„Die Comic-Szene ist absolut international“
26.3.2012, 13:00 UhrSie sind die einzige Frau in der Jury. Wie kommt es, dass der Comic-Journalismus so männerdominiert ist – viel mehr als die Welt der Comic-Künstler selbst?
Brigitte Helbling: Es sind gar nicht so wenige Frauen. Aber die Jungs werden vielleicht mehr wahrgenommen, konzentrieren sich mehr auf das Thema Comics und bauen das mehr aus, während Frauen auf verschiedenen Ebenen arbeiten und Comics alleine auf die Dauer ein bisschen langweilig fänden. Wobei interessant ist: Anfangs waren es nur Frauen, die in Zeitungen über Comics geschrieben haben. Erst in den Siebzigern, Achtzigern gab es so eine Kippbewegung.
Lesen Frauen Comics „anders“?
Brigitte Helbling: Ich würde einen anderen Unterschied machen: Die Frage ist, wie man mit Comics aufgewachsen ist. Ich lebte in den USA, bis ich elf war, und da waren die Comics einfach normal. Da kam die Tageszeitung ins Haus, und alle Kinder stürzten sich auf die Funny-Pages. Bei vielen deutschen Kollegen fällt mir auf, dass sie das Comic-Wesen überhöhen und verteidigen, was ich unnötig finde. Das hat man nicht, wenn man in einer Kultur aufgewachsen ist, wo der Comic „selbstverständlicher“ war.
In der „Graphic Novel“ hat der Comic ja heute eine große thematische Freiheit erreicht. Gibt es Trends – etwa zum Politischen, Autobiografischen oder zu Männer- bzw. Frauen-Genres?
Helbling: Schwer zu sagen. Das Autobiografische ist, so kommt es mir vor, wieder ein bisschen vorbei. Eher sind nun Biografien beliebt, oder Reportagecomics.
Sind Sie zufrieden mit den heutigen Möglichkeiten, Comics im Feuilleton zu behandeln?
Helbling: In den Schrumpf-Feuilletons der letzten Jahre ist es schwieriger geworden – das hat aber gar nichts mit dem Comic speziell zu tun. Viele Redakteure finden Comic-Themen zwar super, schon allein, weil die Bilder auf ihren Seiten gut aussehen, aber es dauert manchmal ewig, bis dafür mal ein Platz frei ist. Wir arbeiten zunehmend mit Online-Portalen, in denen man Themen zeitnäher bringen kann.
Und werden in der Zeitung nicht solche Comics, die nur für einen Verriss Anlass böten, als Themen von vorneherein ausgesiebt?
Helbling: Ein Verriss ist sinnvoll, wenn er Kriterien aufzeigt, die über das Buch hinaus gelten. Da liegt beim Comic eher das Problem, dass wir erst noch dabei sind, die Kriterien zu formulieren, die einen guten Comic ausmachen.
Was haben Comic und Theater gemeinsam?
Helbling: Die Verwandtschaft ist eng, weil es in beiden Formen Inszenierungen gibt. Und bei beiden ist, wie auch in der Musik, der Rhythmus entscheidend. Auch darin, wie Sprache eingesetzt wird, liegt eine Verwandtschaft. Etwa, wenn man sich überlegt, was man nicht mehr in Worten auszudrücken braucht, weil das Bild es schon erzählt.
Sie haben 1995 eine der ersten Doktorarbeiten über Literatur und Comic veröffentlicht. Wie haben Sie das methodisch unter einen Hut gebracht?
Helbling: Mich haben Erzählstrukturen fasziniert, und ich bezog mich auf die Informatik, um mit deren mathematischen Strukturen die Mechanismen der Roman- und Comicliteratur zu beschreiben.
Wie gefällt Ihnen der Comic-„Jahrgang“ 2012?
Helbling: Da werden extrem schöne Sachen gemacht, die auch handwerklich immer besser werden – und immer noch ein Stück freier. Die Formsprache ist immer noch sehr in Bewegung, und gerade im deutschsprachigen Raum wird viel ausprobiert. Wobei die Comic-Szene aber absolut international ist, die Zeichner holen sich ihre Inspirationen über die Grenzen hinweg, gerade die experimentellen kennen sich alle und haben sich ständig im Blick.
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