Leitartikel: Ein Polizeieinsatz, der fassungslos macht
31.5.2017, 20:39 UhrVon Schülern, die sich gegen die Abschiebung eines Mitschülers mit einer Sitzblockade wehren, die in dem Moment an die Demokratie und ihre Mittel glauben, und plötzlich genau das Gegenteil durch Polizisten erfahren.
Massenweise USK-Einheiten und Streifenbeamte gehen auf Jugendliche los, knebeln sie, drücken sie zu Boden, halten ihnen den Mund zu, schlagen mit der Hand auf Köpfe und Schultern ein, den Schlagstock auffallend oft gezogen, die Hand an Elektroschocker und Pfefferspray.
Viele Jugendliche wehrten sich mit aller Kraft, einige wohl zu heftig: Neun Polizisten werden in der Spirale von Gewalt und Gegenwehr verletzt. Das alles, um eine Straßenblockade von solidarischen Schülern aufzulösen! Ja, eine verbotene Blockade, durchaus eine Straftat. Dennoch: was für ein Aberwitz ist die Reaktion darauf! Vor den Augen von Kindergarten-Kindern auf der anderen Straßenseite.
Müssen Kinder und Schüler so etwas erleben? Müssen solche Szenen in einem Rechtsstaat sein? Das fragt sich, wer gesehen hat, wie Polizeikräfte im Auftrag des bayerischen Innenministeriums gewaltsam die Abschiebung eines 21-jährigen Afghanen durchsetzen wollten. Weder war der junge Mann als gewaltbereit bekannt noch waren seine Mitschüler besonders renitent. Alles, was seine Freunde aus der Klasse taten, war, Zivilcourage zu zeigen. Sich aufzubäumen gegen den Abschiebebefehl "von da oben". Aufzuschreien gegen das, was sie für Unrecht halten — auch wenn es dem Buchstaben des Gesetzes entspricht.
Wer hat diese Taktik angeordnet?
Doch statt die aufgeladene Situation zu beruhigen und auf Deeskalation zu setzen, zeigte der Staat angsteinflößende Stärke. Der Schrecken stand vielen Schülern ins Gesicht geschrieben. Wut kam dazu, Hysterie. Wer hatte diese Taktik angeordnet? Warum musste überhaupt ein Unterstützungskommando, das sonst bei schweren Ausschreitungen anrückt, bei einer zunächst friedlichen Schülerdemo einschreiten? Das alles muss geklärt werden. Nicht nur hinter den Kulissen im Innenministerium. Denn dafür haben zu viele gesehen, wie die Lage außer Kontrolle geriet. Zu viele Augenzeugen haben durch die Aktion das Vertrauen in Polizei und Rechtsstaat verloren: Pfarrer, Schulpsychologen, Lehrer, Sozialpädagogen, Flüchtlingsvertreter und Mitarbeiter des städtischen Menschenrechtsbüros. Sie alle versuchten, Hilfe zu organisieren — fassungslos, erschüttert, aufgewühlt.
Auch wenn Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sich nicht zu jedem Einsatz äußern will — er ist allen eine Erklärung schuldig. Der Erlanger Minister, der sonst gern junge Menschen für ihre Zivilcourage auszeichnet, muss rasch Stellung beziehen. Denn die Härte, mit der seine Staatsbeamten vorgingen, steht in keinem Verhältnis zum Fall. Im Gegenteil: Mit dem Einsatz hat das Innenministerium ein erschreckendes Bild vom Freistaat abgeliefert. Die bayerische Staatsregierung und ihre bundesweit besonders harte Abschiebepraxis mag ohnehin verstehen, wer will. Doch wer dieses Szenario mit ansehen musste, kann nur hell entsetzt reagieren. Denn ist eine Schule nicht ein Schutzraum für Kinder? Ist das Klassenzimmer nicht Ort der Bildung und des Miteinanders? Die Idee, dass an dieser Schule junge Menschen — darunter etliche Flüchtlinge — in Ruhe lernen können, hat die Polizei buchstäblich mit Füßen getreten.
Steilvorlage für Skeptiker
Herrmann und seine Beamten haben dagegen mit ihrem harten, schnellen Durchgreifen allen Skeptikern und Abschiebegegnern eine Steilvorlage geliefert. Eine Steilvorlage für die vieldiskutierte Frage, wie viel Sinn es macht, einen gut integrierten, ehrgeizigen jungen Mann ins weitgehend unsichere Afghanistan abzuschieben. Wobei er nicht der Einzige ist und bleiben wird, der auf Drängen der Bundesregierung ins Ungewisse abheben soll. Viele seiner Landsleute hätten mit in dem Abschiebe-Charter sitzen sollen. Nur aufgrund des Bombenanschlags in Kabul blieb der Flieger auf deutschem Boden. Welch ein Hohn!
Da gerät die juristische Frage, ob der abgelehnte Asylbewerber nicht nach Recht und Gesetz in den nächsten Abschiebeflieger gehört, völlig in den Hintergrund. Eine sachliche Diskussion wird so erschwert. Jeder junge Flüchtling mit ungeklärtem Status wird jetzt Angst haben, in die Schule zu gehen. Bayern hat wieder harte Hand gezeigt. Unweigerlich fühlt man sich an 1981 erinnert, als die Polizei das "Komm-Exempel" statuierte, eine Massenverhaftung von Jugendlichen inmitten der Stadt.
Auch die Nürnberger Schulverwaltung muss Kritik einstecken. Denn wie kann es sein, dass die Polizeibeamten bestens informiert in der Klasse erschienen? Dass Lehrer sich gezwungen sehen, einen ihrer Schüler auszuliefern? Statt klar Kante zu zeigen, hat sich das städtische Amt für Berufliche Schulen auf die Rechtslage berufen. Gleichzeitig hat es in einem Schreiben betont, den Schulen keine Ratschläge geben zu wollen. Mehr ziviler Ungehorsam täte da gut. So wie es 200 Schüler, darunter wenige Pöbler, weitgehend vorbildlich getan haben.
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