9. August 1967: Der weise Eigenbrötler von Montagnola
9.8.2017, 08:51 UhrDie Hinterlassenschaft von Hermann Hesse ist enorm. Im Laufe seines Lebens schrieb er rund 44.000 Briefe und zahllose Gedichte, er malte etwa 4000 Aquarelle, vor allem aber verfasste er weltberühmte Romane und Erzählungen, darunter "Unterm Rad", "Der Steppenwolf", "Narziss und Goldmund", "Siddhartha" und "Das Glasperlenspiel".
Millionen von Lesern verehrten und verehren den scheuen Schriftsteller, der 1877 in dem Städtchen Calw (Württemberg) auf die Welt kam und den größten Teil seines Lebens zurückgezogen in der Schweiz verbrachte, auch die Zeit der Hitler-Diktatur – bekämpft sowohl von den Nationalsozialisten, die ihn vergeblich umworben hatten, als auch von den Emigranten, die ihm sein komfortables Exil vorwarfen. Dabei blieb der eingefleischte Individualist immer auf Distanz zur Tagespolitik.
Von Kritikern geschmäht
1946 wurde Hesse mit dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt und mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet. Der öffentlichkeitsscheue Autor war davon nicht sehr begeistert. Noch weniger die Literaturkritiker, die Hesse als Esoteriker, Kitschdichter und Opportunisten schmähten.
Bei Sinnsuchern in aller Welt stand Hermann Hesse dagegen immer hoch im Kurs. Ausgesprochen in Mode kam er bei der jungen Generation nach 1968, die sich in seinen Büchern wiedererkannte. Hier fanden sich spirituelle Themen, die Faszination für fernöstliche Philosophie, Kritik am Krieg, alternative Lebensentwürfe und tiefes Misstrauen gegenüber bürgerlichen Zwängen.
Pünktlich zum 50. Todestag kommt der Film "Siddhartha", den Conrad Rooks 1972 in Indien drehte, wieder in die Kinos (auch ins Nürnberger Casablanca). Und beim Internationalen Literaturfestival Berlin im September will die Schauspielerin Marie Colbin den kompletten "Siddharta"-Roman lesen.
Das ganz große Hesse-Fieber scheint sich aber inzwischen gelegt zu haben – gerade sind zwei neue Biografien sowie der erste Band seiner Briefe erschienen, das war’s dann schon so ziemlich. Wirklich Neues gibt es kaum zu entdecken an dem Schrifsteller mit dem komplizierten Innenleben, das ihn mehrfach in existenzielle Krisen brachte und das er in seinen Büchern aufarbeitete.
Seelische Probleme
Hesses seelische Probleme prägten nach seinem Durchbruch als Schriftsteller mit dem Roman "Peter Camenzind" 1904 auch seine Beziehungen. Seine erste Frau, die psychisch kranke Maria Bernoulli, mit der er drei Söhne hatte, verließ er. Das eheliche Intermezzo mit Ruth Wenger endete nach wenigen Wochen in einem Fiasko. Erst die dritte Ehe mit der Kunsthistorikerin Ninon Dolbin erwies sich als haltbar.
Die letzten Jahrzehnte verbrachte Hesse im Tessin, wo er ganz gegen seinen Willen als "der Weise von Montagnola" galt. Die Erwartungen seiner Fangemeinde, die in ihm einen geistigen Führer oder Lebensratgeber sah, konnte und wollte er nicht erfüllen. An seinem Gartentor hing das Schild: "Bitte keine Besuche!"
Hermann Hesse, der sich von keiner Ideologie blenden ließ und stets seinen Eigensinn verteidigte, war der festen Überzeugung, dass jeder nur einen Lebenssinn für sich allein finden könne.
"Ich gehorche nicht und werde nicht gehorchen!" Hermann Hesse. Die Briefe, Band 1, 1881-1904. Suhrkamp Verlag, Berlin. 661 Seiten, 39,95 Euro.
Gunnar Decker: Hermann Hesse. Der Wanderer und sein Schatten. Hanser Verlag, München. 703 Seiten, 26 Euro.
Heimo Schwilk: Hermann Hesse. Das Leben des Glasperlenspielers. Piper Verlag, München. 432 Seiten, 22,99 Euro.
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