Pressefreiheit unter Druck: "Sie können heute alles faken"
3.5.2018, 16:47 UhrFrau Krone-Schmalz, im jüngsten Index der weltweiten Pressefreiheit gibt es eine ungewöhnliche Auffälligkeit: Die Region, in der es bei der Pressefreiheit die stärksten Rückschritte gäbe, sei Europa. Was sagt uns das?
Gabriele Krone-Schmalz: Dass wir es mit unseren eigenen Werten, an denen wir andere Staaten messen, offenbar nicht so genau nehmen. Auch wenn hier in erster Linie osteuropäische Staaten wie Polen, Slowakei und Ungarn bzw. die Türkei genannt werden. In dem Zusammenhang möchte ich eine Beobachtung loswerden.
Ich habe den Eindruck, dass sich das Selbstverständnis von Journalismus verändert hat. Es geht nicht mehr in erster Linie darum zu informieren, Zusammenhänge deutlich zu machen, ein Geschehnis von möglichst vielen Seiten zu beleuchten, sondern es geht darum, die Menschen auf den "richtigen" Weg zu bringen.
Wenn man seine Arbeit so versteht, muss man klarmachen, was gut und was böse ist und das führt notgedrungen dazu, dass sich diejenigen, die auf der guten Seite stehen, für nichts rechtfertigen müssen und die auf der bösen Seite keine Chance für ihre Sicht der Dinge haben. Alles, was sich abseits des "Mainstreams" bewegt, ist suspekt.
Was ist dagegen zu tun – und wer muss da aktiv werden?
Krone-Schmalz: Wenn ich wüsste, was man dagegen tun kann, hätte ich längst damit angefangen. Ich würde mir eine (selbst-)kritische Masse innerhalb des Journalismus wünschen, die sich darüber Gedanken macht, wohin es führt, wenn sich weite Teile der Gesellschaft in den Medien nicht mehr wiederfinden. Ich wünsche mir mehr informierte Debatten, in denen man sich mit Argumenten bekämpft, und weniger ideologisch aufgeheizte Feindbilder, die einem keine Wahl lassen, wenn man auf der "richtigen" Seite stehen will, und wer will das nicht.
Sie waren zur Zeit von Michail Gorbatschow ARD-Korrespondentin in Moskau. Wenn Sie das mit der Situation von Journalisten heute vergleichen, ist es heute schwieriger als zur Zeit des Kalten Krieges?
Krone-Schmalz: Nun muss man sagen, dass während meiner Korrespondentenzeit der sogenannte Kalte Krieg zu Ende ging. Insgesamt war der Ost-West-Gegensatz jedenfalls eine überschaubare Angelegenheit mit Blick auf die Interessen der Akteure. Was es heutzutage so schwierig macht ist die Unübersichtlichkeit. Das beste Beispiel ist Syrien. Da reichen zwei Hände nicht mehr, um alle Parteien aufzuzählen, die da mitmischen.
An allen Kriegsschauplätzen wird gleichzeitig ein unerbittlicher Propagandakrieg geführt. Ob es um Giftgas in Syrien geht oder mysteriöse Giftanschläge in Großbritannien, auch viele Journalisten sind ratlos, weil auf allen Seiten so massiv gelogen wird.
Krone-Schmalz: Das ist ja das entscheidende Problem. Früher konnte man ja wenigstens noch Bildern glauben, heute ist die Glaubwürdigkeit dahin. Sie können alles faken, ohne dass es jemand merkt. Was da technisch möglich ist, das ist einerseits faszinierend, andererseits über alle Maßen erschreckend. Der Medienwissenschaftler Uwe Krüger hat neulich auf einer Tagung dringend gefordert, dass Lehrstühle für kritische Propagandaanalyse geschaffen werden müssen. In die Schule gehört das Fach Medienkompetenz und an die Universitäten Propagandaanalyse, denn Propaganda können sie alle, die in Moskau, die in Washington, die in den Hauptstädten der EU und die in Kiew im Übrigen auch.
Immer mehr Fake-News-Produzenten
Journalisten sehen sich oft einer immer größer werdenden Front von Fake-News-Produzenten gegenüber.
