Comic-Salon in Erlangen: Aufbruch in ferne Welten
28.5.2016, 22:58 UhrSpider-Man ließ mehr die Hosen runter – oder zumindest dessen Zeichner. Zahlreiche Skizzen und Seitenlayouts zu den Comicheften um den Superhelden schmückten vor vier Jahren die Wände der Heinrich-Lades-Halle zum Comic-Salon. So tief lässt die diesjährige große Ausstellung zu Mangaka Jiro Taniguchi in seine Arbeitsweise nicht blicken.
Sie zeigt vor allem Reproduktionen aus dem Schaffen des 68-jährigen Zeichners. Dazwischen sehen die Besucher zwar mehrere Originale und Tuschezeichnungen, die rund ein Drittel der Ausstellung ausmachen. Einen direkten Zugang zum künstlerischen Prozess bieten sie allerdings nicht. Keine Skizzen, keine Fingerübungen des Künstlers.
Trotzdem lohnt sich der Rundgang durch die Ausstellung mit dem Titel "Der träumende Mann". Denn auf kleinem Raum ballen sich hier mehrere Jahrzehnte Manga-Kultur. Die frühen Genrecomics Taniguchis hängen direkt neben Zeichnungen aus seinen aktuellen Werken wie "Ihr Name war Tomoji", die vor allem durch ihre stille Erzählweise und Nachdenklichkeit beeindrucken.
Direkt über der Ausstellung zu Taniguchi können die Besucher in die "wunderbare Welt der Marguerite Abouet" eintauchen. Die Comicautorin von der Elfenbeinküste erzählt in ihrem Comic "Aya" vom afrikanischen Alltag, frei von jedem Klischee, dafür mit Charme und Tiefgang. Neben ihren Skizzenbüchern finden sich Originalzeichnungen der Künstler Clément Oubreries, Mathieu Sapins und Singeons, mit denen Abouet zusammengearbeitet hat. Spannende Perspektiven auf eine noch zu entdeckende Serie und ihre Schöpferin.
Türkische "Charlies"
Zu Geständnissen führen die Comics und die Satire aus der Türkei: "Ich kann gar kein Türkisch", sagt ein Besucher beim Gang durch die Räume. Denn diese Ausstellung deckt zwar die verlegerische und künstlerische Comic-Landschaft in der Türkei sehr gut ab. Doch es gibt keine Übersetzungen zu den Sprechblasen der Bilder.
So bleibt oft nur der zeichnerische Witz der Seiten übrig; trotzdem ein spannender Überblick. Und immerhin ein Slogan ist überall verständlich: "Je Suis Charlie". Die drei Worte zierten nach den terroristischen Anschlägen in Paris im Januar letzten Jahres auch die Cover der türkischen Satiremagazine.
Ein bisher unbekanntes Feld in der Comicwelt deckt "Rising India" ab, eine Ausstellung die in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut in Neu-Delhi entstand. Im hinteren Teil der Heinrich-Lades-Halle sammeln sich an den Wänden die Seiten von mehreren indischen Zeichnern.
Besonders die kurzen Geschichten aus der Anthologie "Drawing the Line – Indian Women fight back" von etablierten Künstlerinnen und Talenten überzeugen durch Stil, Pointe und Darstellung. In einer Gesellschaft, die den Lebensweg von Kindern schon vom Mutterleib an aufgrund ihrer Hautfarbe und ihres Geschlechts vorhersehen zu können meint, in der antwortet das dunkelhäutige Neugeborene im Kreißsaal eben mit: "Eat This". Nehmt das. Und es folgt der Schrei des neuen Lebens als Zeichen der Unabhängigkeit.
Zeichnungen von Jiro Taniguchi bieten Ruhe
Auch dem 17. Comic-Salon gelingt es, den Besuchern spannende Einblicke in bislang unbekannte Welten der neunten Kunst zu vermitteln – und das auf ganz unaufgeregte Weise. Das macht die Ausstellungen wieder zum perfekten Zufluchtsort für alle Comicleser, denen der Trubel der Messe zu viel wird. Die Ruhe der Zeichnungen von Jiro Taniguchi bietet den Gegenpol. Selbst wenn auf den Bildern Samurais und Werwölfe auftauchen.
