Der Club stößt in der Bundesliga an seine Grenzen
24.12.2018, 05:23 UhrEs war eine seltsam diffuse Stimmung, die sich am Samstag nach dem Schlusspfiff über das Max-Morlock-Stadion legte. Während viele Fans zunächst ihrem Frust mit Pfiffen freien Lauf ließen, vollzog die Nordkurve in einer Art Trotzreaktion demonstrativ den Schulterschluss mit der Mannschaft. Mit leidenschaftlichen Appellen, aufmunterndem Beifall und Gesängen verabschiedete sie die Profis des 1. FC Nürnberg in die Winterpause. Jene Profis wohlgemerkt, die gerade auch ihr letztes Spiel des Jahres gegen einen schwachen SC Freiburg 0:1 verloren hatten und mit mageren elf Punkten als Schlusslicht Weihnachten feiern müssen.
Die emotionale Zerrissenheit der Anhänger nach dem elften sieglosen Spiel und der vierten Niederlage in Folge verdeutlicht die Crux beim Club. Was kann, was darf man von einem Aufsteiger erwarten, der das Abenteuer Bundesliga mangels Geld ohne nennenswerte Verstärkungen angegangen ist? Der sich der romantischen Hoffnung hingegeben hat, mit dem Teamspirit der Aufstiegself auch eine Etage weiter oben Berge versetzen zu können? Der darauf vertraut hat, mit taktischer Flexibilität, kreativen Matchplänen und akribischer Trainingsarbeit einen Mangel an fußballerischer Qualität kompensieren zu können?
Sportvorstand Andreas Bornemann wird nicht müde, auf die finanzielle Kluft hinzuweisen, die den Club nach vier Jahren in der 2. Liga selbst von Vereinen wie Augsburg, Mainz oder Freiburg trennt. "Wir wussten vor der Saison auch, dass wir viele Dinge richtig machen müssen." Richtig machten sie: viel zu wenig. Von den Zugängen darf allenfalls Virgil Misidjan als Verstärkung gelten. Die Bremer Leihgabe Robert Bauer erwies sich als biederer Mitläufer. Der Japaner Yuya Kubo, eigentlich ein feiner Fußballer, scheint irgendwie nicht ins System zu passen. Der Brasilianer Matheus Pereira hat Potenzial, wirkt aber noch zu naiv. Die deutschen Talente spielten bislang gar keine (Timothy Tillman), kaum (Törles Knöll) oder nur notgedrungen (Kevin Goden) eine Rolle.
Aber auch das Entwicklungspotenzial des bestehenden Personals wurde offenbar dezent überschätzt: Die lange verletzten Sebastian Kerk und Patrick Erras sind längst nicht wieder die Alten, Aufstiegshelden wie Torhüter Fabian Bredlow oder Linksverteidiger Tim Leibold taten sich erstaunlich schwer mit der neuen Liga. Wenn dann noch Ausfälle von letztjährigen Leistungsträgern wie Ewerton, Mikael Ishak, Hanno Behrens, Eduard Löwen und Enrico Valentini oder des zwischenzeitlich zur Nummer eins beförderten Christian Mathenia dazukommen, kann das der Kader einfach nicht mehr auffangen.
Jobgarantie mit Risiken
Nach zwei Siegen, fünf Unentschieden und zehn zum Teil happigen Niederlagen bleibt die simple Erkenntnis: Es reicht so einfach nicht. Nicht hinten (38 Gegentreffer), nicht vorne (14 Tore), nicht in der Mitte, nicht an der Seitenlinie, wo Bundesliga-Novize Michael Köllner bei allem Eifer vielleicht doch mehr Lehrgeld zahlen musste, als er selbst geglaubt hätte.
Eine Trainerdiskussion, das hat Bornemann stets betont, wird es in Nürnberg dennoch nicht geben. Er betrachtet Köllner nach wie vor als idealen Coach für den 1. FCN, "weil er unsere Möglichkeiten akzeptiert und den extrem anstrengenden Weg mitgeht, junge Spieler zu entwickeln". Deshalb werde man mit dem 48-Jährigen notfalls sogar wieder in die 2. Liga gehen. Bei allem ehrbaren Bemühen um Kontinuität birgt diese bedingungslose Jobgarantie aber auch Risiken.