Krone-Schmalz: Ich würde mir mehr Fragen wünschen. Der Kern von Journalismus besteht darin, Fragen zu stellen. Alles erst einmal in Zweifel zu ziehen. Ein Kollege der schreibenden Zunft, den ich sehr schätze, Frank Nägele heißt er, hat das mal auf den Punkt gebracht: "Einst haben wir gelernt, dass es wichtig sei, alles beim ersten Augenschein infrage zu stellen. Ein Grundsatz des gesunden Menschenverstandes lautete: Glaube nichts, aber halte alles für möglich. Dazu war es wichtig, die Dinge in ihrer Tiefe zu verstehen, bevor man über sie urteilte. Aber das kostet sehr viel Zeit. Und die hat offenbar niemand mehr." Recht hat er.
Wie sehen Sie da die Rolle von Internetplattformen wie Facebook?
Krone-Schmalz: Kritisch. Aus mehreren Gründen. Solange sich da jeder anonym austoben kann, bringt das für eine konstruktive Auseinandersetzung gar nichts. Ganz im Gegenteil. Dann: Es ist schwer bis unmöglich, die Quellen herauszufinden. Und – und das scheint mir das Wichtigste – die technischen Möglichkeiten künstlicher Intelligenz sind so unvorstellbar perfekt, dass sich die meisten das Ausmaß an Manipulation vermutlich gar nicht vorstellen können. Darüber sollten wir uns Gedanken machen, wie wir das im Sinne von Pressefreiheit einfangen können.
Der Aufwand, als Journalist da Orientierung zu behalten, ist viel, viel größer geworden. In vielen Zeitungshäusern sind aber massiv Stellen eingespart worden, weil die Auflagen zurückgehen. Wie kommt man aus dieser Zwickmühle heraus?
Krone-Schmalz: Indem man immer wieder erklärt, dass guter Journalismus Geld kostet. Diese gnadenlose Billig- und Geiz-ist-geil-Mentalität spielt da sicher auch eine Rolle. Nach dem Motto: im Internet kriege ich alle Infos kostenlos. Infos ja, aber verlässliche Informationen – das ist dann schon die Frage. Es muss Bürgern klar sein, das dieses hohe Gut Pressefreiheit nicht nur von Diktatoren bedroht wird, sondern auch durch wirtschaftliche Abhängigkeiten gefährdet ist.
Hunderte von Trollen mit Falschinformationen
In Sankt Petersburg gibt es ein mehrstöckiges Marmorgebäude, in dem angeblich Hunderte von Trollen praktisch rund um die Uhr daran arbeiten, die sozialen Netze mit Falschinformationen zu fluten.
Krone-Schmalz: Das ist wohl so, und wir müssen uns auch nicht darüber streiten, dass Pressefreiheit in Russland nicht so gelebt wird, wie es in der Verfassung steht. Das staatliche Fernsehen empfinden ja auch nicht wenige Russen als Zumutung, gehen allerdings wegen ihres Erfahrungshintergrundes auch ganz anders damit um. Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf die Medienlandschaft in Russland zu werfen, die viel Spannendes zu bieten hat. Wie kommt es zum Beispiel, dass ausgerechnet einer der aufmüpfigsten Radiosender, Echo Moskwy, Gazprom Media gehört? Das passt nach unserem Verständnis ja gar nicht zusammen.
Aber um auf das Thema Trolle zurückzukommen – ich hielte es für fatal, wenn jede kritische Bemerkung zu unserer Russland-Berichterstattung Trollen zugeschrieben würde. Damit ersticken wir eine offene Debatte. Denn eine aktuelle Forsa-Umfrage legt nahe, dass die Mehrheit der Deutschen so denkt. Am Ende lesen mehr Menschen über russische Propaganda als von ihr selbst erreicht zu werden.
Desinformation ist aber kein Alleinstellungsmerkmal des Kreml...
Krone-Schmalz: Genauso ist es. Ich war schon sehr überrascht, als ich bei meinen Recherchen auf den "Joint Hometown News Service" gestoßen bin, eine Dienststelle des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Dort werden Wort- und Bildberichte produziert, die man ohne Quellenangabe den Medien zuspielt. Nach einer Studie der Nachrichtenagentur AP sind etwa 27.000 Mitarbeiter bei den Streitkräften für Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Demnach werden jährlich 4,7 Milliarden US-Dollar dafür ausgegeben. Also – die nehmen sich alle nicht viel.
Die EU hat, um in diesem Info-Krieg nicht schutzlos zu sein, eine eigene Truppe aufgestellt, die EU East StratCom Task Force. Ist das ein geeigneter Hebel?
Krone-Schmalz: Da bin ich sehr skeptisch. Das ist wie mit dem Raketenabwehrsystem in Polen, das sich – wenn man Experten glauben darf – relativ leicht in ein Angriffssystem umwandeln lässt. Diese Task Force kann man ja auch sehr leicht zur Gegenpropaganda nutzen. Ich bin da mehr für selber denken, Medienkompetenz fördern, wie schon gesagt, und ein bisschen mehr Vertrauen in den sogenannten mündigen Bürger. Wo soll das sonst hinführen? Alles wird ausgegrenzt, was die Schutzbehörde nicht für gut befunden hat? Hilfe!
Wenn wir das Desaster rund um Syrien und Irak ansehen, müssen wir einen Blick zurückwerfen auf den Beginn des Irak-Kriegs 2003. Damals gab es zum Beispiel gezielte Desinformation des dubiosen schiitisch-irakischen Politikers Ahmad al-Dschalabi, dem Vorsitzenden des Irakischen Nationalkongresses (INC), über angebliche Massenvernichtungswaffen. Die wurden auch geschickt lanciert über die "Washington Post", die "New York Times" oder den britischen "Guardian". Alles hochrenommierte Blätter. Wie konnte das passieren?
Krone-Schmalz: Das ist ja genau der Punkt. Sie müssen die Dinge nur oft genug wiederholen, damit sie als Realität kleben bleiben, und wenn es sich dann um staatliche Positionen handelt, gehört eine große Portion Zivilcourage dazu, das in Zweifel zu ziehen. Ich bin sicher, so etwas könnte auch heute passieren. Noch dazu, wo heute in den Medienhäusern sehr viel stärker als in den 70er Jahren zum Beispiel eine größere Bereitschaft besteht – so mein Eindruck – der eigenen Regierung erst einmal zu glauben.
Zeitungen und TV-Sender in der Türkei
Was in dieser ganzen Debatte oft untergeht, ist ein die Betrachtung der Eigentumsverhältnisse: In der Türkei gehören fast alle Zeitungen und TV-Sender zu Konzernen, die von Staatsaufträgen abhängen. Kritische Medien werden in den Konkurs getrieben und von Unterstützern von Präsident Erdogan aufgekauft. Da bleibt kein Raum mehr für Pressefreiheit.
Krone-Schmalz: So etwas geht natürlich gar nicht. Aber wir sollten nicht so tun, als sei bei uns alles in bester Ordnung. Wem gehören die großen Medien bei uns oder in den USA? Wenn wir ehrlich sind, gibt es problematische Konzentrationsprozesse, auf die man kritisch schauen sollte. Aber das beißt sich natürlich in den Schwanz, wenn diese Prozesse bereits weit fortgeschritten sind. Wer soll das dann noch kritisieren?
Dieselbe Entwicklung gibt es auch in Europa, vor allem in Ungarn. Auch dort werden die Medien sukzessive gleichgeschaltet.
Krone-Schmalz: Ich versuch’s mal konstruktiv. Man muss Pressefreiheit auch nutzen. Es gibt auch eine Gleichförmigkeit aus Bequemlichkeit, Zeitnot, wirtschaftlichen Zwängen und sicher auch Feigheit. Grenzwertig wird es aus meiner Sicht, wenn sich Medien als Kampfmittel verstehen und Teil der Auseinandersetzung werden. Bei dieser Zuspitzung gerät zum Beispiel mit Blick auf Russland jeder Abweichler in den Verdacht, russische Propaganda zu verbreiten.
Das schadet dem Pluralismus und der freien Debatte. Hans Joachim Friedrichs, mit dem ich noch in seiner Funktion als Tagesthemen-Moderator in den achtziger Jahren das Glück hatte zusammenzuarbeiten, hat mal auf die Frage, was einen guten Journalisten auszeichnet unter anderem geantwortet: Ein guter Journalist darf sich nie mit einer Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten. Er muss immer dabei sein, aber er darf nie dazugehören. Dieses Motto ernst zu nehmen hilft bei der Arbeit.
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