NN-Talk mit den Politik-Urgesteinen Beckstein und Schmidt
22.11.2018, 10:56 UhrFrau Schmidt, Herr Beckstein, über die GroKo in Berlin und deren Zustand wird zurzeit viel geredet. Könnten Sie beide denn miteinander in einer Koalition Politik machen?
Renate Schmidt: Wir haben uns nie gegenseitig verletzt, wir haben uns immer respektiert. Das sind schon mal zwei gute Voraussetzungen. Ich bin auch der Meinung, dass aus meiner sozialdemokratischen, leicht christlich geprägten Überzeugung und aus Günther Becksteins eher stark christlich und konservativ geprägter Einstellung etwas Gutes werden könnte. Wir würden das wahrscheinlich sogar besser schaffen als die in Berlin.
Günther Beckstein: Das wäre in der Tat ein Vorbild für die in Berlin. Dass demokratische Parteien miteinander eine Koalition bilden müssen, entscheidet der Wähler durch entsprechende Mehrheiten. Dann ist der Auftrag, der daraus erwächst, vernünftig zusammenzuarbeiten. Das wäre mit Frau Schmidt mit Sicherheit kein Problem. Vor allem, weil wir beide das in einem vernünftigen Umgangston machen würden und nicht durch permanenten Streit den Misserfolg programmierten.
Wir beobachten momentan vor allem bei einem bayerischen Politiker, dass der Abschied von der Macht nicht leicht fällt. Horst Seehofer gibt jetzt ein Amt auf, will das andere aber noch behalten. Wie ist das mit dem Loslassen von der Macht – braucht man da eine Art Abklingbecken, wie Sie, Herr Beckstein, es einmal formuliert haben?
Beckstein: Bei mir war es eine sehr kurze und schmerzliche Entscheidung. Wir hatten im Jahr 2008 die Wahl in Bayern, das Ergebnis war nicht so, wie ich oder die Partei sich das gewünscht hätten. Am Montag darauf gab es Besprechungen in den Parteigremien, wo beschlossen wurde, dass ich als Ministerpräsident weitermachen soll. Am späten Abend dann ruft mich — ich kann den Namen jetzt sagen — Emilia Müller an, die ich zu meiner Ministerin gemacht hatte und sagt zu mir: "Günther, glaub denen kein Wort. Wenn du nicht selber zurücktrittst, dann machen wir ,die Simonis‘ mit dir, haben einige gesagt." Für diese ehrliche Einschätzung war ich ihr sehr dankbar. Sie hat auch Namen genannt, das habe ich in derselben Nacht noch gecheckt und mich dann entschlossen zurückzutreten. Damit, so glaube ich, habe ich eine lange Hängepartie vermieden. Das war für das Land gut, und das war für die Partei gut. Für mich war es kurz und schmerzlich, aber eindeutig richtig. Ich habe mir eine Woche lang keinerlei Gefühl gegönnt und dann sehr schnell gemerkt, dass es schön ist, wenn man nicht um halb sechs Uhr in der Früh am Briefkasten ist, um zu schauen: Was schreiben die NN heute Böses über dich? (lacht), oder die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Allgemeine? Man liest die Zeitung stattdessen erst am Frühstückstisch, stellt fest, dass man sehr schnell von der ersten Seite verschwunden ist und genießt das.
Aber Sie hatten ja noch Ihr Landtagsmandat . . .
Beckstein: Richtig, ich war noch einfacher Abgeordneter in Reihe zwei. Dort habe ich mir aber sogar Zwischenrufe verkniffen, nachdem die ersten Zwischenrufe sofort wieder in die Medien gekommen sind. Da bin ich manchmal mit zerbissener Zunge nach Hause gekommen. Aber ich erlebte, dass öffentliche Ratschläge des Vorgängers nur als Schläge und nicht als Rat verstanden werden. Drum hab ich meinen Mund gehalten.
Sie hatten vorher schon einmal eine herbe Niederlage erlitten, bei der OB-Wahl 1987 in Nürnberg gegen Peter Schönlein. Das hat Sie damals sehr getroffen, stimmt’s?