Trotz 12:3-Ecken: Auch gegen Freiburg reicht es nicht
Köllner ist zweifellos extrem fleißig und engagiert und identifiziert sich in hohem Maße mit dem Verein, ist aber innerhalb der Mannschaft längst nicht mehr unumstritten. Vom ansteckenden Elan und dem offen zur Schau getragenen Selbstbewusstsein, mit dem der Spätberufene das Abenteuer Bundesliga anging, ist momentan kaum noch etwas zu spüren. Köllner wirkt zunehmend ratlos, flüchtet sich in Durchhalteparolen, Phrasen und mitunter eigenwillige Spielanalysen. Manche Aufstellungen und Wechsel sind nur schwer nachvollziehbar, viele Spieler stagnieren in ihrer Entwicklung, im Ansatz durchaus nachvollziehbare taktische Konzepte gehen zu selten auf.
Sollte auch der Rückrundenstart misslingen, wird man sich am Valznerweiher allen Treueschwüren zum Trotz wohl kaum mehr dauerhaft den branchenüblichen Mechanismen verweigern können. Die Vorstellung, erst sang- und klanglos abzusteigen und dann mit Köllner fröhlich und unbelastet den nächsten Neuaufbau anzugehen, dürfte kaum funktionieren. Doch noch muss und mag man an solche Szenarien keinen Gedanken verschwenden. "Wir werden jetzt bestimmt nicht kapitulieren", versprach Bornemann, räumte aber auch ein: "Nach 17 Spieltagen hat die Tabelle schon eine Aussagekraft. Und wir sind Letzter." 17, 18 Vorrundenpunkte hatte sich der 47-Jährige in einer persönlichen Hochrechnung vor der Saison erhofft, "damit wären wir als Aufsteiger ordentlich unterwegs gewesen". Dass es nur elf geworden sind, obwohl die Mannschaft doch durchaus mehr verdient habe, "damit können wir nicht zufrieden sein", befand Bornemann. Es werde "größte Mühen und Anstrengungen" erfordern, verlorenen Boden gutzumachen. Dennoch habe man in dieser Saison auch "viele Dinge und Ansätze gesehen, die uns zuversichtlich stimmen".
Tabelle als Resthoffnung
Das Prinzip Hoffnung. In erster Linie auf die "gefühlten Neuzugänge aus den eigenen Reihen", wie es Bornemann formulierte, also die Rückkehr der Verletzten, die allesamt zum Trainingsauftakt am 3. Januar wieder an Bord sein sollen. Was Transfers betrifft, gibt sich Bornemann zurückhaltend. Man habe im Etat "einen gewissen Spielraum" gelassen, um personell nachjustieren zu können. Allerdings gelte es abzuwägen, "was man der Mannschaft im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten Gutes tun kann, damit wir besser werden". Was übersetzt heißt: Garantierte Verstärkungen für kleines Geld sind in dieser Transferperiode kaum zu bekommen. Selbst die Verpflichtung eines Zweitligastürmers wie Kingsley Schindler von Holstein Kiel "war im Sommer nicht möglich und ist auch jetzt relativ kompliziert", wie Bornemann gestand.
Ein bisschen Hoffnung lässt zumindest die aktuelle Tabellenkonstellation, sind es doch nur drei Zähler zum Relegationsplatz, vier zum rettenden Ufer. Allerdings dürften Stuttgart und Augsburg über mehr spielerisches Potenzial verfügen, Mitaufsteiger Düsseldorf konnte sich sogar etwas absetzen. Selbst wenn man wohlwollend davon ausgeht, dass vielleicht schon knapp über 30 Punkte reichen könnten, müsste der Club seinen Ertrag in der Rückrunde verdoppeln. Ein kaum zu stemmender Kraftakt, zumal man gegen fast alle Kellerkonkurrenten auswärts antreten muss und es zu Hause mit den Topteams Dortmund, Bayern, Mönchengladbach und Leipzig zu tun bekommt. "Wir werden alles dafür tun, um am Ende in der Liga zu bleiben", versprach Köllner. Ob das reicht, ist spätestens seit Samstag mehr als fraglich.
165 Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen