Kämpferin für eine bessere Welt oder Terrorhelferin?
29.10.2017, 17:59 UhrGefängnisse sind kalte, auf Besucher abweisend wirkende Orte. Auch die Frauenhaftanstalt München-Stadelheim. An der Pforte kommuniziert man über eine Gegensprechanlage mit den hinter Panzerglas sitzenden Beamten. Der Weg ins Innere führt durch Doppeltürschleusen, in denen sich die zweite schwere Metalltür erst öffnen lässt, wenn die erste langsam ins Schloss gefallen ist.
Die Tristesse des Besucherzimmers ist in diesem Fall selbst für Gefängnisverhältnisse eine sehr spezielle. Den vielleicht zwölf Quadratmeter großen Raum trennt in der Mitte eine an beiden Seiten von einem Metallgitter gesäumte Glasscheibe. Drei Stühle auf der einen Seite – für den Besucher, den ihn begleitenden Anwalt Yunus Ziyal und für die dahinter Platz nehmende Beamtin des Bundeskriminalamts. Sie wird mit strengem Blick das Gespräch überwachen und einschreiten, wenn Fragen zum Verfahren oder zu Mitangeklagten gestellt werden. Es ist der Besuch bei einer seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft sitzenden Frau, die von der Bundesanwaltschaft zumindest für eine potenzielle Terroristin gehalten wird.
Nach kurzem Warten öffnet sich auf der Gegenseite die Tür. Banu Büyükavci kommt herein. Sie lächelt. Ach was, sie strahlt. Und die 46-jährige dezent geschminkte Frau mit den schwarzen Locken wird bis zur letzten Minute der einstündigen Besuchszeit nicht aufhören zu strahlen. Banu Büyükavci wirkt auf andere Menschen wie ein Kraftwerk positiver Energie. Was das mit ihrer Umgebung macht, ist der Vollzugsbeamtin anzumerken, die als Aufpasserin mitgekommen ist. Die Frau in Uniform sitzt auf ihrem Stuhl im Eck – und lächelt wie verzaubert.
Es ist nicht ganz leicht, in dieser Geschichte jene Distanz zur Hauptperson zu wahren, auf die man als Journalist aus guten Gründen stets achten sollte. Menschen mit einem so unerschütterlichen Glauben an das Gute, wie ihn Banu Büyükavci ausstrahlt, begegnet man nicht oft. Dass die Türkin in ihrer Heimat Medizin studierte, in Deutschland vor zwölf Jahren eine Ausbildung als Fachärztin für Psychosomatik absolvierte und danach in der Psychiatrie des Nürnberger Klinikums arbeitete, war vermutlich ein großes Glück für ihre Patienten.
Und für ihre Kollegen wohl ebenso. Weshalb man sich nicht wundern muss, dass viele von ihnen sich für ihre Freilassung starkmachen. Und auch nicht darüber, dass die Klinikleitung Büyükavci nicht kündigte, als diese im April 2015 von einem Spezialkommando der Polizei in Nürnberg festgenommen, inhaftiert und später zusammen mit neun anderen Beschuldigten – darunter der Arzt Sinan Aydin, Büyükavcis Lebensgefährte – angeklagt wurde.
Den zehn Personen wird vorgeworfen, sie bildeten das Auslandskomitee der Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML). Dem militärischen Arm dieser kleinen Partei werden etliche Sprengstoff- und Brandanschläge auf staatliche Stellen – insbesondere Polizeistationen – in der Türkei angelastet, bei denen mehrere Menschen ums Leben kamen. Zu einigen dieser Aktionen hat sich die TKP/ML bekannt. Sie selbst sieht sich als Guerillaorganisation, die gegen den ihrer Überzeugung nach korrupten türkischen Staatsapparat und die Unterdrückung vor allem der kurdischen Bevölkerung kämpft. Die Partei ist in der Türkei verboten und wird als Terrororganisation verfolgt.
In Deutschland gibt es kein Verbot der TKP/ML. Sie wird auch nicht auf der EU-Terrorliste geführt. Einige der seit Mai 2016 in München vor Gericht stehenden Angeklagten hatten einst nach langjähriger Haft in der Türkei, bei der sie schwere Folter erlitten, hier politisches Asyl gefunden. Jetzt hält man ihnen ihre TKP/ML-Aktivitäten vor, stützt sich dabei offenkundig auch auf unzählige Ermittlungsdokumente des türkischen Geheimdienstes und sogar auf Berichte von illegal auf deutschem Boden agierenden Spitzeln dieser Dienste.
Die Anklage baut auf Paragraf 129 b des Strafgesetzbuches auf. Er droht für die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland ein Strafmaß von fünf bis zehn Jahren an. Ermitteln darf die Bundesanwaltschaft nur, wenn der Bundesjustizminister dies per "Verfolgungsermächtigung" zulässt. Verfahren nach dem 129 b haben deshalb stets den Beigeschmack, dass vorab politisch und nach Interessenlage definiert wird, ob eine juristische Verfolgung aus Sicht der Bundesregierung genehm ist.
Ganz entscheidend ist dabei das Verhältnis zum betroffenen Ausland. Im konkreten Fall also zur Türkei. Weil sich die Bewertung der dortigen Verhältnisse seit dem gescheiterten Putschversuch und den anschließenden Säuberungsaktionen in Erdoðans Staatsapparat dramatisch verändert haben, wachsen zwar auf politischer Seite die Bedenken gegen den umstrittenen und millionenteuren Terrorprozess. Zu einer Rücknahme der Verfolgungsermächtigung konnte man sich im noch von Heiko Maas geführten Justizministerium aber bisher nicht durchringen.
Mit Banu Büyükavci kann man beim Besuch in der JVA Stadelheim über all diese Dinge nicht sprechen. Die wachsame BKA-Beamtin schreitet ein, sobald Verfahrensbelange angesprochen werden. Selbst die Frage, wie es Büyükavcis Lebensgefährten Sinan Aydin geht, lässt sie nicht zu. "Bitte nicht über Mitangeklagte sprechen."
Also erzählt die Ärztin von sich. Dass sie die 930 Tage, die sie jetzt bereits in U-Haft sitzt, gut überstanden habe. "Es geht mir gut", versichert Büyükavci und strahlt. In ihrem Beruf hat sie traumatisierten Migranten, Menschen mit Angststörungen und Depressionen geholfen. Jetzt, sagt sie, wende sie ihr Know-how bei sich selbst an. "Ich mache hier bei allem mit, was angeboten wird." Yoga, Gitarrenunterricht, Schreibkurs – die vier bis fünf Stunden Aufschlusszeit, in der die Gefangene ihre Zelle verlassen darf, sind täglich streng durchgeplant. Die restliche Zeit liest sie viel und beantwortet jeden der unzähligen Briefe, die sie von Bekannten und wildfremden Menschen bekommt.
Auch die ersten fünf Monate ihrer Haftzeit, in der sie konsequenter Isolation ausgesetzt war, hat sie heil überstanden. Selbst die "Scheiß-Kindermörderin"-Rufe, mit denen sie beim einsamen Hofgang von Mitgefangenen aus deren Zellen heraus beschimpft wurde, steckte sie weg. "Die hatten mich mit einer anderen Frau verwechselt, die gleichzeitig mit mir hierher kam."
Der unglaublich starke Wille, der hinter dem Vorhaben dieser Frau stecken muss, sich vom Freiheitsentzug nicht deformieren zu lassen, ist ihr kaum anzumerken. Banu Büyükavci wirkt entspannt, lacht, schwärmt geradezu von dem inzwischen netten Verhältnis zu den Mitgefangenen und zu den JVA-Bediensteten. Selbst das Knastessen lobt sie.
Als behütete Tochter einer Beamtenfamilie ist sie in der Westtürkei aufgewachsen. Politisch interessiert, liberal waren die Eltern. Das Gerechtigkeitsgefühl der Tochter wurde erstmals ernsthaft strapaziert, als sie erlebte, mit welcher Selbstverständlichkeit in ihrer eigentlich modernen Heimatstadt "Zigeuner" diskriminiert wurden. "Ich durfte mit denen keinen Kontakt haben."
Noch viel schlimmer empfand sie später als junge Ärztin, was sie im Osten der Türkei erlebte: Unterdrückung und Misshandlung von Frauen, bittere Armut, Kinder, die an eigentlich harmlosen Durchfallerkrankungen starben. Und sie musste mit ansehen, "wie Kurden als Menschen zweiter Klasse behandelt wurden".
Es waren diese Erfahrungen, die sie zur überzeugten Kommunistin werden ließen. Und zu einer Frau, die – mancher mag das für naiv halten – von einer besseren Welt träumt. Ja, deshalb sei sie auch Revolutionärin. "Aber das hat nichts mit Gewalt zu tun. Jesus, Luther oder Rosa Luxemburg waren auch Revolutionäre – und sie waren gegen Gewalt."
Niemand weiß, wie lange Banu Büyükavci noch in U-Haft bleiben muss. Ein Haftprüfungstermin ihres Anwalts Yunus Ziyal war vor kurzem erfolglos. Bis weit ins nächste Jahr hinein sind bereits weitere Prozesstage terminiert.
"Schreiben Sie, es geht mir gut", sagt Banu Büyükavci und legt zum Abschied ihre Hand an die zentimeterdicke Glasscheibe.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen