Warum sich Gerüchte über Flüchtlinge im Netz verbreiten
28.01.2016, 06:00 UhrWeil Flüchtlinge die Regale in einem Lebensmittelmarkt immer wieder leer geklaut haben sollen, musste der Discounter geschlossen werden. Angeblich hielt sich der Laden nur über Wasser, weil die Kommune den Schaden ersetzte. Wo das passiert ist? Angeblich in Gießen, in Trier oder in Roth. Tatsächlich aber nirgends. Es sind Luftnummern.
"Man könnte in die Tischkante beißen, so irr ist das", sagt Claudia Weinig, Pressesprecherin im Landratsamt Roth. Bürger rufen bei ihr und der Polizei an und wollen wissen, was da dran ist. "Gar nichts", sagt sie immer wieder. Auch ein anderes Gerücht hält sich hartnäckig: In der Nähe der Unterkunft in Roth soll ein Bordell eröffnen, das männliche Flüchtlinge nutzen können. Gratis, weil die Kommune Gutscheine austeilen werde. Weinig: "Absoluter Unfug!" Doch hilft das Dagegen-Reden? Oft lassen sich die Anrufer nicht überzeugen. Sie zweifeln sogar, wenn die Polizei meldet, dass dazu nichts aktenkundig ist.
Wenn eine infame Meldung erst einmal in der Welt ist, lässt sie sich schwer einfangen. In Oberbayern ist das der Polizei kürzlich gelungen. Auf Facebook kursierte die Nachricht einer Vergewaltigung: In einer Traunsteiner Unterführung soll ein Mädchen Opfer geworden sein. Der Mann, der den Post absetzte, unterstellte der Polizei, den Fall zu vertuschen: "Die Polizei, unser Freund und Helfer, hält schön den Mund und gibt nichts an die Bevölkerung raus!! Die Informationen stammt aus einer sicheren Quelle!!!" Bald war klar: Die Polizei hat nichts an die Bevölkerung herausgegeben, weil es nichts gab, was man hätte herausgeben können. Wie sich herausstellte, war auch die angebliche Quelle alles andere als sicher. Das Prinzip "Flüsterpost" trifft wohl das, was da passiert ist.
Prinzip Flüsterpost
Nutzer greifen reale Vorkommnisse (wenn auch verkürzt und zugespitzt) auf, andere geben das weiter - je öfter die angebliche Nachricht weitergetragen wird, desto mehr wird der Wahrheitsgehalt verfälscht. Die Folgen können gravierend sein, insbesondere in sozialen Netzwerken entfalten solche Posts eine extreme Dynamik. In der aktuell sehr aufgeheizten Flüchtlingsdiskussion bekommen sie eine besondere Brisanz.
Bis vor etwa 20 Jahren war der Klatsch-Umschlagplatz Nummer eins der Stammtisch: Dort wurden Gerüchte verbreitet, hitzig diskutiert und von den Kneipengehern nach Hause getragen. Doch in der Regel blieben diese freudig aufgesogenen angeblichen Neuigkeiten auf Regionen beschränkt. Im Netz fallen diese Grenzen.
Hinzu kommt: Bei Facebook etwa entscheidet ein Algorithmus, was in der Nachrichtenspalte erscheint. Er analysiert, was den Nutzer interessieren könnte und setzt ihm maßgeschneiderte Informationshäppchen vor. Außerdem neigen Menschen dazu, sich ihre vorgefassten Meinungen von anderen bestätigen zu lassen - was nicht ins Weltbild passt, wird ausgeblendet.
Gerüchte aus der rechten Ecke
Im Ministerium geht man davon aus, dass rechte Kreise die Falschmeldungen in die Welt setzen. Sicher ist laut Siefener jedoch: AfD und Pegida beteiligen sich munter an der Verbreitung. Die NPD in Bayern hat auf ihrer Internetseite indes eine "Krimigrantenkarte" platziert. Angebliche sexuelle Belästigungen, Überfälle, Messerattacken und weitere Delikte ausgehend von Migranten sind hier mit Ortsangaben aufgelistet. Dem bayerischen Verfassungsschutz ist die Karte bekannt. Siefener: "Der Staatsschutz beobachtet das. Nachgewiesen sind die Vorfälle aber nicht."
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