Wie ein Journalist zum Hassobjekt im Internet wurde
19.1.2018, 06:00 UhrHerr Gutjahr, als Journalist berichteten Sie über den Anschlag von Nizza und den Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufszentrum. Danach brach eine Welle des Hasses über Sie und Ihre Familie herein. Was hat das mit Ihnen gemacht?
Richard Gutjahr: Obwohl ich Shitstorm-erprobt war und als Fernsehmoderator schon viel Kritik in meinem Leben habe einstecken müssen, war diese Brutalität erschreckend. Wenn irgendwo auf der Welt ein Terroranschlag passiert, ist bei uns zu Hause die Hölle los. Kurz nach dem Anschlag am Berliner Breitscheidplatz — ein halbes Jahr nach Nizza – hat ein Reichsbürger ein Video veröffentlicht. Darin wurden Fotos von mir und meiner Familie gezeigt und eine krude Theorie konstruiert: Wir seien am Anschlag am Breitscheidplatz beteiligt gewesen.
Die Beweisführung: Meine Frau hat mal an einer Universität einen Vortrag gehalten und der Augenzeuge, der nach dem Anschlag in der "Tagesschau" interviewt worden ist, hat auch schon mal an dieser Universität einen Vortrag gehalten. Sowohl meine Frau als auch der Augenzeuge sind Juden. Damit war sozusagen der Kreis geschlossen. Sie können sich nicht vorstellen, was zu Weihnachten bei uns los war. Für die nächsten zehn Tage konnte ich mein Smartphone praktisch nicht in die Hand nehmen.
Sie werden in diverse Verschwörungstheorien eingearbeitet und immer auf der Seite der Bösen genannt. Warum hat man sich so auf Sie gestürzt?
Gutjahr: Eigentlich gilt ja die Devise: Wenn sich so eine Welle aufbaut, sollte man bloß nichts tun. Wenn man Glück hat, passiert etwas anderes und die verlieren dich aus dem Fokus. Doch ich erfülle zu viele Kriterien: Meine Frau ist Jüdin – da hat man das rechte Spektrum als Gegner. Ich bin Journalist – die Verschwörungsleute suchen alternative Wahrheiten zu dem, was in den Medien berichtet wird. Ich arbeite beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk – da hat man die Reichsbürger als Gegner. Und dann formulieren die Ultrarechten Theorien, mit denen sie Menschen von ganz anderer Seite — der Friedensbewegung – mitnehmen: Die Israelis und Amerikaner hätten diese Anschläge inszeniert, um ihre nächsten Angriffskriege zu rechtfertigen.
Was hat Sie am meisten mitgenommen?
Gutjahr: Die zigtausend, manchmal sogar hunderttausend Likes unter diesen Videos.
Also, dass jemand eine solche Bestätigung bekommt, der aufruft, Sie und Ihre Familie zu töten.
Gutjahr: Zu töten wird so nie wortwörtlich ausgesprochen — denn dann könnte sogar ein Netzwerk wie YouTube das Video löschen. Man schreibt: Ihr sollt hängen. Ihr gehört in die Gaskammer. Und: Ihr sollt wieder gelbe Sterne an der Kleidung tragen. Die Meinungsführer fordern von ihren Lesern: "Entlarvt sie und verfolgt sie." Diese Leute sind uns mit allem so weit voraus. Die wissen, wie man im Netz Aufmerksamkeit generiert, welche Schlagwörter gesetzt werden müssen, wann sie welche Postings machen müssen, in welcher Frequenz und auf welchen Netzwerken. Sie wissen, wann es zu einer Löschung des Videos kommen kann. Demgegenüber sind Politiker, Behörden und Medien komplett blauäugig. Wir haben keine Vorstellung, wie raffiniert die sind.
Bei all der Hetze ging es ja nicht nur um Sie selber – besonders Ihre Tochter geriet in den Fokus.
Gutjahr: Meine Tochter studiert in den USA; bei einem Besuch von Hillary Clinton an ihrer Universität hat sie mit ihr ein Selfie gemacht. Als unsere Peiniger dieses Foto entdeckten, schrieben manche, sie wohnten nicht weit vom Campus entfernt. Wenn man weiß, wie leicht man in den USA an Schusswaffen kommt, da wird man krank vor Sorgen.
Welchen Schutz hätten Sie sich gewünscht?
Gutjahr: Mein erster Schritt war, mich an die Netzwerke selber zu wenden – was schwer genug ist. Denn da kommt man sehr schwer an Ansprechpartner. Eigentlich hätte die Sache nach einer Bitte um Löschung zu Ende sein müssen. Die großen Konzerne — die sich ja selbst auf die Fahnen schreiben, die Welt zu einem besseren Ort machen zu wollen – könnten Hass von ihren Seiten verbannen. Doch das geschieht nicht.
