Nach Anschlag: Tröglitzer demonstrieren gegen Ausgrenzung
5.4.2015, 10:37 UhrSeit Monaten machen Rechtsextreme in Tröglitz Stimmung gegen die Aufnahme von Asylbewerbern - jetzt haben Unbekannte das geplante Flüchtlingsheim angezündet. «Es ist definitiv besonders schwere Brandstiftung», sagte Staatsanwalt Jörg Wilkmann am Samstag in Halle. Es handle sich um eine gemeingefährliche Straftat schlimmster Art.
Ob Fremdenhass das Motiv war, stand zunächst nicht fest. Die Ermittler halten einen politischen Hintergrund aber für naheliegend. Landes- und Bundespolitiker äußerten sich bestürzt über den Brandanschlag. In der Nacht zum Samstag waren der oder die Täter in das Haus eingebrochen und hatten Feuer gelegt, wie die Polizei mitteilte. «Dabei wurde mit großer Wahrscheinlichkeit auch Brandbeschleuniger verwendet.» Der ausgebaute Dachstuhl wurde durch das Feuer zerstört. Er war völlig verkohlt, die Fenster zersprungen. 40 Flüchtlinge hätten im Mai dort vorerst ein Zuhause finden sollen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sprach von einer abscheulichen Tat, die unverzüglich aufgeklärt werden müsse. «Die Täter gehören hinter Schloss und Riegel», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
Polizei fährt auch in der Nacht Streife
SPD-Chef Sigmar Gabriel erklärte, es sei die monatelange Stimmungsmache gegen Flüchtlinge, die den Hass gesät habe, der in Tröglitz nun in Flammen gemündet sei. «Fremdenhass hat keinen Platz in Deutschland, das ist die Meinung der übergroßen Mehrheit in Deutschland.» Tröglitz, ein kleiner Ort im Süden Sachsen-Anhalts, ist bundesweit in den Schlagzeilen seit der ehrenamtliche Bürgermeister Markus Nierth (parteilos) Anfang März wegen rechtsextremer Anfeindungen seinen Rücktritt erklärte. Er hatte keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als eine asylfeindliche Demonstration direkt vor seinem Haus genehmigt wurde. Der Fall entfachte eine Debatte über besseren Schutz für Lokalpolitiker. Danach habe man in Tröglitz «sehr viele polizeiliche Maßnahmen» ergriffen, sagte die Präsidentin der zuständigen Polizeidirektion in Halle, Christiane Bergmann.
Auch in der Nacht der Brandstiftung sei die Polizei durch den Ort Streife gefahren. Doch der Brandanschlag konnte damit nicht verhindert werden. In Anbetracht des Gesamtgeschehens liege eine politisch motivierte Tat nahe, sagte Bergmann.Der frühere Bürgermeister Nierth zeigte sich am Samstagmorgen entsetzt über das Feuer. «Davon wird Tröglitz sich wohl nie erholen», sagte er dem «Tagesspiegel». Der dpa sagte der 46-Jährige: «Die Braunen dürfen über unseren Ort nicht siegen.» Nierth rief gemeinsam mit der frisch gegründeten Bürgerinitiative «Miteinander - füreinander» am Samstagnachmittag zu einer Demo in Tröglitz auf.
Rund 300 Menschen aus Tröglitz und Umgebung kamen. Neben Nierth sprach sich auch Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) für Weltoffenheit aus. «Wir wollen die Verbrecher fassen und sie hinter Gitter bringen», sagte Haseloff den Demonstranten. Die Sicherheitsmaßnahmen im Ort seien nach dem Brand noch einmal erhöht worden. Es sei in Tröglitz in den vergangenen Wochen ein «wunderbares Netzwerk» für die Vorbereitung auf die Flüchtlinge aufgebaut worden, das jetzt nicht aufgeben dürfe.
Bewohner konnten sich rechtzeitig retten
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) schrieb auf Twitter: «Schlimmer Verdacht nach Brand in #Troeglitz macht fassungslos. Wir müssen weiter deutlich machen: Flüchtlinge sind bei uns willkommen!» In dem Wohnblock mit zwei Eingängen, in den die Flüchtlinge einziehen sollten, wohnten noch eine 50 Jahre alte Frau und ein 52-jähriger Mann. Sie konnten sich laut Polizei unverletzt ins Freie retten. Eine Nachbarin hatte beide rechtzeitig gewarnt. Die beiden wohnten auch im Dachgeschoss des Hauses - allerdings nicht direkt in dem für die Flüchtlinge vorgesehenen Bereich.
Erst am Dienstag hatte Landrat Götz Ulrich (CDU) auf einer Einwohnerversammlung in Tröglitz über die Pläne zur Asylbewerberunterkunft informiert. Gut 500 Menschen hatten sich im örtlichen Kulturzentrum eingefunden. Dutzende Fragen musste Ulrich beantworten.
Einen noch so vagen Hinweis auf eine mögliche Straftat gab es laut Ulrich danach nicht. «Überhaupt nicht, da ging es zwar hoch her mit den Meinungen, aber es lief friedlich ab», sagte er am Samstag in Halle. Der Landrat nannte die Nachricht einen «Albtraum» und kündigte an, an der Unterbringung von 40 Flüchtlingen in Tröglitz festzuhalten.
Die Ereignisse in Tröglitz erinnern unweigerlich an den Brandanschlag auf die Asylbewerberunterkunft in Vorra vom Dezember vergangenen Jahres. Die Ermittlungen laufen noch immer.