Deutsche haben Angst vor Terror und Zuwanderung
12.7.2016, 20:03 UhrEin leichtes Unwohlsein in der Menschenmenge auf der Fußball-Fanmeile. Abends ein prüfender Blick auf die bärtigen Männer, die sich in der U-Bahn laut auf Arabisch unterhalten. Manchmal sind es kleine, ganz individuelle Reaktionen, die das Alltagsleben in Deutschland verändert haben. Nun zeigt die repräsentative Umfrage "Die Ängste der Deutschen", dass wachsende Unsicherheitsgefühle kein Einzelfall, sondern ein Massenphänomen sind. "2016 ist das Jahr der Ängste", kommentiert Manfred Schmidt, Politologe an der Universität Heidelberg. Dabei gebe es erstmals erdrutschartige Verschiebungen - weg von den üblichen Sorgen um Geld, Gesundheit und Umwelt und hin zu Terror und Extremismus.
Zum ersten Mal seit 25 Jahren schlägt bei der Langzeit-Umfrage die Angst vor Attentaten alles aus dem Feld, dicht gefolgt von der Furcht vor politischen Extremisten sowie Spannungen und Überforderung durch Zuwanderung. Die Intensität ist sichtbar, Balkendiagramme steigen an der Spitze zu einem wahren Angstberg an, hinter dem persönliche Sorgen verblassen. Im Unterschied zu früher zeigt sich dabei im Osten und Westen des Landes sowie bei Männern und Frauen fast das gleiche Bild.
Auch in Bayern ist die Angst gewachsen - allerdings nicht in dem Maße wie in anderen Bundesländern. Das hat den Effekt, dass der Freistaat im Ranking der Bundesländer mit den größten Sorgen nach unten fällt und den Mittelfeld-Platz sieben belegt. Überdurchschnittlich viele Bayern (nämlich 72 Prozent im Vergleich zu 66 Prozent bundesweit) fürchten, dass die Politik ihren Aufgaben nicht gewachsen ist - nur in Mecklenburg-Vorpommern und Hessen haben die Bürger noch weniger Vertrauen. Das dürfte vor allem der mit absoluter Mehrheit regierenden CSU zu denken geben.
Kanzlerin Merkel zeigt Verständnis für Terror-Angst
Die Terror-Angst der Deutschen - aus Sicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist sie nachvollziehbar. "Das liegt natürlich ganz klar daran, dass wir eine Vielzahl terroristischer Ereignisse auf der Welt haben, und auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, in Belgien, in der Türkei, in Frankreich. Und dass wir natürlich auch in Deutschland wissen, dass wir dschihadistische Kräfte im Land haben", sagt die Kanzlerin in einem Sat.1-Interview. Wenngleich die Behörden alles täten, um die Sicherheit zu gewährleisten, sei es verständlich, dass die Bevölkerung sich "über dieses Thema Gedanken macht".
Für Schmidt sind die Bundesbürger dennoch kein Volk von Angsthasen. Sie reagierten vielmehr mit einem sicheren Gespür für Veränderungen sensibel auf Grundströmungen. In diesem Jahr seien sie an ihrer Achillesferse getroffen: ihrem Sicherheitsbedürfnis. "Die deutsche Bevölkerung ist besonders stark auf der Suche nach wirtschaftlicher, sozialer, innen- und außenpolitischer Sicherheit", erläutert Schmidt. Die Erwartungen seien dabei in erster Linie an Staat und Wirtschaft gerichtet.
Das mag auch die schallende Ohrfeige erklären, die eine satte Zwei-Drittel-Mehrheit der Befragten Politikern verpasst: Sie halten sie schlicht für überfordert. "Dieses vernichtende Urteil stellt alles in den Schatten, was wir bisher an Werten für diese Umfrage hatten", sagt Schmidt. Es sei ein Zeichen dafür, dass die Politik beim Management der Flüchtlingskrise das Zutrauen der Bevölkerung verloren habe. Für den Politologen sind die Sorgen vor dem Kontrollverlust des Staates keine diffusen Ängste. Politiker stellten sich bei der Bewältigung der Flüchtlingsfrage wirklich tot, urteilt er.
Die Umfrage steht nicht allein. Viele Europäer befürchten nach einer aktuellen Erhebung des US-Meinungsforschungsinstituts Pew, dass der Flüchtlingszustrom die Terrorgefahr in ihrem Land erhöht. Spitzenreiter unter mehr als 10.000 Befragten in zehn Ländern ist Ungarn mit 76 Prozent, gefolgt von Polen (71) sowie Deutschland und den Niederlanden (je 61 Prozent). Auch die Sorge, dass Flüchtlinge eine wirtschaftliche Belastung werden könnten, ist nach dieser Umfrage in acht von zehn Ländern verbreitet.
Reale Anlässe hinter den Sorgen
Auch Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité, sieht reale Anlässe hinter den Sorgen der Deutschen. "Wir leben in einer Zeit, in der die Terrorismus-Gefahr bei uns sehr hoch ist", sagt die Professorin. "Istanbul, Paris, Brüssel - die Einschläge kommen immer näher." Auch die große Zuwanderung und die Überforderung vieler Behörden damit sei eine Realität, die auf viel mehr Medien-Kanälen als früher in das Alltagsleben einbreche.
"Die Aussage, dass es in Deutschland keine konkrete Terrorgefahr gibt, sondern nur eine abstrakte - das ist doch eine leere Formel", kritisiert sie. "Das steigert die Verunsicherung nur noch." Hilfreicher wäre es für Politiker zu sagen: Ja, es gibt auch bei uns eine hohe Wahrscheinlichkeit für Anschläge. Aber die Wahrscheinlichkeit, selbst davon getroffen zu werden, ist sehr gering. "Damit können Menschen auch auf emotionaler Ebene etwas anfangen."
Jugendstudien haben jüngst gezeigt, dass Teenager in unsicherer Zeit einen Kuschelkurs mit ihren Eltern fahren und auf Rebellion verzichten. Und Erwachsene? "Sie reagieren ähnlich", sagt Psychologin Isabella Heuser. "Der Mensch ist ein Herdentier, er orientiert sich zuerst an seiner eigenen Gruppe." Angefangen bei der Familie, über Arbeitsplatz und Freundeskreis bis hin zu kultureller Identität schlössen sich Menschen nun oft enger zusammen. Umso ungeschickter sei es, Ängste vor Zuwanderung schnell als unmoralisch oder rechtsradikal abzutun - vor allem in Regionen mit wenig Ausländererfahrung, ergänzt Heuser.
6 Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen