Käßmann: "Luther hätte sich gut überlegt, was er twittert"

20.2.2017, 05:44 Uhr
Käßmann:

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Wichtige Botschaften werden heute ja erst einmal getwittert, ehe sie vielleicht auch noch auf klassischen Kanälen unter die Leute gebracht werden. Und der neue US-Präsident nutzt den Kurznachrichtendienst nicht nur für Mitteilungen, sondern zur Verkündigung seiner mal kruden, mal stark polarisierenden Botschaften. Würde Luther heute auch twittern?

Margot Käßmann: Das kann ich mir schon vorstellen. Er hat ja die damals neuesten Verbreitungsmöglichkeiten bewusst und geschickt genutzt. Theologen und Historiker beschreiben ihn - sicher zu Recht - als einen Star des ersten Medienzeitalters, das mit dem Buchdruck angebrochen war. Aber er hätte sich gewiss gut überlegt, was er in 140 Zeichen schreibt. Und das Gemeinwohl stand für ihn immer im Vordergrund.

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Und dazu kämen ihm, nochmal gefragt, Twitter und Facebook gerade recht?

Käßmann: Er würde sicher genau hinschauen und fragen, wie sozial die sogenannten sozialen Medien wirklich sind. Wenn ich nur an das Problem von Cybermobbing denke und natürlich an die Opfer, finde ich das schon sehr problematisch. Und ich persönlich muss auch nicht laufend mitbekommen, was jeder gerade so denkt, isst und tut.

Was ist mit dem Hass und sonstigen verqueren Botschaften in den Netzwerken?

Käßmann: Alles Notwendige dazu hat Luther in kaum zu überbietender Klarheit in seiner Auslegung des achten Gebots "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden" formuliert: Du sollst deinen Nächsten nicht verleumden, sondern Gutes von ihm reden. Um die Wahrheit muss gerungen werden, das war für ihn klar. Übrigens lassen sich seine Positionen auch gut als Ethik für den Journalismus lesen.

Was hätte Luther uns allen zu sagen – in wenigen Zeilen? Und lassen sich Botschaften über Gott und Glauben überhaupt so stark verkürzen?

Käßmann: Ein paar Kernpunkte sehe ich schon, die fast schlagwortartig bündeln, was ihm wichtig war: Schärft euer Gewissen, ruft er uns zu. Übernehmt Verantwortung für euch und die Welt. Zeigt Haltung. Und natürlich: Vertraut Gott und lest in der Bibel.

Die steht zwar in vielen Haushalten im Regal, wird aber selten zur Hand genommen.

Käßmann: Was mindestens schade ist. Denn sie ist ja nicht nur ein Glaubens-, sondern auch ein Bildungsbuch. Wer unsere Geschichte, Literatur, Architektur verstehen will, kommt um sie nicht herum. Wer zum Beispiel ein Bild von einem Schiff mit lauter Tieren drauf sieht, wird es nur verstehen, wenn er oder sie die Geschichte von Noah kennt.

Was empfehlen sie Menschen, die sie bisher nie für Luther & Co. interessiert haben, als "Einstieg"? Taugt der Lutherfilm von 2003 noch?

Käßmann: Der war und ist gut. Es gibt aber eine ganz neue Produktion. Bei der steht Luthers Frau Katharina, also die "Lutherin", im Mittelpunkt. Am Mittwoch ist der Film in der ARD zu sehen. Ich konnte ihn vorab schon begutachten und finde ihn spannend und gelungen.



Margot Käßmann, die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), ist am Donnerstag, 9. März, Gast beim NN-Talk. Ab 19 Uhr (Einlass 18 Uhr) stellt sie sich im Heilig-Geist-Saal (Hans-Sachs-Platz 2, Nürnberg) den Fragen von Chefredakteur Alexander Jungkunz und des Publikums. Karten (6 Euro / 4 Euro mit ZAC-Rabatt) sind in allen Ticket-Vorverkaufsstellen der NN erhältlich. Das ausführliche Interview lesen Sie in der Montagsausgabe der NN.

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