Nürnberger erinnert sich an Bombenangriff vom 2. Januar 1945

2.1.2013, 07:00 Uhr
Nürnberger erinnert sich an Bombenangriff vom 2. Januar 1945

© Nürnberger Hochbauamt

1835 Frauen, Männer und Kinder verlieren ihr Leben, 100.000 Menschen werden obdachlos. Die Altstadt liegt in Trümmern. Friedrich Ehrlinger ist in dieser Zeit noch ein Kind. Heute, als Rentner, gehört er der Initiative „Persönliche Stadtansichten“ an. Er erinnert sich für uns an den Krieg und die Bombennacht vor 67 Jahren.

Es ist schon zur Routine geworden. Wenn der Alarm schrill durch die Straßen peitscht, packt die Mutter die kleine Tochter an der Hand. Ihr Sohn Friedrich nimmt das Köfferchen und sie eilen die Kellertreppe hinunter in den Luftschutzraum. Hier sitzen sie und warten, bis alles vorbei ist. Wie immer.

Die Familie wohnt in der Wandererstraße, in einer Sozialwerkssiedlung. Der Vater, 1939 eingezogen, kämpft an der Ostfront, erst 1948 wird er aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft entlassen und nach Nürnberg zurückkehren, ein Fremder zunächst für Sohn und Tochter. Aber die Familie wird wieder zusammenfinden.

Der Krieg ist für die Kinder Alltag

Für die Kinder, die den Frieden kaum kennen, ist der Krieg Alltag. „Wir verbrachten sehr viel Zeit im Keller“, sagt Friedrich Ehrlinger. Ruinen sind in diesen Jahren sein Spielplatz, der Hunger ist sein ständiger Begleiter. „Wir waren arme Hunde. Wir hatten keine Verwandten auf dem Land, die uns hätten versorgen können.“ Trotzdem denkt er ohne Bitterkeit an seine Jugend zurück. „Ich bin ein Sonntagskind. Daran habe ich immer geglaubt.“ Das Gute am Menschen sei, dass er sich an das Positive erinnere und das Schlechte vergesse.

Friedrich Ehrlinger ist 1934 geboren, er ist verheiratet, hat zwei Töchter und wohnt mittlerweile am Neutorturm in der Altstadt, wo seine Frau groß geworden ist. Bis zu seinem Ruhestand arbeitete er als technischer Leiter im Klinikum Hallerwiese. Im Jahr 2000 gehörte er zu den Aktiven, die dem Projekt „Persönliche Stadtansichten“ zum Erfolg verhalfen. Das Konzept: Senioren bieten Führungen an, bei denen sie die Stadt aus ihrer ganz eigenen Perspektive vorstellen.

Bei unserem Spaziergang durch Eberhardshof drängen sich alte Bilder in Ehrlingers Gegenwart. Besonders, als wir in der Wandererstraße vor dem Haus mit der Nummer 25 stehenbleiben, in dem er die ersten Jahre seines Lebens verbracht hat.

Leichen mit  Zetteln an den Füßen

Immer wieder donnern Tiefflieger über den Stadtteil hinweg und laden ihre zerstörerische Fracht über dem Bahnausbesserungswerk in Gostenhof ab. Brandbomben schlagen auch in den Dächern der Siedlung ein, wundersamerweise entsteht niemals wirklich schlimmer Schaden. Mal werden die Bahngleise hinter den Häusern getroffen, mal der Saalbau West – der steht heute noch, aber ohne die prächtige Kuppel von einst.

„Ab Herbst 1944 befanden wir uns im Daueralarmzustand. Wir schliefen nur noch in unserer Kleidung.“ Die Familie Ehrlinger wohnt im Erdgeschoss, der Weg nach unten ist nicht weit. Vor den Fenstern stehen Splitterschutzeinrichtungen aus Erde und Beton. Wenn es ruhig ist, benutzen Friedrichs Freunde sie als Klettergerüst, steigen hinauf und klopfen ans Küchenfenster, damit der Freund zum Spielen kommt.

Ehrlinger steht auf dem Bürgersteig unter einem grauen Großstadthimmel und blickt auf den Ort seiner Kindheit. Die Schrebergärten mit ihren schmalen Pfaden zwischen den Parzellen sind Straßen gewichen, einem wintertraurigen Spielplatz, Mülltonnen, zugeparkten Gehwegen. Er denkt eine Weile darüber nach, wie er seine Gefühle von damals beschreiben soll, wenn er mit seiner Mutter und der kleinen Schwester im Keller saß. „Angst war es nicht. Für uns hatte die Situation etwas Vertrautes. Es war kein einmaliges Erlebnis.“ Und, er nickt, es war ja auch noch Unbeschwertheit möglich, Fußballspielen auf der Straße. „Wir wussten, wie wir uns zu verhalten haben, wenn Alarm ist. Wir waren dressiert.“

Die Bomber, die am 2. Januar 1945 Tod und Zerstörung nach Nürnberg bringen, kommen von Westen. „Als wir sie hörten, wussten wir, dass wir verschont geblieben sind. Sie waren schon weiter. Wir kamen aus dem Keller und hörten Schreie: Die Stadt brennt, die Stadt brennt.“ Genau sieht man, wo sich die Altstadt befindet. Gleißend hell ist die Nacht dort, wo die „Christbäume“ niedergehen, die Leuchtmunition, die den Bomberpiloten den Weg weist. Die Kinder aus der Wandererstraße sehen das Herz ihrer Stadt sterben, unter einem glutroten Himmel. „Es war ein Inferno“, sagt Ehrlinger. „Das hat uns Kinder sehr bedrückt.“ Zwei oder drei Tage später macht sich Ehrlinger mit seiner Mutter auf den Weg in die Altstadt. Sie haben einen Handwagen dabei, für den Fall, dass in den Trümmern etwas Brauchbares zu finden ist. Sie wollen nach der Tante sehen, die in der Landauer Gasse wohnt, ziehen zuerst die Fürther Straße entlang, passieren dann das Fürther Tor. Die Altstadt ist ein Albtraum aus Staub und Schutt. Die Schwester der Mutter hat den Angriff in einem Bunker überlebt. Andere hatten nicht so viel Glück. Ehrlinger erinnert sich an die Leichen, die aus den Kellern gezogen und draußen abgelegt wurden. Sie hatten Zettel an den Füßen. „Damit man weiß, wer es ist.“ In den Überresten des Hauses, in dem die Tante gelebt hat, finden sie deren Herd. Ein Schatz. Sie können Wasser heiß machen.

Friedrich Ehrlinger ist Optimist. Es stört ihn, dass die Menschen heute so viel jammern. Wer den Krieg miterlebt hat, weiß sein Leben zu schätzen, mit allen schönen und dunklen Seiten. Er wühlt nicht in der Vergangenheit, er lebt im Jetzt. Aber vor allem eines, sagt er, mache ihn froh. Dass es den regelmäßigen Probealarm nicht mehr gibt. „Das Geräusch von Sirenen belastet mich heute noch. Dabei denke ich mir dann: Es ist nichts, Gott sei Dank. Die Menschen sind ja doch schlauer geworden.“

Zum Gedenken an die Luftkriegsopfer des Zweiten Weltkriegs lässt die Stadt am Mittwoch einen Kranz am Glockenturm auf dem Südfriedhof anbringen. Um 12 Uhr werden die Glocken geläutet. Am Sonntag, 6. Januar, läuft im „Franken Fernsehen“ ein Film der Medienwerkstatt mit dem Titel: „Luftkrieg in Nürnberg.“ Beginn: 19, 21 und 23 Uhr. In der halbstündigen Dokumentation kommen Zeitzeugen zu Wort.
 

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