Kampf gegen "Todesfallen" für Radfahrer
12.7.2018, 18:59 UhrEs ist ein Horrorunfall, vor dem sich viele Radfahrer fürchten. Im Mai vor vier Jahren fährt Janine Schulz in Bremen mit dem Rad von der Arbeit nach Hause. Plötzlich passiert es: beim Abbiegen übersieht sie ein Lastwagen und rollt ihr über Beine und Hüfte. Die Erzieherin liegt zwei Wochen im Koma, ist ein Jahr im Krankenhaus, hat auch heute noch ständig Schmerzen und kann nicht mehr richtig laufen.
Janine Schulz sagt, sie habe "Glück im Unglück" gehabt: "Die meisten Menschen kommen bei der Kollision mit Lkw zu Tode und können darüber nicht mehr sprechen." Die 32-Jährige ist inzwischen eine Vorkämpferin für mehr Verkehrssicherheit von Radfahrern. Beim Bürgerverein Campact hat sie eine Online-Petition gestartet, damit Abbiege-Assistenten für Lkw zur Pflicht werden. Am vergangenen Freitag war Schulz bei Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und übergab ihm dicke Mappen mit Unterschriften. "Alles, was Lkw-Fahrer vor Menschen im toten Winkel warnt und sie rechtzeitig bremsen lässt, ist gut", sagt sie. Das Abbiegen dürfe keine "Todesfalle" bleiben.
Lkw sind für Radfahrer tödliche Gefahr
Die Sicherheit von Radfahrern im Straßenverkehr ist ein Thema, das zunehmend an Bedeutung gewinnt. Denn immer mehr Menschen entdecken das Radfahren, gerade in Ballungszentren mit vielen Staus auf den Straßen. Und Städte und Kommunen bauen Radwege aus, auch damit die Luft besser wird. Bisher aber gleicht Radfahren in Großstädten oft noch einem Abenteuer. Insgesamt sank zwar die Zahl der Verkehrstoten zwischen 2010 und 2017 um 13 Prozent, wie das Statistische Bundamt am Donnerstag mitteilte. 2017 kamen bei Verkehrsunfällen 3180 Menschen ums Leben, das ist der niedrigste Stand seit mehr als 60 Jahren.
Die Zahl der tödlich verunglückten Radfahrer aber blieb laut Behörde zwischen 2010 und 2017 nahezu konstant. 382 Fahrradfahrer kamen im Vorjahr bei Verkehrsunfällen ums Leben. Besonders schwere Folgen haben Unfälle mit Lastwagen, dabei starben im vergangenen Jahr 76 Radfahrer. Und: Bei solchen Unfällen trugen Radfahrer in nur 20 Prozent der Fällen die Hauptschuld. Bei etwa jedem dritten Unfall mit Personenschaden, an dem ein Fahrrad und ein Lastwagen beteiligt waren, handelte es sich um einen Abbiege-Unfall - weil Lkw-Fahrer oft Radler im "toten Winkel" übersehen.
Unfälle mit Pedelecs häufen sich
Die Politik hat sich des Themas verstärkt angenommen. Elektronische Abbiege-Assistenten können Lkw-Fahrer bei drohenden Kollisionen warnen oder die Fahrzeuge abbremsen. Verkehrsminister Scheuer will den Einbau von solchen technischen Systemen in Deutschland beschleunigen – dies geschieht zunächst auf freiwilliger Basis der Speditionen und Logistikunternehmen. Einen verpflichtenden Einbau kann es nur auf EU-Ebene geben, die Verhandlungen aber dauern. Und auch ein anderes Thema könnte die Politik bald zunehmend beschäftigen: Unfälle mit Pedelecs – also Fahrrädern mit einem Hilfsmotor, auch als Elektroräder bekannt.
Die Zahl der Unfälle mit einem Pedelec hat sich zwischen 2014 und 2017 mehr als verdoppelt. Im vergangenen Jahr gab es 5206 solche Unfälle, 68 Menschen starben. Der Präsident des Bundesamts, Georg Thiel, nannte die Entwicklung "besorgniserregend". Besonders betroffen waren ältere Radfahrer. Zwei Drittel der getöteten Pedelec-Fahrer waren 75 Jahre oder älter. Ältere Menschen fahren häufiger solche Räder mit Hilfsmotor, und bei Älteren sei die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie sich bei einem Sturz schwer oder tödlich verletzen.
"Jeder Unfall ist einer zuviel"
Hinzu komme, dass viele ältere Menschen mit den höheren Geschwindigkeiten und dem höheren Gewicht dieser Räder in einigen Situationen überfordert seien, zitierte die Behörde die Unfallforschung der Versicherer. Das Problem könnte noch zunehmen. Denn die Zahl der Pedelecs in Deutschland steigt. Der Umgang damit wolle gelernt sein, sagt Ulrich Klaus Becker, ADAC-Vizepräsident für Verkehr. Die Beschleunigung sei nicht mit einem herkömmlichen Rad vergleichbar.
"Deswegen empfehlen wir, den sicheren Umgang mit dem Pedelec zu üben und zu trainieren." Generell fordern Verbände, die gesamte Infrastruktur für Radfahrer müsse massiv verbessert werden. "Wir brauchen jetzt breite, geschützte Radwege und Kreuzungen, intelligente Ampelschaltungen und verpflichtende Fahrassistenzsysteme", sagt die Sprecherin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), Stephanie Krone. Und Unfallopfer Janine Schulz sagt: "Jeder Unfall ist einer zuviel."
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