Ein Leben für die Macht: Kohls Weg zum Bundeskanzler

17.6.2017, 08:37 Uhr
Eine historische Gelegenheit und ein Meer von Fahnen: Helmut Kohl winkt 1990 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Erfurt den begeisterten Menschen zu. Die Bürger wollten die deutsche Einheit — und sie wollten Kohl als Kanzler.

© dpa Eine historische Gelegenheit und ein Meer von Fahnen: Helmut Kohl winkt 1990 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Erfurt den begeisterten Menschen zu. Die Bürger wollten die deutsche Einheit — und sie wollten Kohl als Kanzler.

Wahrscheinlich sind es gerade die unspektakulären Seiten, die Helmut Kohl am besten charakterisieren: Stundenlang saß er zum Beispiel im Bonner Kanzleramt und telefonierte – mit Abgeordneten seiner Partei, aber auch mit ganz normalen Kreisvorsitzenden. Das war etwas, was er besonders gut konnte: Nähe herstellen, Geschichten erzählen, Vertrauen gewinnen. Er war ein begnadeter Netzwerker und Strippenzieher – und diese Eigenschaft half ihm auch im Verhältnis zu den ganz Großen der internationalen Politik, etwa George Bush in den USA, Michail Gorbatschow in Moskau oder François Mitterand in Frankreich.

Das war das Mittel, und das Ziel war: Macht. Praktisch jede der zahlreichen Biografien, die es über ihn gibt, bestätigt diesen Aspekt, und Helmut Kohl begann schon sehr früh damit, nach Einfluss zu streben. Er gründete in seiner Heimatstadt Ludwigshafen die Junge Union — und konnte in ihr bereits mit 16 Jahren Mitglied werden, als die CDU sich in den Nachkriegsjahren gerade formierte.

Die politische Ausrichtung war naheliegend, denn Kohl stammte aus einer geradezu klassischen "schwarzen" Familie, katholisch, kleinbürgerlich und konservativ. Sein Machtwille führte auch dazu, dass er oft der Jüngste war, zum Beispiel als Landtagsabgeordneter und dann als Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz.

Start mit Reformen

In seiner frühen Zeit nutzte er seine Macht zu Reformen. In Rheinland-Pfalz räumte er mit verzopften Provinz-Strukturen auf, die CDU formte er als Parteichef ab 1973 zu einer modernen Volkspartei. Der Wechsel in die Bundespolitik, als Oppositionsführer nach der nur knapp verlorenen Bundestagswahl 1976, war unter diesem Aspekt zwingend: Mehr Macht als ein Kanzler hat in der Bundesrepublik niemand.

Zwei Männer standen ihm im Weg: Franz Josef Strauß, der bayerische Dauerrivale. Ihn schaltete er aus, indem er ihn in die Wahlniederlage von 1980 laufen ließ. Und Helmut Schmidt, den damaligen sozialdemokratischen Kanzler, brachten 1982 die Freien Demokraten zu Fall.

Innenpolitik schien Kohl zu Beginn seiner Regierungszeit nur mäßig zu interessieren. Die "geistig-moralische Wende", die er vollmundig angekündigt hatte, blieb aus. Das gilt auch für die damals dringend nötige Reform der überforderten Sozialsysteme.

Das machte er in der Außenpolitik wieder wett, besonders bei der Wiedervereinigung. Selbst Helmut Schmidt, der gewiss nicht an mangelndem Selbstbewusstsein litt, bescheinigte seinem Nachfolger im Kanzleramt eine "Glanzleistung", weil Helmut Kohl rechtzeitig einen Zehn-Punkte-Plan zur Ausgestaltung der näherrückenden deutschen Einheit vorstellte. Und dann war da noch Kohls stark ausgeprägte Fähigkeit, die richtigen Männer in Moskau, Washington oder Paris auf seine Seite zu ziehen — und auf diese Weise die skeptische Premierministerin Margaret Thatcher in London zu isolieren.

Schwarze Kassen und Verbannung

Kohls innerparteiliche Macht hatte auch mit Geld zu tun: Zum System Kohl gehörten auch die schwarzen Kassen, die er führen ließ und für Zahlungen an Funktionäre nutzte, die ihm dann verpflichtet waren. Andersrum galt auch: Wen Kohl nicht mochte, der geriet in die Verbannung. Selbst langjährige, von ihm geförderte Weggefährten gerieten ins Abseits, wenn sie aufzumucken wagten — darunter Namen wie Heiner Geißler, Norbert Blüm oder Wolfgang Schäuble.

Genau dieser Machtwille, der auch vor Gesetzesbrüchen bei der Parteienfinanzierung nicht zurückschreckte, beschädigte Helmut Kohls guten Ruf nachhaltig. Denn die Herkunft der ominösen Gelder verriet er bis zu seinem Tode nicht.

Kohls Leben wurde auch von privaten Tragödien überschattet: Die schlimmste war der Suizid seiner hoch angesehenen Frau Hannelore im Jahr 2001. Nach sieben Jahren folgte eine zweite Ehe, mit der 34 Jahre jüngeren Maike Richter-Kohl. In diesem Zusammenhang wurde auch das Verhältnis zu seinen beiden Söhnen nachhaltig beschädigt. Ebenfalls 2008 hatte Kohl bei einem Sturz eine schwere Schädel-Hirn-Verletzung erlitten. Deshalb saß er die letzten Lebensjahre im Rollstuhl und konnte sich nur noch schwer artikulieren.

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