Hohe Gebühren: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in der Kritik
1.12.2017, 05:37 UhrVor ein paar Wochen lud der Bayerische Rundfunk in Nürnberg zum Empfang: Man begrüßte Gäste aus Gesellschaft und Politik, zeigte einen extra für diesen Anlass produzierten Imagefilm und gab sich bei Aperol und Häppchen prächtig gelaunt.
Studioleiterin Kathrin Degmair lobte die Arbeit der Mitarbeiter, Intendant Ulrich Wilhelm das ganze Studio Franken und auch sonst das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Der Empfang war Teil einer breit angelegten Marketingstrategie des BR: In allen bayerischen Regierungsbezirken gab es ähnliche Veranstaltungen, zudem werden verstärkt Hintergrundgespräche und andere Runden abgehalten. Alles mit einem Ziel: für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu werben. Denn der steht wie wohl nie zuvor in der Kritik. GEZ-Verweigerer gab es früher auch, doch immer breitere Schichten hinterfragen inzwischen den Rundfunkbeitrag und damit die Sender.
Besonders junge Menschen konsumieren gar kein klassisches Fernsehen mehr, sie streamen lieber gleich im Internet, nutzen Netflix oder Amazon Prime. Sie sehen es erst recht nicht ein, monatlich eine Abgabe von 17,50 Euro zahlen zu müssen – besonders wenn dafür auch ihnen sehr ferne Unterhaltungsshows mit einem Millionen-Etat präsentiert werden.
CSU-Chef Horst Seehofer forderte Zusammenlegung
Die Politik greift diese Stimmung auf: Die AfD, die immerhin 92 Abgeordnete im neuen Deutschen Bundestag stellt, will die Auflösung von ARD und ZDF. An ihrer Stelle solle eine schlankere, bürgernähere Rundfunkanstalt gegründet werden. Parteichef Jörg Meuthen spricht regelmäßig von einer von "Zwangsfinanzierung" der Sender.
Bei den etablierten Parteien sind inzwischen ähnliche Töne zu vernehmen. Der Medienminister von Sachsen-Anhalt, Rainer Robra (CDU), schlug vor, die ARD als nationalen Sender abzuschaffen und nur das ZDF zu behalten. Die ARD solle sich künftig auf die Berichterstattung aus den Bundesländern konzentrieren. CSU-Chef Horst Seehofer forderte schon eine Zusammenlegung der beiden Sender. Und deutlich größere Sparanstrengungen als bisher wollen Politiker aller Parteien bei den Öffentlich-Rechtlichen sehen.
Jährlicher Etat von etwa acht Milliarden Euro
Auf der anderen Seite liegen die Sender im Clinch mit Verlagen. Diese sehen den Expansionsdrang von ARD und ZDF in die digitale Welt kritisch, besonders, dass die Sender nicht nur Fernsehinhalte, sondern auch immer mehr Texte ins Netz stellen – und damit zu einer noch größeren Konkurrenz erwachsen. Denn für die Verlage geht es um mehr als für die abgabenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen, es geht um ihre Zukunft und vielleicht auch um die Frage, wie lange sie auf diesem umkämpften Markt noch bestehen können.
Denn Zeitungs- und Zeitschriftenhäuser müssen – egal bei welchem Angebot – immer über eine Monetarisierung nachdenken. Sie müssen Geld verdienen, um sich, ihre Produkte und Mitarbeiter finanzieren zu können. ARD, ZDF und (der im Verhältnis zu den anderen sehr kleine) Deutschlandfunk verfügen hingegen dank der stetig fließenden Rundfunkbeiträge über einen jährlichen Etat von acht Milliarden Euro - mit denen dann über 20 Fernsehsender, mehr als 60 Radiostationen und eine Vielzahl von Online-Plattformen mit insgesamt rund 25.000 festen Mitarbeitern finanziert werden können.
Besonders Mathias Döpfner, Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger und Chef von Deutschlands größtem Verlag Axel Springer, nimmt die Sender seit Monaten ins Visier. Er spricht von Wettbewerbsverzerrung, polemisch gar von "Staatsfunk". Mitarbeiter der Sender antworten in einer öffentlichen Erklärung, Döpfer reagiert wieder. Und so geht es munter hin und her, aufmerksam von der Politik beobachtet.
Besondere Verantwortung für öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Denn auch die ist kein neutraler Spieler: Viele Politiker sitzen in Aufsichts- oder Kontrollgremien der Sender, andere sehen die Wirtschaftskraft, die die Sender mit ihren großen Standorten ihren Regionen bringen. Und dann gibt es noch Wechsel zwischen den Welten: Regierungssprecher Steffen Seibert moderierte früher beim ZDF das Heute Journal. Und BR-Intendant Ulrich Wilhelm sprach einmal für die bayerische Staatskanzlei und dann für die Kanzlerin.
Aus dieser Zeit mitgenommen hat er eine auch für seinen jetzigen Job bedeutende Fähigkeit: mit Menschen zu reden, ihnen das Gefühl wichtiger Einblicke in sein Denken zu geben und dabei für seine Sache zu werben. Wilhelm tut das an einem Novembermorgen, es ist grau in München, was schade ist, denn so ist der Ausblick aus seinem Büro im 15. Stock des BR-Hochhauses nur noch schön und nicht spektakulär wie an sonnigen Tagen.
Es gibt Plätzchen, Brezen und Kaffee und einen Ulrich Wilhelm, der sich ganz zugewandt gibt: Er werde sich große Mühe geben, die Interessengegensätze mit den Verlagen vernünftig aufzulösen, verspricht er da. Schließlich sei man sich ähnlich: "Gemeinsam stellen wir die Qualitätsmedien dar, gemeinsam dienen wir der Meinungsbildung."