Hilft das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das soziale Netzwerke zu einem schärferen Vorgehen gegen strafbare Inhalte im Netz verpflichtet?
Gutjahr: Es ist Irrsinn: Bis zu diesem Gesetz mussten die Multimilliardendollarkonzerne Facebook und Google in Deutschland nicht einmal eine Rechtsanschrift in Deutschland vorhalten. Gleichzeitig wird ein Blogger wie ich, der um sein Leben fürchtet, von den Behörden gerügt, weil ich meine Wohnadresse und E-Mail-Adresse aus dem Impressum meines kleinen Blogs entfernt hatte. Sogar die Polizei hatte dringend dazu geraten.
Trotzdem scheinen sich die Behörden mit der Verfolgung schwerzutun.
Gutjahr: Innenminister und Justizminister werden nicht müde, auf jeder Bühne zu betonen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Doch so fühlt es sich leider oft an. Nichts was mir passiert ist, wäre im realen Leben erlaubt – nicht gedruckt oder im Gespräch. Die Gesetze werden so lasch umgesetzt, dass die Täter sich sogar trauen, unter ihrem vollen Namen zu hetzen. Man kann sich bei Facebook die Bilder von einem Vater anschauen, wie er im Urlaub mit seiner Familie unterwegs ist und dann pinnt der uns eine Gewehrpatrone auf die Seite und schreibt dazu: "Für deine Familie". Ich habe es angezeigt, die Strafe für ihn betrug 281 Euro. Das ist lächerlich – besonders im Vergleich zu Strafen, die etwa für Vogelzeigen im Straßenverkehr verhängt werden.
Laut Bußgeldkatalog bringt das 750 Euro.
Gutjahr: Da stimmt doch das Verhältnis nicht. Im Internet gibt es keine Abschreckung. Man kann über Mitmenschen verbreiten, was man will, und muss danach vielleicht nur 250 Euro Strafe zahlen. Viele Staatsanwälte und Richter kapieren die Tragweite von diesen Netzwerken nicht.
Über Sie und Ihre Familie kursierten teils 800 Videos auf YouTube mit hetzerischem Inhalt. Konnten Sie dagegen vorgehen?
Gutjahr: Zu Jahresbeginn wurden mehrere Hundert YouTube-Videos für Deutschland gesperrt — viele davon wurden zehntausend-, teils hunderttausendfach angeschaut. Doch es sind noch viele weitere zu sehen. Das Schlimme an einem Video im Netz: Es wird quasi jeden Tag neu publiziert. Es ist nicht wie eine Zeitung, die im Altpapier landet, sondern irgendwo sieht jemand dieses Video zum ersten Mal. Für mich ist es gefühlt nur eine Frage der Zeit, bis jemand eines Tages aufsteht und, angespornt von dieser Hetze, dann bei uns vor der Tür steht und eine Waffe dabei hat. Der meint dann sogar noch, der Menschheit etwas Gutes zu tun.
Wie funktioniert diese Hetzerszene?
Gutjahr: Es hat sich im Netz eine Parallelgesellschaft entwickelt. Die hat niemand so richtig wahrgenommen, weil sie sich unterhalb der üblichen Organisationsformen, wie Verbände, Vereine oder Parteien etabliert hat. In dieser Szene gibt es die sogenannten Hoaxer- oder Truther-Bewegungen, die weltweit operieren und ein informelles Netzwerk gegründet haben. Sie stehen in einem bizarren Wettstreit zueinander: Wer kommt nach einem schlimmen Gewaltverbrechen als Erstes mit einer alternativen Erklärung für dieses Verbrechen um die Ecke.
Es sind Verschwörungstheoretiker.
Gutjahr: Genau. Die gab es früher schon, denken Sie an die These, dass die Mondlandung inszeniert war. Verschwörungstheorien haben durch das Aufkommen von sozialen Netzwerken aber erst richtig an Fahrt aufgenommen. Befeuert werden sie von unterschiedlichen Gruppen: Den einen geht es nur um Klicks, sie haben ein monetäres Interesse. Anderen geht es um Aufmerksamkeit: Dadurch dass ihre Beiträge so oft im Netz geteilt werden, erfahren sie eine Form von Bestätigung. Wieder andere sind Publikum: Sie sind so überfordert durch die Flut an Information und Quellen im Netz, dass sie solche Geschichten glauben — vor allem wenn sie ihre eigenen Vorurteile bestätigen.
Für wie relevant halten Sie diese Gruppen im Netz?