Beckstein: Das ärgert mich bis heute. Es war ein Erfolg, dass ich in die Stichwahl gekommen bin. Aber ab da wurde es ganz schwierig, es kam zu bösen Auseinandersetzungen. Damals kam die Barschel-Affäre hoch, das ist im Wahlkampf gegen mich verwendet worden. Es hat Bilder mit mir und Uwe Barschel gegeben. Ich habe aber auch selber grobe Fehler im Wahlkampf gemacht. Drum ärgert’s mich bis heute, dass ich damals verloren habe. Ich wäre gerne Nürnberger Oberbürgermeister geworden. Dann hätte ich und nicht Schönlein die Straße der Menschenrechte eingeweiht. Obwohl der später einmal zu mir kam und sagte: "Kannst froh sein, dass du verloren hast. Du hast es doch nur mir zu verdanken, dass du Ministerpräsident geworden bist".
Wie lief das bei Ihnen, Frau Schmidt, der Abschied von der Macht?
Schmidt: Tja, ich habe ja mehrere Abschiede genommen. Der erste davon ist letztlich verhindert worden: 1998 wollte ich nach der von mir so eingeschätzten schweren Niederlage bei der Landtagswahl — nur noch 28,7 statt wie vorher 30 Prozent — noch in derselben Nacht als bayerische SPD-Chefin zurücktreten. Ein paar Parteifreunde haben mich damals gebeten, das wenigstens bis zum nächsten Morgen noch mal zu überdenken. Franz Müntefering hat mich damals gefragt, was ich mir denn eigentlich erwartet hätte angesichts eines Edmund Stoibers, der keine groben Fehler gemacht hatte und dementsprechend zum ersten Mal wiedergewählt worden war. Ich bin dann doch nicht zurückgetreten, aber die Veränderung von der Hoffnungsträgerin 1991 zur "Altbäuerin", wie mich ein Fraktionskollege damals genannt hat, war sozusagen vollzogen.
Und der nächste Abschied?
Schmidt: Ich habe 1999, als mal wieder etwas Kritisches in der Presse stand und die Leute in der Fraktion nicht den Mumm hatten, mir das ins Gesicht zu sagen, beschlossen: So, jetzt ist Schluss. Ich hätte den Job nicht noch mal gemacht, das war mir schon klar. Franz Maget wusste da schon, dass ich mir wünschte, dass er mir als Fraktionschef nachfolgt. Ich habe seinerzeit noch Gerhard Schröder angerufen, der damals Parteivorsitzender war, und er hat gesagt: "Renate, du hast recht, tu dir das nicht mehr an." Das war selbstbestimmt, und ich sagte zu mir: Wenn du 2003 sowieso nicht mehr antreten willst, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, beiseitezutreten, damit ein Neuanfang möglich wird.
Aber die Macht hat Sie bald wieder eingeholt . . .
Schmidt: Stimmt, ich wurde Bundesfamilienministerin. Das habe ich sehr gern gemacht.
Beckstein: Wenn ich an dieser Stelle mal unterbrechen darf: Vor Mai 1993, als Stoiber erstmals Ministerpräsident wurde, haben wir gewaltig gezittert, weil Renate Schmidt reihenweise Bierzelte gefüllt hat. Das war für die CSU völlig ungewohnt, dass sie einen Gegner hat, der auch im Bierzelt konkurrenzfähig ist. Edmund Stoiber hat sich damals sehr beklagt, dass es Wirte gab, die gesagt haben: "Entweder Sie kommen, oder wir laden die Renate Schmidt ins Zelt ein."
Schmidt: Das war häufig so! Ich weiß noch, in der tiefsten Oberpfalz, wo die CSU bei 70 Prozent oder so lag, gab es auch mal so eine Bierzeltveranstaltung. Da waren sowohl ich als auch Monika Hohlmeier (Tochter von Franz Josef Strauß, d. Red.) eingeladen, wir sollten beide reden. Die hat aber gesagt, sie käme nicht, wenn ich komme. Und da hat der Veranstalter erwidert: "Dann soll die Hohlmeier halt wegbleiben." (lacht herzhaft)
Beckstein: Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Wir haben damals wirklich Sorge gehabt, dass die Mehrheit kippen könnte. Geändert hat sich das erst im Juni 1994 . . .