Finanzierung des Systems
Und zusammen müsse man sich der Medienkritik stellen, die in den vergangenen Jahren immer wieder laut wurde. "Das erfordert bei uns eine neue Fähigkeit zur Selbstkritik. Wenn wir das nicht leisten, wird es in Internet und sozialen Medien mehr Teil- und Gegenöffentlichkeiten geben. Eine solche Spaltung der Gesellschaft tut der Demokratie nicht gut." Den öffentlich-rechtlichen Rundfunk treffe aber eine besondere Verantwortung. Denn: "Wir werden von allen finanziert und müssen daher allen Menschen ein journalistisch hochwertiges Angebot machen, das von ihnen akzeptiert wird."
Allen nach den Mund reden dürfe man trotzdem nicht. Stattdessen müsse man sauber trennen zwischen Nachricht und Kommentar, präzise belegen, was man weiß und deutlich machen, wo es noch Lücken gebe. Und: die Unterschiede zu sozialen Netzwerken, in denen oft sehr unsauber gearbeitet und mit Halbwahrheiten oder gar Fake News, also erfundenen Nachrichten, hantiert wird, herausarbeiten.
Die Finanzierung des Systems will Wilhelm nicht infrage stellen – im Gegenteil. Er fordert eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags. "Wenn dies – wie in den letzten acht Jahren – ausbleibt, müssten wir anfangen, massiv im Programm zu kürzen – zulasten unseres Publikums." Sprich: Man müsse schauen, welche Sendung verzichtbar wäre. Wobei Wilhelm immer betont: Nach bestehenden Regularien fallen bei einer Streichung im Programm die dafür eingeplanten Mittel komplett weg – und können nicht an anderer Stelle eingesetzt werden. "Es wäre eine weitere Ausdünnung der Qualität."
An der haben die Öffentlich-Rechtlichen ohnehin schon ordentlich gespart, glaubt zumindest Johanna Haberer, Professorin für Christliche Publizistik am Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Denn Quote gilt in den Anstalten immer noch als Legitimation für den Rundfunkbeitrag. Und so wird auf TV-Sendungen, die "Bares für Rares" oder "Sturm der Liebe" heißen, gesetzt, in der Hoffnung, damit hohe Marktanteile zu erzielen. Leichtes Unterhaltungsfernsehen und Telenovelas also. "Da sitzt man in den Sendern, blickt auf die Kosten und hat Angst vor der Quote – das lässt die Kreativität erstarren", sagt Haberer - eigentlich eine Anhängerin des Systems öffentlich-rechtlicher Rundfunk.
Bis 2025 sollen insgesamt 450 Stellen abgebaut werden
Durch diesen "Teufelskreis" werde das Programm immer ähnlicher zu dem der doch oft gering geschätzten privaten Sender. Gleichzeitig klammerten sich Verantwortliche an vermeintlichen Quotenbringern fest, Programm und Sendungen würden abwaschbar. "Das ist jämmerlich", so Professorin Haberer. All das nage an der Legitimation der Öffentlich-Rechtlichen.
Denn deren Auftrag ist es nun einmal – gesetzlich festgeschrieben –, "zur Information, Bildung, Beratung, Kultur und Unterhaltung einen Beitrag zur Sicherung der Meinungsvielfalt und somit zur öffentlichen Meinungsbildung" beizutragen. Spötter sagen, heute gehe es primär um Unterhaltung, kaum mehr um Bildung oder Kultur. Einer wie BR-Intendant Wilhelm widerspricht dem naturgemäß heftig: "Von zu wenig Bildungs- und Informationssendungen kann wirklich keine Rede sein." Im Gegenteil, man gebe sogar einen Großteil des Haushalts dafür aus.
Gleichzeitig verweist er aber auf die politischen Vorgaben, sparen zu müssen. 2018 werde man mit "maßvollen Kürzungen noch einmal über die Runden kommen. Dann sind aber die Einsparungen jenseits des Programms ausgereizt".
Sogar ans Personal geht der BR, der doch sonst in der Branche für seine sehr guten Konditionen bekannt war. Mitarbeiter haben Abfindungsverträge unterschrieben, im lange ordentlich finanzierten Fernsehbereich werden die Sätze für Freie reduziert, zusätzlich will man bis 2025 insgesamt 450 Stellen in der Produktion abbauen — betroffen sind zum Beispiel Kulissenmacher, Schreiner oder Cutter und Beleuchter.
Eigentlicher Gegner sitzt nicht in Deutschland
Entsprechend mies ist die Stimmung bei den Beschäftigten. Lange, hintergründige Beiträge lohnten sich kaum mehr, sie würden, gemessen am Arbeitsaufwand, zu schlecht bezahlt, sagt eine langjährige BR-Journalistin. "Wir sind ausgebrannt." Denn gleichzeitig steige der Druck von oben, denn der Intendant hat das Haus seit seinem Antritt auf Digitalisierung getrimmt – und will das auch forcieren.
"Wenn wir eine Zukunft haben wollen, dürfen wir uns nicht abmelden aus den digitalen Veränderungen", sagt Wilhelm. Er will weiter investieren, in Datenteams und technische Applikationen. Denn im Netz seien die Menschen zunehmend unterwegs. "Würden wir keine digitalen und mobilen Angebote machen, würde unser Publikum das zu Recht nicht verstehen. Das wäre der Anfang vom Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks."
Denn der eigentliche Gegner, glaubt Wilhelm, sitzt gar nicht in Deutschland. Er sitzt vielmehr in den USA - mit Google, Facebook, Amazon. Er wolle nicht, dass diese künftig allein über Inhalte im Internet bestimmen. In diesem Punkt ist Wilhelm mit Politik und Verlagen sogar einer Meinung.
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