Gutjahr: Man kann die gar nicht relevant genug einschätzen. Wir steuern auf ein gigantisches Problem zu. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, unsere Demokratie stand noch nie vor einer größeren Bewährungsprobe.
Also es ist kein Thema, das sich auf das Netz beschränkt.
Gutjahr: Es formiert sich im Netz und landet früher oder später auf der Straße. Denken Sie an den Reichsbürger, der in Georgensgmünd den Polizisten erschossen hat. Da braut sich etwas sehr Ungutes zusammen — vor unseren Augen. Und keiner kann abschätzen, wo das mal endet.
Der Reichsbürger, den Sie nannten, ist bisher eher ein Einzelfall. Haben Sie das Gefühl, dass sich dieser Hass in weiten Teilen in die Gesellschaft hineinpflanzt?
Gutjahr: Schauen Sie nach Amerika. Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass Trump seine Präsidentschaft Facebook zu verdanken hat, aber es ist eine Szene mit Wechselwirkung. Ich liege selber im Rechtsstreit mit dem Kopp-Verlag, den ersten Prozess habe ich gewonnen, doch die Berufung steht aus. Das Vorwort eines in diesem Verlag erschienen hetzerischen Buches beschäftigt sich mit mir und unterstellt mir eine Mitschuld an den Verbrechen von Nizza und München. Das Buch steht derzeit auf Platz 3 der Spiegel-Bestsellerliste für Sachbücher. Mein Bäcker, mein Postbote, mein Steuerberater und meine Sachbearbeiterin im Finanzamt: Das sind die Käufer dieser Bücher. Dieses Gift, das diese Leute versprühen, verbreitet sich schleichend immer weiter und bewirkt, die Gesellschaft von innen heraus zu zersetzen.
Sie gelten als Experte fürs Internet. Und trotzdem hat Sie diese Welle erschreckt?
Gutjahr: Ich hätte nie für möglich gehalten, wie verbreitet der Hass in unserer Gesellschaft schon ist. Wenn Sie im Supermarkt stehen oder im Café sitzen, dann ist Ihnen gar nicht bewusst, was die Menschen um Sie alles denken oder abends in den Computer schreiben. Aber die Vielzahl an Menschen, die diese Videos anschauen oder teilen, lässt erahnen, wie groß das Problem wirklich ist.
Wie kann man, wenn man von so einer Hasswelle betroffen ist, damit umgehen?
Gutjahr: Mein größter Fehler war, dass ich dem Ganzen zu lange zugesehen habe. Für den Großteil der Netzöffentlichkeit ist das eine Riesenshow: Da stehen sich zwei gegenüber. Der eine ist das vermeintliche Opfer, von dem man sagt: Der hat Dreck am Stecken. Der andere ist derjenige, der ihn bloßstellt — zum Wohle der Menschheit. Wenn man die Wortführer machen lässt, ist das ein Signal an alle Trittbrettfahrer — die fühlen sich sicher, glauben, sich ein Stück dieses Ruhms abschneiden zu können. Als ich angefangen habe, mich richtig juristisch zu wehren, bei meinen Widersachern Konten gepfändet oder ihre Videos gesperrt wurden, da haben die Mitläufer ganz schnell von sich aus reagiert und ihre Videos aus dem Netz genommen – aus Angst, dass sie als Nächstes dran sind.
Es ist ein sehr deprimierendes Bild, dass Sie da zeichnen. Glauben Sie, dass der Geist, der aus der Flasche gelassen wurde, wieder eingefangen werden kann?
Gutjahr: Ich habe den Glauben an die Menschheit noch lange nicht aufgegeben. Ich bin sogar sehr optimistisch, dass wir das Ruder wieder herumreißen und das Netz zu dem machen, was es ursprünglich sein wollte und für mich immer noch ist – ein unglaubliches Geschenk und eine Möglichkeit, sich mit anderen auszutauschen, zu lernen und Wissen zu teilen. Nur nach der ersten Euphorie schwingt das Pendel aktuell eben ins andere Extrem. Und es wird noch Jahre, wenn nicht sogar Generationen dauern, bis wir auch diese Technologie gelernt haben zu verstehen und sinnvoll moralisch und ethisch zu nutzen. Doch im Moment mache ich mir keine Illusionen: Ich glaube, bevor es so weit ist, kommt es noch schlimmer.
Richard Gutjahr hat seine eigenen Erfahrungen mit Hass in seinem Blog beschrieben: Ein Erfahrungsbericht: Unter Beschuss.
Der Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten, Michael Husarek, hat einen Kommentar zu diesemThema verfasst: Lesen Sie hier.
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