Schmidt: . . . da war die Europawahl. Damals habe ich einen gravierenden Fehler gemacht. Bei den Europawahlen hat es die Bayern-SPD besonders schwer. SPD und CDU kandidieren mit einer Bundesliste. Da steht dann auf dem Stimmzettel unter den zehn aufgeführten Namen vielleicht einer aus Bayern. Die CSU tritt als Regionalpartei mit einer bayrischen Liste an, bei der alle Kandidaten/innen aus Bayern kommen — also ein deutlicher Wettbewerbsvorteil. Und dann habe ich zusätzlich noch einen blödsinnigen Fehler gemacht und die Europawahl in Anspielung auf die damalige CSU-Amigo-Affäre zur "Roten Karte für Amigos" machen wollen. Das musste ja schiefgehen. Die Leute konnten durchaus unterscheiden, dass es da um Europa ging und dass das Ganze mit Amigos überhaupt nichts zu tun hatte. In der Folge ist die CSU bei Umfragen wieder nach oben geklettert. Das war der Wendepunkt.
Beckstein: Stimmt, die Werte haben sich damals derart gut entwickelt, dass Stoiber gesagt hat: "So, jetzt haben wir gewonnen."
Schmidt: Wir waren auf 26 Prozent abgestürzt. Die Zeit zwischen Juni und September 1994 werde ich niemals vergessen. Ich habe manchmal an einem einzigen Wochenende acht Bierzeltveranstaltungen absolviert.
Beckstein: Außenstehende können überhaupt nicht verstehen, wie hart eine Bierzeltveranstaltung ist. Eine Rede im Bundestag oder im Landtag ist nichts dagegen. In einem Bierzelt mit 3000 oder 4000 Besuchern . . . wenn Sie die nicht faszinieren, ist es so laut, dass Sie nicht mehr merken, ob Sie selber überhaupt noch sprechen.
Schmidt (nickt eifrig): Sie müssen in dieser riesigen Menge den einen finden, der versucht zu stören. Den müssen Sie dann mit Humor abwatschen, damit er Ruhe gibt. Bis Sie ein ganzes Zelt dazu bringen, Ihnen zuzuhören, also das ist der Wahnsinn! Sie müssen mindestens eine Stunde lang reden. Gerhard Schröder hat in seiner ersten Bierzeltrede irgendwo in München-Trudering bloß 20 Minuten geredet — da hatten sich die meisten Besucher gerade mal an ihrem Platz eingerichtet und die erste Maß getrunken . . .
Beckstein: Wissen Sie, warum Sie dort so lange reden müssen? Weil der Bierzeltwirt Umsatz will. Wenn einer da bloß 20 Minuten spricht, wird der fürs nächste Mal ganz sicher nicht mehr gebucht.
Schmidt: Richtig, und beim Gillamoos müssen Sie mindestens so lange reden wie der politische Gegner. Bloß: Das schaffen Sie beim Stoiber nicht. Der hat dort 1998 im Wahlkampf drei Stunden lang geredet. Ich habe es auf zweieinhalb Stunden gebracht. Danach war ich nass bis auf die Knochen. Das ist Schwerstarbeit. Damals hatte ich im Auto hinten drin Ersatzklamotten für drei Bierzeltauftritte. Und ich habe die SPD letztlich wieder bis auf 30 Prozent gebracht. Aber das war vielleicht eine Anstrengung!
Nun sind wir ein wenig abgeschweift – wie war das mit dem endgültigen Abschied von der Macht?
Schmidt: Ach ja, also Bundesministerin war ich sehr gerne, und ich war stinksauer, als ich aus dem Radio erfahren habe, genau wie Otto Schily und weitere, dass wir in der damaligen Großen Koalition nicht mehr Minister sind. Ich war im Prinzip ein Opfer von Horst Seehofer.
Wieso das denn?
Schmidt: Nun, Angela Merkel wollte Annette Schavan und Ursula von der Leyen unbedingt im Kabinett haben. Schavan war gesetzt für das Bildungsressort, während von der Leyen infrage kam für Gesundheit oder Familie. Hätte die Union damals das Gesundheitsministerium bekommen, hätte Stoiber sofort Horst Seehofer nominiert. Das wollte Merkel aber um jeden Preis verhindern. Also hat die Union nach dem Familienministerium gegriffen. Damit war ich weg vom Fenster, und Seehofer musste Landwirtschaftsminister werden.
Und das erfuhren Sie aus dem Radio?
Schmidt: Genau. Weil die Herren Müntefering und Schröder ganz offensichtlich zu feige waren, uns wenigstens kurz vorher Bescheid zu sagen. Dass die das nicht lange vorher herausposaunen, kann ich ja noch verstehen. Aber kurz vorher hätten Sie uns das schon mitteilen sollen.
