Ein topfitter Pionier und Strippenzieher
24.3.2014, 00:00 UhrDie schlechte Nachricht vorneweg: „Ich will mit Ausstellungen aufhören“, sagt Hanns Herpich. Aber das Lachen, das seine Worte begleitet, lässt doch Zweifel an diesem so klar formulierten Entschluss. Und sollte er ihn doch wahrmachen, so gibt es anlässlich seines runden Geburtstags ja immerhin noch fünf Präsentationen in diesem Jahr — zwei davon in der Region, weitere in München, Istanbul und Lodz. Wenn Herpich am kommenden Donnerstag seinen 80. Geburtstag feiert, rücken die drei Töchter, sechs Enkelkinder und der Urenkel an. Sein Rezept für die Fitness im hohen Alter? „Die Kunst hält einen lebendig!“
Gefeiert wird dort, wo Hanns Herpich noch immer die meiste Zeit verbringt: In seinem Atelier in der Nürnberger Nordstadt. Hier entwirft er seine freien Arbeiten und die Aufträge für Kirchen, Krankenhäuser oder Privatleute. Er schuf einen riesigen Teppich für den Kölner Dom, gestaltete eine textile Lichtwand in der Kapelle des Nürnberger Südklinikums, stattete die Kapelle der Unfallklinik Murnau aus und arbeitet ganz aktuell für die Markgrafenkirche in seinem Geburtsort im oberfränkischen Konradsreuth.
Von hier aus ging er zunächst zum Studium an die nahegelegene Textilfachschule in Münchberg, arbeitete dort später als Assistent, übernahm dann die Leitung der Studienwerkstätten für Färben, Weben und Textildruck an der Nürnberger Kunstakademie und wurde dort schließlich Professor am Lehrstuhl für Textilkunst. Natürlich begegnete ihm vor allem anfangs immer wieder das Klischee, Textilkunst sei Frauensache und dadurch auch nicht ganz ernst zu nehmen. Gegen dieses Klischee hat er kräftig angearbeitet.
Reine Textilklassen, wie sie Hanns Herpich bis 1999 in Nürnberg geleitet hatte, gibt es an den Hochschulen heute kaum noch. Was wohl damit zutun hat, dass das Spartendenken in der Kunst out ist. „Die Textilkunst ist eingeflossen in das allgemeine Kunstverständnis“, sagt Herpich. Und dazu hat er seinen Beitrag geleistet. Ganz aktuell rückt zum Beispiel eine Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart den Blick auf Stoffliches — unter dem Slogan „Kunst & Textil“.
Wie ein Komponist
Das Weben als Handarbeit hat Herpich aufgegeben. Seine Webstühle spendete er an Nürnbergs Partnerstadt Skopje, wo er in Seminaren auch erklärte, wie die Technik funktioniert. Was er entwirft, speichert er inzwischen elektronisch und lässt es in einer Weberei in Oberfranken herstellen. „Das sind aber alles Unikate“, stellt er klar. Wenn sie mit tausenden Fäden, die es zu koordinieren gilt, in den riesigen Hallen entstehen, empfindet Herpich das als „etwas ganz Großartiges“. Wie ein Komponist die Partitur oder ein Architekt den Bauplan aufzeichnet, so entwickelt er den „Gewebe-Code“, der dann zu Stoff wird. „Ich habe das Gefühl, ich beherrsche diese Maschinen so wie Formel-Eins-Fahrer ihr Rennauto.“
Gas gibt er auch mit 80 noch. Er experimentiert mit Stoffdichten, Verbindungsstrukturen und Materialien. Mit dem, was man sich gemeinhin unter einem Gobelin vorstellt, haben seine Werke nichts zu tun. Sie spielen mit freien, abstrakten Formen, gerne auch mit eingearbeiteten Texten, zeigen raffinierte Farbverläufe und natürlich immer zwei „Gesichter“ — vorne und hinten.
Am 29. März eröffnet Herpich, der im Jahr 2004 mit dem NN-Kunstpreis ausgezeichnet wurde, die Ausstellung „Gewebte Flächen“ in der Fürther Galerie Förstermühle, im September folgt die Schau „Textile Objekte“ in der Nürnberger Kreis-Galerie. Und von April bis Juni widmet ihm das Centralmuseum für Textilkunst im polnischen Lodz eine Ausstellung. „Dieses Haus entwickelt sich zum europäischen Zentrum für Textilkunst“, sagt Herpich. Und deswegen will er ihm auch seine Werke vermachen. „Es ist ja doch einiges entstanden“, meint er bescheiden.
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