"In die Fresse": SPD-Fraktionschefin Nahles teilt aus
27.9.2017, 19:53 UhrDie neue SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles will ihre bei der Wahl abgestürzte Partei nach einem Erneuerungsprozess 2021 wieder an die Regierung bringen. "Wir gehen nicht in die Opposition, um in der Opposition zu bleiben", sagte die 47-Jährige in Berlin. Die bisherige Arbeitsministerin erhielt rund 90 Prozent der Stimmen ihrer Fraktionskollegen. "Ich bin sehr dankbar für diesen Vertrauensbeweis. Das ist für mich der Beginn eines Erneuerungsprozesses der SPD." Zum ersten Mal in der SPD-Geschichte führt damit eine Frau die Abgeordneten an.
Der bisherige Koalitionspartner Union wird es im Bundestag mit einer kämpferischen Oppositionsführerin zu tun bekommen, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Nach ihrer letzten Kabinettssitzung am Mittwoch mit den Ministerkollegen der Union sei sie zwar ein bisschen wehmütig - "ab morgen kriegen sie in die Fresse", sagte die Rheinland-Pfälzerin mit einem breiten Lachen, die auch mal Juso-Chefin und SPD-Generalsekretärin war. Es sei nicht ganz einfach, von der Regierungs- direkt auf die Oppositionsbank zu wechseln. Nun gelte für sie persönlich und die SPD: "Einfach umparken im Kopf."
Die SPD, die bei der Bundestagswahl mit 20,5 Prozent ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis einfuhr, müsse ihr Profil schärfen. So seien Antworten auf den neuen "digitalen Kapitalismus" überfällig. Große globale Internetkonzerne stellten zwar Leute ein, bezahlten aber keine Steuern, kritisiert Nahles.
Die SPD müsse auch deutlicher machen, wie es im Land gerechter zugehen soll, damit Menschen in ländlichen Regionen wieder Mut fassen. "Wir sind natürlich die Partei der sozialen Gerechtigkeit. Aber was heißt das? Wie spüren die Leute das im Alltag?" Weitere Schwerpunkte der SPD im Parlament würden die Sicherheitspolitik und Europa. Alle Themen müssten europäisch mitgedacht werden, so wie es Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gerade gefordert habe: "Wir werden die Europapartei in diesem Parlament werden."
Strategie für Umgang mit AfD
Die pragmatische SPD-Linke Nahles forderte alle demokratischen Parteien im Bundestag auf, sich gemeinsam eine Strategie im Umgang mit der AfD zu überlegen. "Für mich ist die AfD noch keine Normalität in diesem Parlament. Ich wünsche mir, dass wir es schaffen, sie in vier Jahren wieder unter die Fünf-Prozent-Hürde zu drücken." Die SPD dürfe aber nicht alle AfD-Wähler aufgeben, darunter seien 20 Prozent Arbeiter. Rechtsradikale Kräfte "und diejenigen, die deutsch-nationale Töne spucken, die können mir getrost gestohlen bleiben", sagte Nahles.
Wenig Hoffnung hat sie auf eine Annäherung mit der Linkspartei. Dafür sehe sie momentan keine ermutigenden Signale. Die Neuausrichtung der SPD werde nicht stur nach einem Links-Rechts-Schema ablaufen. "Es geht nicht um eine Himmelsrichtung. Wenn es so einfach wäre, wäre es schön."
Carsten Schneider wird Nahles' rechte Hand
Rechte Hand von Nahles wird der Thüringer Haushaltsexperte Carsten Schneider - ein Vertreter des konservativen SPD-Flügels. Parteichef Martin Schulz hatte dafür den amtierenden Generalsekretär Hubertus Heil vorgesehen. Auf Druck des rechten SPD-Flügels wurde daraus aber nichts, Schulz konnte sich nicht durchsetzen.
Eine Rolle rückwärts in eine große Koalition wird die SPD nach Ansicht von Nahles auf keinen Fall machen. "Das müsste auch jetzt jeder kapiert haben." SPD-Altkanzler Gerhard Schröder äußerte jedoch Zweifel, ob die schnelle Absage seiner Partei nach der Wahlniederlage an eine rechnerisch mögliche neue große Koalition richtig ist. "Ich weiß nicht, ob es vernünftig war", sagte er bei einer Veranstaltung in Berlin. Er rechne aber damit, dass Union, FDP und Grüne eine Jamaika-Koalition eingehen. Neuwahlen seien den Bürgern jedenfalls nicht zu vermitteln: "Man kann dem Volk in einer Demokratie nicht sagen: Leider habt ihr falsch abgestimmt, versucht es doch noch einmal", sagte Schröder.
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