Wissenschaftler reisen in die Steinzeit

21.3.2011, 14:13 Uhr
Wissenschaftler reisen in die Steinzeit

© Hans-Bernd Glanz

Das Ergersheimer Gebiet ist von dichten Laubmisch­wäldern bedeckt. Eine kleine Dorfge­meinschaft hat sich dort niedergelas­sen, Frauen bereiten das Mahl, wäh­rend ein Teil der Männer auf der Jagd ist. Mit ihren Dechseln sind andere Männer gerade dabei, Eichen zu fäl­len, um Material für den Bau eine neuen Langhauses heranzuschaffen. Das dauert.

Die Ge­schwindigkeit beim „Geländeexperi­ment mit Repliken bandkeramischer Dechsel“ spielt aber auch kaum eine Rolle. Vielmehr wollen die Fachleute und Hobbyarchäologen mit der ex­perimentellen Archäologie selbst ver­stehen und nachweisen, wie unsere Vorfahren vor einigen tausend Jahren gearbeitet haben könnten.

Überkopf mit dem Dechsel

Schweißtreibend ist die Arbeit trotz eines leichten kühlen Windes. Die Frühlingssonne macht sich am Samstagvormittag auf der Südseite im Ergersheimer Wald bemerkbar. Muskelkater wird auch nicht lange auf sich warten lassen, zu ungewohnt ist die Überkopfarbeit mit dem Dechsel. Bei diesem Werkzeug steht das Blatt wie bei einer Hacke quer zum Stiel. Verschiedene Größen er­möglichten Fällarbeiten genauso wie die anschließende Holzbearbeitung.

Dabei machen die Ergersheimer Waldarbeiter am Samstag die glei­chen Erfahrungen wie die Vorfahren. Einmal bricht der Stiel, dann fehlt nach einem kraftvollen Schlag der scharfe Teil des geschliffenen Steines. Ein Fall für Wulf Hein, der als Archäo-Techniker versucht, die handwerklichen Fähigkeiten der Menschen aus der Steinzeit auf der Grundlage wissenschaftlicher Ex­perimente nachzuvollziehen.

Feuerstelle und moderne Hilfsmittel

Dafür werden prähistorische Funde nach­gebaut. Moderne Hilfsmittel sind al­lerdings nicht verpönt. Ausgerüstet mit allen notwendigen Gerätschaften wird im Wald ein neuer Stiel in den Schraubstock ge­spannt, der Stein eingebaut und mit Lederschnüren fest umwickelt. Mit Wasser begossen, ziehen die sich beim Trocknen fest zusammen, fertig ist der neue Dechsel.

Vorausgesetzt, man hat genügend geschliffene Steine ver­fügbar. Und passendes Holz. Des­wegen sucht Hein gleich im Wald nach passenden Aststücken für wei­tere Rekonstruktionen. Während die Eiche behauen wird, zieht verführerischer Duft vom Kes­sel herüber. Auf der Feuerstelle wird für die Holzfäller gekocht.

Gleich da­neben kommt modernes Equipment zum Einsatz. Ein Laserscanner misst regelmäßig Dicke und Abhau, auf den jeweiligen Hauer sind Kameras und Fotoapparate gerichtet, um Hau­technik und -fortschritt genauestens zu dokumentieren. Auch Späne wer­den eingesammelt.

Ausgerechnet in Ergersheim?

Wie sind die Archäologen, die von Konstanz und bis aus Österreich angereist sind, auf Ergersheim ge­kommen? Alle sind Mitglieder im Archäo-Forum, einem Zusammen­schluss von Wissenschaftlern und Hobby-Archäologen im Internet. Dort war die experimentelle Baum­fällaktion initiiert worden.

Mitglie­der des archäologischen Vereins Er­gersheim boten die Eichen zur Fällung an, die der Verein zunächst kaufen wollte, dann für diese Aktion aber von der Gemeinde geschenkt bekam.

Zaungäste kommentieren

Die wissenschaftliche Begleitung übernahmen Rengert Elburg vom Landesamt für Archäologie des Frei­staates Sachsen und Peter Walter, der für das Pfahlbaumuseum Unter­uhldingen tätig ist. Walter erklärt, das unsere Vorfahren für ihre ver­einzelt bis zu 70 Meter langen Häuser hunderte Holzständer errichten muss­ten mit einem Gerüst aus drei paral­lelen Pfostenreihen.

Einfacher gestal­tete sich da schon die Fällung und Be­arbeitung in Ergersheim, da konnte man sich immer wieder abwechseln. Nach einen Vortrag am Samstag­abend ging es am Sonntag wieder in den Wald. Zaungäste sparten nicht mit Kommentaren; der eine oder andere hätte nach seiner Vorstellung die Arbeiter doch gerne in Fell­kleidung statt in Jeans und Schutz­helm gesehen.

Das Geländeexperiment sollte jedoch ausdrücklich kein Historien­spektakel sondern eine ernsthafte wissenschaftliche Beschäftigung mit Leben und Arbeiten unserer Vor­fahren sein. Spannend war es, Werk­zeug, das sonst nur in Museen zu sehen ist, einmal in Aktion zu er­leben.