Bei psychischen Problemen: Schnelle Hilfe statt langes Warten

6.3.2016, 06:00 Uhr
Drei Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Depression. Vom Jahr 2000 bis 2010 hat sich die Zahl mehr als verdoppelt.

© dpa/Matthias Balk Drei Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Depression. Vom Jahr 2000 bis 2010 hat sich die Zahl mehr als verdoppelt.

Die Universität Erlangen-Nürnberg hat deshalb nun eine Hochschulambulanz für Psychologische Psychotherapie eröffnet, in der Patienten gleich behandelt werden - und dafür der Lehre und Forschung dienen. Drei Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Depression. Vom Jahr 2000 bis 2010 hat sich die Zahl mehr als verdoppelt. "Die Menschen haben bei der Arbeit mehr Stress, die Abläufe verdichten sich, es muss mehr schneller gemacht werden", sagt Matthias Berking. "Außerdem wird offener über das Thema gesprochen, eine Depression ist heute kein Stigma mehr."

Berking ist Verhaltenstherapeut und Professor für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Uni Erlangen-Nürnberg. Vor zwei Jahren kam er nach Erlangen mit dem Ziel und Auftrag, die Hochschulambulanz aufzubauen. Nun ist sein Wunsch in Erfüllung gegangen: Seit November läuft der Probebetrieb mit den ersten Patienten, am kommenden Dienstag ist feierliche Eröffnung.

"Wir wollen die Versorgung verbessern und schnelle Hilfe bieten", sagt der 44-Jährige. Denn es könne nicht sein, dass Betroffene drei bis zwölf Monate auf einen Therapieplatz warten müssen. "In dieser Zeit bringen sich manche um, oder ihr Leiden wird chronisch und damit schwerer behandelbar."

Angebot steht jedem offen

Derzeit kümmern sich Berking, Diplom-Psychologin Barbara Gruß und 20 wissenschaftliche Mitarbeiter in Einzel- und Gruppentherapien um Menschen mit psychischen Erkrankungen, am häufigsten Depressionen, aber auch Angst-, Ess- und Zwangsstörungen sowie Alkohol-, Drogen- und Spielsucht. In Zukunft sollen es bis zu sechs Therapeuten werden. "Unser Angebot steht jedem offen, die Kosten werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen", sagt Berking. Betroffene können anrufen und einen Termin vereinbaren, dann folgt ein ausführliches Erstgespräch und eine Diagnose, anschließend etwa 25 Therapiesitzungen, verteilt über ein halbes Jahr. Auch Angehörige können zur Beratung kommen.

Die Hochschulambulanz will keine Konkurrenz zu kommunalen Kliniken oder Privatpraxen sein, sondern eine Ergänzung. "Die Nachfrage ist sowieso groß genug", sagt Berking. "Daher hoffen wir auf friedliche Koexistenz und gute Zusammenarbeit." Der Unterschied ist, dass die Patienten, die in die Uni-Ambulanz kommen, nicht nur sich selbst, sondern auch anderen helfen. Der Professor und sein Team dokumentieren alle Fälle für die Wissenschaft.

In jedem der Therapiezimmer, die Sonne, Wald und Meer heißen, steht eine Kamera. Damit können die Psychologie-Studenten im Nebenzimmer bei den Therapie-Sitzungen zusehen oder die aufgezeichneten Videos anschließend mit dem Professor besprechen. "Natürlich schalten wir die Kamera ab, wenn ein Patient das nicht möchte, aber bis jetzt waren alle sehr aufgeschlossen."

Neue Methoden testen

Die Hochschulambulanz soll dazu beitragen, psychische Störungen besser verstehen und besser behandeln zu können. "Hier können wir große klinische Studien mit vielen Patienten durchführen", sagt Berking. Und neue Methoden testen.

Bei psychischen Problemen: Schnelle Hilfe statt langes Warten

© Harald Sippel

Einem Patienten mit Höhenangst band der Professor ein Smartphone um die Brust - und schickte ihn auf eine Brücke. "Über den Bildschirm konnte ich sehen, was er sieht und mit dem Mikrofon hören, was er hört." Er konfrontierte ihn mit seiner Angst, forderte ihn auf, nah an das Geländer zu treten und sogar hinunterzusehen. "Ich konnte ihm beistehen, ohne dort zu sein, ihm klarmachen, dass nichts passieren kann und nach und nach lässt in solchen Situationen die Angst nach."

Mit Hilfe einer Handy-App gelang es auch, die Rückfallquote von Alkoholikern in einer Studie um 13 Prozent zu senken. Die Teilnehmer mussten Bilder alkoholhaltiger Getränke auf dem Bildschirm wie in einem Spiel von sich wegschieben und alkoholfreie Getränke zu sich herziehen. "Das klingt banal, aber es funktioniert", sagt Berking. Das Gehirn lässt sich umprogrammieren. "In der Verhaltenstherapie bewerten wir mit den Patienten alltägliche Situationen, wir analysieren, wie sie über bestimmte Dinge nachdenken und trainieren neues Verhalten."

Nicht nur die Studenten profitieren davon, dass sie in den Behandlungsprozess einbezogen werden, sagt der Professor: "Eine 17-Jährige mit Magersucht hat lieber auf den Ratschlag einer 21-jährigen Studentin als auf mich gehört."

Die Hochschulambulanz ist in der Nägelsbachstraße 25a in Erlangen. Telefonzeiten Di. 13 bis 16 Uhr und Mi. 10 bis 13 Uhr, * 0 91 31/8 56 75 77 www.hap.phil.uni-erlangen.de

Keine Kommentare