Auf zwei Ebenen lockt der Messebereich im Kongresszentrum wieder in die schier endlosen Welten des Comics. Doch Vorsicht – die Zeit kann da wie im Fluge vergehen. Wer sich eingehend mit den Angeboten der über 150 Stände befassen will, sollte mindestens ein paar Stunden investieren.
Die Zahl anspruchsvoller Veröffentlichungen wächst beständig – auch dank ambitionierter Verlage, die in beachtlicher Anzahl auf der Messe vertreten sind. Dazu gehören etwa Reprodukt, der 25-jähriges Jubiläum feiert, und der avant-Verlag, der beim diesjährigen Max und Moritz-Preis einen Spezialpreis der Jury erhielt. Fast noch ein Newcomer ist hingegen der 2011 gegründete Jaja Verlag. Er erhielt den Sonderpreis der Jury beim ICOM-Independent-Comicpreis.
All diese Verlage konzentrieren sich auf originäre Autorencomics. Doch Adaptionen literarischer Klassiker von Shakespeare über Lovecraft bis Kafka sind auf der Messe weiterhin in großer Zahl zu finden. Die Fallada-Adaption "Der Trinker" wurde von Zeichner Jakob Hinrichs persönlich im Markgrafentheater präsentiert. Hinrichs versucht deutlich mehr zu bieten, als nur die Bebilderung einer Vorlage. Er verknüpft den Roman vielmehr mit Falladas Lebensgeschichte und geht auch zeichnerisch sehr ambitioniert zu Werke.
Alte Klassiker der Neunten Kunst von Jacques Tardi über Richard Corben bis zu Ralf König werden regelmäßig neu aufgelegt. Unverwüstliche Figuren wie Isnogud, der Großwesir, der Kalif anstelle des Kalifen sein möchte, finden ihre Fortsetzung. Sogar e. o. plauens legendäre "Vater und Sohn"-Geschichten werden mit neuen Strips weitergeführt. Ein größerer Messebereich ist Lucky Luke gewidmet, der zum 70-jährigen Jubiläum auch mit einer Ausstellung gewürdigt wird.
Die Popularität der Mangas, der thematisch sehr vielfältigen japanischen Comics, scheint ungebrochen. Die klassischen Superhelden sind natürlich nach wie vor vertreten. Doch in gedruckter Form scheint ihre Popularität, trotz der aufwendigen Hollywood-Verfilmungen, eher zurückzugehen. Dafür wird der recht schräge und ungewöhnliche Held Deadpool, der sich derzeit ebenfalls erfolgreich in den Kinos schlägt, mit mehreren Veröffentlichungen weidlich ausgeschlachtet.
Helden aus dem Ruhrpott
Sogar aus dem deutschsprachigen Raum gibt es originelle parodistische Variationen: Frisch erschienen ist die zweite Ausgabe von "ASH – Austrian Superheroes". "Union der Helden" dagegen ist ein Fotocomic über Superhelden aus dem Ruhrpott und heimste beim ICOM-Independent-Preis eine lobende Erwähnung ein. Fast schon etabliert ist die Figur des Captain Berlin, die der Film- und Theaterregisseur Jörg Buttgereit ersonnen hat. Am Samstag um 21 Uhr lockt dazu eine Lesung mit anschließender Filmvorführung ins E-Werk-Kino.
Obwohl sich der Verkauf mit antiquarischen Comics zunehmend auf den Online-Sektor verlagert, ist das Angebot gebrauchter Heftchen und Alben riesig. Das Spektrum reicht von Massenware für wenige Cents bis zu sündhaft teuren Raritäten. Ältere Semester können da hemmungslos in Jugenderinnerungen schwelgen – auch bei der Comic-Börse, die am Samstag 10 bis 17 Uhr im Einkaufszentrum Neuer Markt und am Rathausplatz stattfindet – bei freiem Eintritt .
500 Künstler aus aller Welt treten bei der Messe zu Signierstunden an. Prominentere Namen können da schon mal für lange Warteschlangen sorgen, was dem gutgelaunten Publikum gar nichts ausmacht. Und wer sich selbst als Zeichner versuchen möchte, kann sich an Ständen mit einschlägigen Utensilien versorgen.
Fazit: Auch dieses Mal ist die Messe der Hotspot der Comic-Biennale. Besonders das lockere Nebeneinander von Mainstream und Obskuritäten, von Kunst und Trivialem verleiht ihr nach wie vor viel Charme.
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