Wie christlich-jüdisch geprägt ist Deutschland wirklich?
23.3.2018, 05:51 Uhr"Dass Deutschland geschichtlich und kulturell christlich-jüdisch und nicht islamisch geprägt ist, kann doch niemand ernsthaft bestreiten", sagte Seehofer. Alexander Dobrindt spricht gern von der "christlich-jüdischen Prägung". Markus Söder sagt: "Wir sind christlich-abendländisch geprägt mit jüdisch-humanistischen Wurzeln. Das ist die historisch-kulturelle Wahrheit und dabei bleibt es auch."
Das klingt dann oft so, als sei jahrhundertelang alles ganz wunderbar gelaufen zwischen Christen und Juden. Bis irgendwann der Islam gekommen ist und mit ihm Muslime - die zwar durchaus, das gesteht ihnen die CSU zu, dann zu Deutschland gehören, wenn sie hier leben, ihre Religion aber nicht. Und zwar, so hat es Dobrindt nun nochmals zugespitzt: "Der Islam gehört - egal in welcher Form - nicht zu Deutschland." Aber stimmt die These von der christlich-jüdischen Prägung überhaupt?
Entstanden im "Morgenland"
Zunächst einmal ist das Christentum selbst natürlich nicht im "Abendland" entstanden, sondern im "Morgenland", also im Nahen Osten - dort, wo auch die Wiege der anderen beiden monotheistischen Weltreligionen liegt, also des Judentums und des Islam. Ab dem vierten Jahrhundert und bis ins frühe Mittelalter hinein brachten Missionare den christlichen Glauben nach Europa und in die Region, die heute Deutschland ausmacht - teils mit brutalem Druck: Karl der Große etwa zwang die Sachsen dazu, sich taufen zu lassen - mit Todes- und Strafandrohungen für diejenigen, die nach wie vor die alten heidnischen Bräuche praktizierten.
Im Mittelalter wuchs parallel dazu die Zahl der Juden in Europa und Deutschland, vor allem in den Städten. Sie ließen sich dort nieder, um jene Berufe auszuüben, die wegen des christlichen Zins-Verbots teils ausschließlich sie betreiben durften (und die auch ein Grund für die Anfeindungen waren, denen sie sich aussetzen mussten): Geldverleiher, Banker, Händler.
Immer wieder Pogrome
Immer wieder aber gab es Vertreibungen und Pogrome, auch in Nürnberg. Die Stadt beherbergte um 1240 mit rund 1000 jüdischen Bürgern die größte jüdische Siedlung im Süden Deutschlands. Im Jahr 1298 kam es hier und in vielen anderen Städten zum "Rintfleisch-Pogrom": Nach Gerüchten über angebliche Hostien-Schändungen (eine immer wieder auftauchende Verschwörungstheorie) durch Juden zog eine marodierende Bande um einen "König Rintfleisch" durch fränkische Gemeinden und verübte Massaker an Juden. In Nürnberg wurden rund 700 Opfer gezählt, insgesamt waren es weit über 3000.
Im Jahr 1349 kam der nächste Schlag gegen die jüdische Gemeinde, angesiedelt im Ghetto auf dem Areal rund um den Nürnberger Hauptmarkt. Kaiser Karl IV. sprach der Stadt das Verfügungsrecht über dieses Ghetto zu. Darauf fiel der Pöbel ab 5. Dezember über die nun schutzlosen Juden her - angeblich hatten sie das Wasser vergiftet und die Pest verbreitet. 562 von ihnen wurden damals verbrannt, die Überlebenden vertrieben und verfolgt. 1499 kam es zur nächsten Vertreibung der Juden aus der Freien Reichsstadt, die für sie nun bis um 1850 tabu war. Viele von ihnen siedelten sich im liberaleren Fürth an, das so zu einem Zentrum jüdischen Lebens wurde.
Der Antisemitismus ist also eine (nicht nur) deutsche Konstante, die sich durch die Geschichte zieht. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts begann jene kurze, durch die Nationalsozialisten und ihre Judenvernichtung radikal beendete Phase der beginnenden Emanzipation und Gleichberechtigung der Juden. Sie erhielten da erst volle Bürgerrechte, konnten in Stadträte und Parlamente gewählt werden. Viele jüdische Bürger engagierten sich oft überdurchschnittlich für ihr Vaterland oder ihre Heimatstadt, als überzeugte Patrioten, häufig auch als Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg.
Hier finden Sie den Kommentar von NN-Chefredakteur Alexander Jungkunz
Deutsche Geistesgrößen wetterten immer wieder gegen Juden. Der nationale Vordenker Johann Gottlieb Fichte schrieb etwa im 19. Jahrhundert: "Um uns vor ihnen zu schützen, dazu sehe ich wieder kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern und sie alle dahin zu schicken."
Das "gelobte Land" erobern - das hatten unter anderem auch viele Ritter aus deutschen Landen bei den Kreuzzügen mehrfach versucht, mit verheerender Wirkung. Später schürte vor allem der Reformator Martin Luther jenen Judenhass, den die Protestanten aufgriffen - so etwa der nationalkonservative Historiker Heinrich von Treitschke, der 1879 jenen folgenreichen Satz prägte: "Die Juden sind unser Unglück."
Fünf Worte, die das Nazi-Hetzblatt Der Stürmer aufgriff. Hitler und seine braune Partei mussten den Antisemitismus nur übernehmen und zuspitzen - in sehr vielen Köpfen war er längst vorhanden.
Hasserfüllte Feldprediger
Von christlich-jüdischem Zusammenleben ist da also eher wenig zu finden. Sehr viel aber von dumpfem Judenhass. Und zudem waren prominente Christen oft als treibende Kräfte dabei, wenn es um Kriege und Konflikte ging - von den Kreuzzügen über den religiös begründeten Dreißigjährigen Krieg bis hin zum Ersten Weltkrieg, den Feldprediger mit hasserfüllten Parolen gegen die Feinde befeuerten.
Und der Islam? Seine Kultur hat das "Abendland" durchaus auch kräftig geprägt - vor allem in jenen Zeiten, in denen die islamische Welt ihre kulturelle und wissenschaftliche Blüte erlebte, also im ausgehenden Mittelalter. Auf vielen Feldern waren muslimische Gelehrte führend - etwa in der Mathematik, auch in der Medizin oder in der Astronomie. Aus dieser Zeit stammen auch etliche Begriffe, die ursprünglich arabischen Ursprungs sind - "Alkohol" etwa, "Matratze" oder "Ziffer".
Vor den nationalistischen Aufwallungen des 19. Jahrhunderts setzten sich auch zahlreiche Dichter und Denker mit dem Islam und dem Koran auseinander - allen voran Johann Wolfgang von Goethe in seinem "west-östlichen Divan".
Goethes Zeilen
Am bekanntesten sind daraus folgende nachgerade schwärmerische Zeilen Goethes: "Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen." Allerdings war diese Annäherung des stets religionsskeptischen Dichterfürsten an den Islam mehr philosophisch als religiös geprägt; als störend empfand der Weintrinker zum Beispiel das Verbot von Alkohol, aber auch die Benachteiligung von Frauen im Islam.
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