Beckstein: Also beim Stil war ich da besser. Als ich Ministerpräsident wurde und über mein Kabinett nachdachte, habe ich zuallererst diejenigen zu einem persönlichen Gespräch gebeten, die ich nicht mehr zum Minister berufen wollte, Kurt Faltlhauser beispielsweise. Und ich habe denen meine Entscheidung ganz transparent erläutert.
Kann man sagen, Sie beide verbindet, dass Sie letztlich von ihrer eigenen Partei abserviert worden sind?
Beckstein: Ämter in der Politik sind auf Zeit. Es ist eben nicht so wie beim Beamten, dass Sie bei guten Bewertungen einen Rechtsanspruch auf Beförderung oder Wiederberufung ins Amt haben. Und wenn man nicht mehr ins Mosaik hineinpasst, muss man die Fähigkeit haben, das anzuerkennen.
Schmidt: Wer mich kennt, der weiß, dass ich aus meinem Herzen keine Mördergrube mache. Ich bin damals zu Gesprächen mit Schröder und Müntefering gefahren und habe gesagt, was ich von ihnen halte — und Sie dürfen mir glauben, das habe ich sehr deutlich gesagt. Und auch mitgeteilt, dass ich an den Koalitionsverhandlungen mit der CDU nicht teilnehmen werde. Meine damaligen Mitarbeiter haben mich aber überzeugt, meine Meinung zu ändern. Damit ich das in die Koalitionsvereinbarung hineinschreiben kann, wofür wir so lange gearbeitet hatten. Und so wurde das Elterngeld darin vereinbart, weil ich damals mit Ursula von der Leyen kongenial zusammengearbeitet habe. Heute bin ich heilfroh, dass es so gekommen ist. Ich bin mir sicher, dass ich so etwas wie das Elterngeld mit Vätermonaten als SPD-Ministerin auch in einer Großen Koalition wahrscheinlich nur schwer durchgesetzt hätte. Erinnern Sie sich an Leute wie Peter Ramsauer, der damals von einem "Wickelvolontariat für Männer" sprach. Es musste wohl eine CDU-Ministerin sein, die so ein Projekt durchsetzte. Mir ging es da um die Sache, und dass das Elterngeld endlich Wirklichkeit wird.
Sie haben vorhin gesagt, Sie hätten das SPD-Wahlergebnis von 1998 als schmerzliche Niederlage empfunden, obwohl es mit Blick auf den letzten Urnengang geradezu phänomenal war. Sind Sie sauer auf die Führung der Bayern-SPD, weil aus dem miserablen Ergebnis keinerlei Konsequenzen erwachsen sind?
Schmidt: Nein, ich bin nicht sauer. Mir geht es auch nicht um personelle Fragen. Ich denke aber, man kann sich mit einem Wahlergebnis von 9,7 Prozent nicht hinstellen und sagen: "Das liegt alles an Berlin." Die Politik der SPD innerhalb der GroKo trägt einen Großteil der Schuld am schlechten Abschneiden, das will ich überhaupt nicht in Abrede stellen. Aber man muss sich schon auch selber fragen: Was haben wir falsch gemacht? Sind wir im Wahlkampf richtig aufgetreten? Waren unsere Themen gut gesetzt? Haben wir die richtigen Veranstaltungen durchgeführt? Ich habe den Eindruck, dass dieses kritische Hinterfragen nicht passiert, sondern das man nach dem Motto verfährt: "Wir haben eigentlich alles richtig gemacht, und wären die Berliner nicht gewesen, hätten wir ein vernünftiges Wahlergebnis gehabt." Darum geht es mir, dass diese Auseinandersetzung stattfindet.
Beckstein: Auch aus meiner Sicht ist es unbedingt notwendig, dass die SPD wieder stärker wird. Das System der Volksparteien hat Deutschland Stabilität gegeben — im Unterschied zu beispielsweise Frankreich oder Italien. Wenn die SPD, die ja nicht nur in Bayern desolat dasteht, nicht wieder mehr Stimmen bekommt, wird das System der Volksparteien insgesamt infrage gestellt. Sie soll freilich nicht so stark werden, dass sie uns gefährlich wird (lacht) . . .
Schmidt: Das will ich aber schon!
Beckstein: . . . aber sie muss wieder so stark werden, dass sie eine echte Alternative bei der Frage nach der Macht sein könnte.
