Premiere: "Judas Maccabäus/And the trains kept coming"

25.2.2014, 09:16 Uhr
Premiere:

© Staatstheater/Olah

Vom Aufstand der Juden gegen die Herr­schaft der Seleukiden bis zum syri­schen Bürgerkrieg, vom Holocaust bis zur UNO-Definition der Aggression reicht die historische Spannbreite, die der vom Schauspiel bekannte Regis­seur Stefan Otteni mit Händels Orato­rium „Judas Maccabäus“ und dem im Jahr 2008 uraufgeführten Oratorium „And the trains kept coming“ des 42-jährigen, in Tel Aviv geborenen Komponisten Lior Navok abdeckt.

Ein holzvertäfelter Raum, der von einem breiten schwarzen Steg in der Mitte zerteilt wird, formt die Bühne (Peter Scior). In ihm verteilen sich Instrumentalisten, Chor, fünf Solisten (Mark Adler, Martin Berner, Claudia Katharina Braun, Leila Pfister, Tae­hyun Jun) und vier Sprecher (Gina Henkel, Gesa Badenhorst, Stefan Wil­li Wang, Thomas Nunner) auf breiten Stufen, die aus dem Orchestergraben wachsen. Trotz dieser szenischen Klammer zerfällt die Aufführung in drei höchst unterschiedliche Teile.

Navoks Oratorium ist die Entdeckung des Abends

Das Beste gedeiht dabei in der Mit­te: Lior Navoks „And the trains kept coming“ bricht mit blendendem Licht, orchestraler Wucht und schlag­zeugsattem Klang über das Publikum herein. Anhand von rund 40 Dokumen­ten und Augenzeugenberichten, die größtenteils aus der israelischen Holo­caust- Gedenkstätte Yad Vashem stam­men, konfrontiert der Komponist das Publikum mit den Gräueln der Juden­vernichtung.

Dabei gelingt es Navok überzeu­gend, einen erzählerischen Bogen zu spannen: Vom Schrecken der Deporta­tionen verschiebt er die Perspektive in seinem rund 40minütigen Werk zur Weigerung vieler Staaten, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen, und zur Apathie der Alliierten bei der existen­ziellen Frage, die Vernichtungslager der Nazis und die Zufahrtswege dort­hin zu bombardieren. Dazu schafft Navok eine aufwühlende Musik, die keine Distanzierung duldet: Eine erbarmungslose Geräuschkulisse aus ratternden Zügen und tippenden Schreibmaschinen steigert sich zu eruptiven Orchesterentladungen; der auf das Höchste und Vielfältigste geforderte Chor versucht, eine Unzahl auf die Bühne gewehter Dokumente zu sichten und zu sortieren. Dabei flüs­tert er die Texte, schreit sie, durch­schreitet alle Formen rhapsodischer Gestaltung und archaischer Klagen. Persönliche Zeugnisse wie der Abschiedsbrief einer in Auschwitz ver­gasten Frau oder markante Dokument wie das „Riegner-Telegramm“ das 1942 erstmals die Alliierten über den Holocaust informierte, werden über­wiegend von den Solisten und den Sprechern gestaltet. Insgesamt gelingt Navok mit seinem Werk ein überzeugendes Plädoyer dafür, die Erinnerung an die Schrecken des Holocaust auch mit den Mitteln der Kunst zu bewahren: Weil sie dürre Fakten in aufwühlende Gefühle ver­wandeln kann. Leider kommt Navoks Werk in der fast dreistündigen Aufführung etwas zu kurz. Im ersten Teil entwirft Stefan Otteni die plakative Geschäftigkeit einer Chorprobe von Händels „Judas Maccabäus“ im Jahre 1944. Gesa Badenhorst als nationalistisch erglüh­te blonde Maid und Stefan Willi Wang als lauernd gefährlicher Funktionär zitieren aus dem Händel-Lob der Nazis zu dessen 250. Geburtstag im Jahr 1935. Im Duett „Heil, heil, heil“ wird im Text „Judäa“ durch „Vater­land“ ersetzt – kurz darauf heulen beim Fliegeralarm die Sirenen und versinkt die Bühne im Dunkel. In sol­chen Details demonstriert Otteni, wie Händels Werk von den Nazis zum Zwecke der nationalen Erbauung ver­einnahmt wurde. Dass man die mitreißende Kraft der Siegerchöre und die suggestive Wir­kung der Trauergesänge in „Judas Maccabäus“ aber auch in der Gegen­wart zweckentfremden kann, beweist Otteni ausgerechnet selbst im dritten Teil, wenn er damit die etwas akade­misch trocken wirkende Aneinander­reihung von Thesen für und wider die Möglichkeit eines gerechten Krieges emotionalisiert. Immerhin gelingen ihm ein paar prägnante Bilder, etwa wenn Stefan Willi Wang von zwei Frauen zum Mikro gezerrt werden muss, um sich bei seiner Selbstdarstel­lung zwischen Kriegsführer und Frie­densbewahrer wie der leibhaftige Lao­koon zu winden.

Dass hier aus Barack Obamas Rede anlässlich der Verleihung des Frie­densnobelpreises zitiert wird, erfährt der Zuschauer wie bei allen anderen Texten aus dem Programmheft. Je län­ger der Abend sich zieht, desto mehr vermisst man aber dann doch eine Stellungnahme des Regisseurs, der alle Fragezeichen zur Möglichkeit eines gerechten Krieges demonstrativ stehen lässt. So fasert dieses sehr ambitionierte Projekt zum Ende hin ein wenig aus.

Eindeutig kann man jedoch sagen, dass Peter Tilling als neuer erster Kapellmeister einen tollen Einstand gibt, dass die Staatsphilharmonie mit federnd-schlanken vibratolosen Barockklängen ebenso überzeugt wie in Navoks Werk beim Sprung in die Gegenwart: kompakt, grell, aufwüh­lend und präzise wird dort musiziert. Der bereits gelobte Chor wiederum überzeugt bei Händel mit konzentrier­ter Kraft und aufgefächter Stimmkul­tur, mit dem Aplomb des Jubels und der Innigkeit der Trauer. Das Orato­rien- Projekt, das man als Referenz­inszenierung für Nürnberg als „Stadt der Menschenrechte“ betrachten kann, wurde vom Publikum sehr posi­tiv aufgenommen. Leider kam Lior Navok, obwohl er im Parkett saß, nicht zum Schlussapplaus auf die Büh­ne. Dabei war er eine der künstleri­schen Hauptpersonen dieses Abends.
 

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