädagogischen Dienstes. In der eingangs erwähnten ersten Klasse sind es fünf Förderstunden pro Woche. Zu wenig, findet Bauer. Und andere Schulen seien noch schlechter dran: Als „Profilschule Inklusion“ bekommt die Pesta nämlich schon mehr Förderstunden als andere zugewiesen. Dennoch sei das nicht genug, weil Inklusion, wie Bauer betont, nicht nur so aussieht wie „im Hochglanzprospekt“. Ja, sagt er, es gebe viele „wunderbar gelingende Momente“, wenn sich die Mitschüler um Kinder im Rollstuhl oder mit Down-Syndrom kümmern.

Inklusion sei aber deshalb so eine Herausforderung, weil „wir auch über die sprechen, die über die Bänke gehen und unter den Bänken durch, die nicht zu bremsen sind“, sagt Bauer. Kinder, die, etwa weil sie an ADHS leiden, ihre Emotionen nicht steuern können oder Defizite im sozialen Verhalten haben.

Schon immer hat es solche Kinder in den Klassen gegeben, doch es seien mehr geworden, sagt Psychologin Grüner. Der Spagat, die guten Schüler auf das Gymnasium vorzubereiten und die, die sich schwer tun, dennoch bestmöglich zu fördern, werde mit Beginn der vierten Klasse besonders schwierig. Was wäre die Lösung? Zwei Lehrkräfte pro Klasse. „Ein Team reinzusetzen, wäre die einzige vernünftige Maßnahme“, sagt Lehrerin Ruth Brenner. Und auch erfahrene Sonderschullehrer müsste man an die Schulen holen.

So, wie es jetzt läuft, kommen Lehrer an ihre Grenzen, warnt Bauer. Damit Inklusion gelingt, müsse man Schule „ganz neu denken“. So ähnlich hat es jüngst auch sein Vorgänger Hans-Peter Haas bei einem Vortrag formuliert und eine Gemeinschaftsschule gefordert – die Trennung nach der vierten Klasse, darin ist man sich an der Pesta einig, widerspreche dem Inklusionsgedanken.

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