Erlangen: Zeitzeugen wehren sich gegen das Vergessen
21.9.2015, 06:00 UhrGert Schramm, Überlebender des KZ Buchenwald, hat Pierrette Herzberger-Fofana angesehen, zögerte und sagte dann: „Die Frage hätte ich mir gespart . . .“ Ein paar Lacher im Publikum. Die Stadträtin der Grünen Liste und Organisatorin der Wochen über Schwarze Geschichte hatte Gert Schramm gefragt, ob er in der Schule geschlagen wurde. Schramm betonte auch, entgegen der allgemeinen Geschichtsauffassung war die Befreiung des KZ Buchenwald nicht nur durch die Amerikaner passiert, sondern war auch eine Selbst-Befreiung. Wenig später rang Schramm um Worte. Schluchzend sagte er: „Wir Überlebenden werden nicht eher ruhen, bis der letzte Nazi vor Gericht gestellt ist.“ Herzberger-Fofana rückte mit dem Stuhl näher an den Zeitzeugen heran und legte die Hand auf seinen Arm. „Ich glaube, wir können hier abbrechen . . .“, sagte sie, und das Publikum applaudierte.
In die Erlanger Stadtbibliothek sind rund 110 Gäste gekommen, um unter dem Motto „Die Vergessenen der Geschichte – Afrodeutsche Zeitzeugen des Dritten Reiches“ aus dem Leben zweier Männer und einer Frau zu hören. Neben Gert Schramm war auch Marie Nejar auf dem Podium. Sie hatte in Propaganda-Filmen der Nazis mitspielen müssen. „Ich bin eine Deutsche, es hilft nichts“, sagte sie und das Publikum lachte. Zuvor erzählte sie von Versuchen als junges Mädchen, die schwarze Hautfarbe mit Seife abzuwaschen, eine Reaktion auf die Diffamierungen, sie sei schmutzig. Zunächst lernte Marie Nejar in der Schule begeistert Fakten über Adolf Hitler. Rückblickend vermutete sie: „Ich wäre ein Nazi gewesen, wenn ich eine weiße Haut gehabt hätte.“ Erst als sie beim Bund Deutscher Mädel abgelehnt wurde, hörte sie auf ihre Großmutter, die die Jugendliche vor den Nazis warnte.
Auch Theodor Michael hat seine Geschichte erzählt. Er war bei Pflegeeltern aufgewachsen, die Schausteller waren und ihn zur Völkerschau schickten, eine künstlerische Darstellung von Menschen, die als Exoten galten. Aus der Geschichte zu lernen, wünscht sich Theodor Michael und ironisierte: „Bis 1945 gab es Nazis und danach gab es keine mehr.“ Michael appellierte an das Publikum, hinter jedem Flüchtling einen Menschen zu sehen mit einer ganz persönlichen Geschichte. „Nur für wen es unerträglich wird, der flieht aus dem Land.“
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