Erlangen: Krawall überschattet Besuch beim Flüchtlingszelt
09.10.2014, 06:00 Uhr
Das Aufatmen kommt zu früh. „Wir sind froh, dass jetzt alles geklärt ist und es keinen Hungerstreik geben wird“, sagt OB Florian Janik – und lächelt erleichtert. Kurz darauf aber geht es vor der Zeltstadt am Freibad West erst richtig los: Zwei Männer gehen aufeinander los, schreiend und aggressiv, Frauen und Kinder beginnen zu heulen.
Der Streit zwischen den beiden Asylbewerbern weitet sich aus, dutzende männliche Bewohner rütteln am Eingangsgitter, einige gehen mit Stühlen in der Hand auf andere los — bis Polizei und Sicherheitskräfte dazwischen gehen. Der Unruhe-Stifter kommt aufs Präsidium, die aufgeheizte Menge lässt sich erst nach beherztem Einschreiten der Ordnungshüter beruhigen.
Ein geschockter OB
Solche Randale kommen in Sammelunterkünften, in denen hunderte Menschen aus unterschiedlichsten Nationen auf engstem Raum zusammenleben, wohl oft vor. „Das ist jetzt noch ein kleiner Einsatz“, sagt denn auch ein Polizist, „meistens sieht das anders aus.“ Für die anwesenden Besucher allerdings genügt schon dieser Zwischenfall, um ihnen recht plastisch einen Eindruck davon zu vermitteln, wie ein Handgemenge in eine Massenschlägerei umschlagen kann.
Auch dem Oberbürgermeister selbst ist der Schreck in diesem Moment anzumerken. „Es ist natürlich nicht angenehm, wenn um einen herum ein Konflikt ausbricht“, meint Janik nach dem ersten Schock, „aber Gott sei Dank ist nicht mehr passiert.“ Das Beispiel habe ihn aber ein Mal mehr in seiner generellen Skepsis gegenüber Massenunterkünften bestätigt: „Es reicht ein Einziger, der sich nicht korrekt verhält, um die ganze Stimmung zum Kippen zu bringen.“
Umschlagen kann die Atmosphäre jederzeit — selbst an Orten, an denen sich Kommune, Bevölkerung und Regierung wirklich um die Menschen bemühen. Denn das Engagement, das OB Janik, Bürgermeisterin Elisabeth Preuß und die Stadt an den Tag legen, um die Lage der Flüchtlinge zu verbessern, ist nicht selbstverständlich.
Das beweist der gestrige Vorort-Termin mit hochkarätiger Besetzung nur zu gut. Beschwerden über die Situation von Asylbewerbern gibt es zurzeit nämlich zuhauf; nicht immer aber kommen deshalb die obersten Abteilungsleiter gleich am nächsten Tag zum Ortstermin. In Erlangen aber ist genau das der Fall: Nachdem dutzende Syrer am Dienstag die — ihrer Meinung nach — zu langen Wartezeiten bis zur Registrierung kritisiert und Gespräche mit den zuständigen Behörden gefordert hatten, treffen bereits am nächsten Tag der bei der Regierung von Mittelfranken zuständige Sachgebietsleiter für die Unterbringung der Flüchtlinge, Robert Busse, sowie der Leiter der Zentralen Aufnahmeeinrichtung (ZAE) in Zirndorf, Werner Staritz, am Freibad West ein.
Ein Besuch mit Seltenheitswert. „Ich gehe nicht oft in eine Flüchtlingsunterkunft, ich kann ja auch nicht immer meine Arbeit stehen und liegen“, sagt Busse, „aber das ist eine Sondersituation.“ Er sei Janiks Anfrage nach einer Visite am Westbad gerne nachgekommen, da er den Flüchtlingen selbst erklären möchte, weshalb es bis zur Registrierung noch dauere. „Eine Sonderbehandlung aber wird es für die Syrer nicht geben“, sagt er unserer Redaktion. Einige Syrer aber erwarten genau das. Eine gemeinsame Informationsrunde mit Flüchtlingen aus anderen Ländern lehnen sie ab. Die Folge: Die Delegation darf zwei Mal hinter einander ähnliche Fragen etwa nach der weiteren Unterbringung, dem Asylverfahren oder dem Taschengeld beantworten: für russisch- und türkischsprachige Bewohner einerseits und Syrer andererseits.
Schon am Dienstag hatte das Auftreten der Syrer in der Zeltstadt für Unmut gesorgt: „Menschen aus anderen Ländern wollten auch gerne wissen, wie lange sie noch hier bleiben müssen, aber die Syrer haben darauf bestanden mit dem OB alleine zu reden“, erzählt ein Dolmetscher. Das wiederholen sie nun: Nach wenigen Minuten verlassen sie die Gruppe, wollen allein mit den Behördenleitern sprechen und beharren auf eine besondere Berücksichtigung ihrer Lage.
Bitte abgelehnt
„Wir sind von Bürgerkrieg und Flucht sehr schlimm betroffen“, übersetzt Marwan Fahmy von der Awo-Flüchtlingsberatung das Anliegen der beiden Sprecher Ali und Motasem, „können wir bei der Registrierung nicht vorgezogen werden?“
Eine Bitte, die Vertreter von Stadt, ZAE und Regierung gleichermaßen ablehnen: „Es gibt keine Flüchtlinge erster und zweiter Klasse“, betont der Rathauschef und Werner Staritz nickt zustimmend. Am 20. Oktober werde wie geplant die Registrierung beginnen; die Wartezeiten lägen an den überfüllten Aufnahmelagern und dem überlasteten Personal: „Wir werden aber alles dafür tun, dass die Erlanger Flüchtlinge bald in feste Einrichtungen kommen“, sagt der ZAE-Leiter.
Um den Prozess zu beschleunigen, geht die Stadt einen Schritt voran: Die üblicherweise erst in Zirndorf eingehende medizinische Untersuchung übernimmt das hiesige Gesundheitsamt — und das schon ab Donnerstag.
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