Schmidt: Ich finde, dass die größere Anzahl an Parteien in der Parlamenten auch ein Spiegelbild der vielfältiger gewordenen Gesellschaft ist. Ich denke nicht, dass es irgendeiner Partei in absehbarer Zeit gelingen könnte — auch nicht in Bayern, Herr Beckstein —, wieder eine absolute Mehrheit zu erzielen. Von dieser Zeit müssen wir uns verabschieden, dazu ist die Gesellschaft zu sehr ausdifferenziert. Die Aufgabe der beiden Volksparteien muss es in meinen Augen sein, nicht ausschließlich Einzelinteressen zu bedienen, sondern wieder mehr zu schauen, wo denn die große gesellschaftliche Klammer ist, die alle zusammenhält. Das ist und bleibt für mich die soziale Gerechtigkeit. Das darf aber nicht nur eine Phrase bleiben, sondern muss mit Inhalten gefüllt werden.
Ist es, Herr Beckstein, bei der CSU nicht ähnlich? Nach der Wahl mit dem miesen Ergebnis spielt sie auf Zeit. Erst warteten alle, was Horst Seehofer tun wird . . . nun kommt der Parteitag. Wann folgt die kritische Analyse der Niederlage?
Beckstein: Seehofer hat angekündigt zurückzutreten. Ich bin mir sicher, dass Markus Söder Vorsitzender der CSU wird. Das ist gut und richtig, der Markus kann das auch. Aber natürlich ist das Auswechseln eines Kopfes nicht ausreichend. Sonst müsste die SPD ja längst bei 60 Prozent sein — die hat zuletzt in einer beispiellosen Geschwindigkeit ihre Vorsitzenden ausgetauscht. Personen sind das eine, aber wir müssen uns vor allem darüber klarwerden, dass wir uns inhaltlich ein Stück weit neu ausrichten müssen. Schauen Sie mal auf das Thema Nachhaltigkeit, ein grundkonservatives Thema. Bayern hatte das erste Umweltministerium der Welt. Dieses Thema haben wir uns jedoch völlig wegnehmen lassen.
Schmidt: Für uns ist die Schwierigkeit, dass wir nicht wie etwa die AfD Abschottung predigen können. Globalisierung ist nicht mehr umkehrbar. Wir müssen vielleicht mal deutlich machen, dass die Globalisierung bisher wenigen genutzt und viele nicht mitgenommen hat. Und manche sogar abgehängt hat. Wir müssen den Menschen klarmachen, dass Weltoffenheit notwendig ist, dass wir aber gleichzeitig die Ungleichheiten, die daraus resultieren, mit politischen Maßnahmen eindämmen können. Da reicht z. B. so etwas wie die Stabilisierung des Rentenniveaus überhaupt nicht aus, das bekämpft noch nicht mal effektiv die Altersarmut. Die Konzepte, die dahinter stehen, gehen von einem Arbeitnehmer mit 45 Erwerbsjahren und einem gewissen Durchschnittseinkommen aus, der durchgehend beschäftigt ist. Doch solche Arbeitsbiografien gibt es hierzulande leider kaum noch. Und wir brauchen mehr Glaubwürdigkeit. Dazu ein Beispiel: Auch dort, wo die SPD das Sagen hat, gibt es für junge Menschen beinahe nur befristete Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst. Wir können nicht von den Arbeitgebern in der Privatwirtschaft verlangen, das abzustellen und selbst anders handeln.
Zusammenfassend könnte man also sagen, dass Sie den Abschied von der Macht gut verkraftet haben. Was hat Ihnen dabei geholfen?
Schmidt: Ganz wichtig ist, das man als Vollzeitpolitikerin das normale Leben nicht vergisst und Menschen um sich herum hat, die einen immer wieder dorthin zurückholen. Bei mir war das vor allem meine Familie. Als ich einmal aus Bonn zurückkam — damals war ich noch Bundestagsvizepräsidentin und erweckte wohl den Eindruck, ich müsste immer noch die Plenarsitzung leiten —, hat einer meiner Söhne zu mir gesagt: "Liebe Mutter, du befindest dich im Moment in deinem Wohnzimmer in Nürnberg-Zerzabelshof und nicht im Deutschen Bundestag." So was sitzt.
Beckstein: Bei mir hat meine Frau für die nötige Bodenhaftung gesorgt. Sie ist von Beruf bekanntlich Lehrerin und hat bei meinen Bierzeltauftritten immer fleißig mitgeschrieben, was ich da so von mir gegeben habe. Das wollte ich auch, so, damit wir danach über eventuelle Fehler reden konnten. Das höchste Lob, das ich je von ihr bekommen habe, lautete: "Heut’ warst net amal schlecht."
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