Erlanger Poetenfest: Neuentdecktes Bilderbuch wird veröffentlicht
28.8.2014, 09:31 UhrDie Bemerkung fiel fast unter den Tisch. "Die Tante hat auch ein Bilderbuch gemacht" – so erzählte es Klaus Gültig, der Neffe und Nachlassverwalter von Marieluise Fleißer, eines Tages ganz beiläufig seinem Freund. Da aber wurde Karl Manfred Fischer erst neugierig. Ein Bilderbuch? Für Kinder? Das war ihm und allen anderen Fleißer-Experten bislang unbekannt.
In harten Zeiten, 1942, hatte die Ingolstädter Autorin (1901–1974) das Kinderbuch gebastelt: als Geschenk, das sie ihren beiden Neffen ins Allgäu mitbringen wollte. Soweit kam es aber nie. Erst 1996 entdeckte Gültig das Werk in einem Stapel von Papieren, längst vergessen, in einem Schrank.
"Es hat mir auf Anhieb gefallen - eine richtige Trouvaille", schwärmt Karl Manfred Fischer. Die Fleißer, von ihrem Freund und Förderer Bert Brecht nur die "Fleißerin" genannt, hatte Figuren aus Modezeitschriften ausgeschnitten und keck zu Collagen gruppiert, dazu kleine Verse mit viel Witz ersonnen. Lange hat es gedauert, so Fischer, den Neffen zu überreden, diese "familiäre, ganz persönliche Geschichte" auch zu veröffentlichen. Jetzt aber ist es soweit.
Zusage von Bernhard Echte
Beim letzten Erlanger Poetenfest - wir erinnern uns: Karl Manfred Fischer ist sein Gründer - konnte er Bernhard Echte (der schon über Robert Walser und Jean Paul ambitionierte Bücher stemmte) und seinen Schweizer Nimbus Verlag für das Liebhaber-Projekt gewinnen. "Noch in der Nacht, nach einer gemeinsamen Stunde im Theatercafé, hat Echte zugesagt".
Nun, ein Jahr später, wird das zauberhafte Fundstück unter dem Titel "Im Wirtshaus ist heut Maskenball" beim Poetenfest präsentiert: am Sonntag, 14 Uhr, in der Orangerie. Das ist aber nicht der einzige Fleißer-Tribut dieses Jahr. Karl Manfred Fischer als Herausgeber hat zum 40. Todestag der großen bayerischen Schriftstellerin einen eigenen Schwerpunkt für das Poetenfest gestaltet.
Gemeinsam mit Lisa Puyplat hat er eine Ausstellung erarbeitet, die auf 19 Tafeln mit Bildern und Zitaten kompakt ins Leben und Werk Fleißers einführt. Von Freitag bis Sonntag, 11 bis 19 Uhr, wird sie - für die Stadt Ingolstadt als Wanderschau konzipiert - erstmals in der Orangerie zu sehen sein. Dazu ist eine Fleißer-Diskussionsrunde angesetzt (Samstag, 17.30 Uhr), außerdem eine kleine Filmreihe, mit Fassbinders Fassung des Skandalstücks "Pioniere in Ingolstadt" von 1971 (Sa., 22 Uhr, Glocken) und - ganz aktuell - der gespenstisch guten Inszenierung "Fegefeuer in Ingolstadt" aus den Münchner Kammerspielen (So., 16 Uhr, Lamm), die es bis zum Theatertreffen schaffte.
Mehr als "nur" ein Fan
Fischer ist mehr als nur Fan - er und seine Frau, die Malerin Liselotte Spreng, kannten als gebürtige Ingolstädter die Fleißer persönlich, waren ab Mitte der 60er Jahre sogar mit ihr befreundet. "Ich muss ihr schon als Kind begegnet sein, beim Bierholen auf der Straße", erzählt er im Gespräch mit der NZ. "Wir wohnten ja nur ein paar Häuser auseinander." Und auch Spreng kann sich noch an den Tabakladen erinnern, "wo immer eine Frau drinstand - das muss sie gewesen sein!"
Begonnen hat der engere Kontakt dann 1963, mit einer Lesung im Ingolstädter Herzogschloss. Fischer leitete da bereits den Kunstverein der Stadt. "Sie kam nicht nur in die Ausstellungen, sondern auch zu uns privat", sagt Fischer. "Das Verhältnis wurde immer persönlicher, wir sind mit ihr ins Theater gegangen, danach in den Weinkeller".
"Das hat ihr gefallen, dass sie mit jungen Leuten zusammenkam", fügt Liselotte Spreng hinzu und erwähnt die Bedeutung, die Fleißer für die radikale Dramatiker-Generation Fassbinder, Kroetz und Sperr gehabt hat. Mit ihren kritischen Volksstücken, dem harten, fast schon künstlichen Dialektton war sie das künstlerische Vorbild, die mütterliche Inspiration.
Erfolge in Berlin
Nach den frühen und fatalen Berliner Erfolgen in den 20er Jahren – Fleißer wurde schließlich zur verfemten Autorin - erlebte die bescheiden in Ingolstadt lebende Witwe Ende der 60er eine zweite beglückende Blüte. "Für uns war sie schon eine besondere Frau - wir haben sie verehrt", sagt Spreng. Sie hat damals Batikschals für die Fleißer bemalt, ist mit ihr nach München gefahren, zum Einkaufen der passenden Hüte und - sehr wichtig - Knöpfe im Fachgeschäft. "Sie hat sich ja auch ihre Kleider alle schneidern lassen, leider nur immer das gleiche Modell." Spreng lacht. Ein Nachholbedürfnis, wie Fleißer selbst einräumte, aus Zeiten der Not.
Auch Fischer betont die feine Dame mit Sinn für feine Stoffe, "immer gepflegt und elegant", die es sich nach ihrer - durchaus problematischen - Rückkehr in die Provinz (für viele blieb sie eine Nestbeschmutzerin) doch eingerichtet hatte. "Ingolstadt war für sie überschaubar. Es war ihre Heimat, dort hat sie sich geborgen gefühlt."
Bei bestimmten Themen - etwa ihre Beziehung zu Brecht, von dem sie sich wohl mehr erwartet hatte - wurde sie "still", so Fischer. Der Ruf als Skandalautorin, den ihr Brecht durch seine Eingriffe verschaffte, hat sie belastet. "Sie wollte ja nicht umstritten sein, sondern anerkannt." Zuerst noch irritiert, voll Vorsicht, betrachtete sie die ungewohnte Aufmerksamkeit.
Bereits zum 70. Geburtstag Fleißers hatte Fischer große Pläne: einen Film plus Ausstellung und Publikation wollte er zu ihren Ehren machen - bekam aber von der Stadt kein Geld: Material, das er schon gedreht hatte, ging an den BR, für eine andere Doku, die nun in der Orangerie läuft. Wenn das Poetenfest 2014 auch zu einem Fest für Marieluise Fleißer wird, ist er seinen Zielen ein gutes Stück näher gekommen.
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