Ex-Süchtiger: „Ich habe mein halbes Leben vergeudet“

6.10.2012, 00:00 Uhr
Ex-Süchtiger: „Ich habe mein halbes Leben vergeudet“

© Faces of Meth

Ex-Süchtiger: „Ich habe mein halbes Leben vergeudet“

© Böhner

Der Weg führt links vorbei an der Gärtnerei, rechts an der Psychiatrie, ganz hinten steht ein Gebäude, aus Beton, mit orangefarbenen Fensterrahmen aus den 70er Jahren. Das ist das Haus G, die Suchtklinik. Zwei junge Männer, Mitte 20, lungern in Jogginghose vor der Tür und rauchen selbstgedrehte Zigaretten. „He, seid ihr von der Zeitung“, brüllt der eine. Er will seine Geschichte erzählen.

Wie er süchtig wurde nach Crystal, dem „Teufelszeug“, wie er es nennt. Was es aus ihm gemacht hat. Wie er sich tagelang weinerlich und panisch zuhause verkroch, vor lauter Angst die Wohnung nicht mehr verlassen hat. „Das Scheißzeug ist schlimmer als Heroin.“ Sein Gesicht jetzt öffentlich zu zeigen und seine Geschichte zu erzählen, das sei nicht gut für ihn, heißt es in der Klinik. Zu labil dafür sei er während des Entzugs. Der junge Mann ist einer von derzeit sieben Crystal-Süchtigen, die eine Entgiftung im Bezirksklinikum am Euroapakanal machen.

Halluzination, Verfolgungswahn und Aggressivität. Herz-Rhytmusstörungen, Haarausfall, rote Ekzeme auf der Haut, dazu Zahnausfall. Die „Nebenwirkungen“ von Crystal kennt Ute Hamers, Oberärztin der Suchtklinik, ganz genau. Sie begleitet die Patienten während der Entgiftung. „Die wenigsten schaffen es“ weiß Hamers. Die meisten kommen wieder. Rückfallquote: 95 Prozent.

Die wenigsten Patienten machen freiwillig einen Entzug. Die meisten bringt die Polizei. Da ist zum Beispiel einer, der unzählige Löcher in die Wand gebohrt hat – er dachte, man höre ihn ab. Oder eine, die sich büschelweise Haare ausgerissen hat. Oder einer, der sich mit dem Duschvorhang erdrosseln wollte.

Viele, die länger und regelmäßig Crystal schlucken, schnupfen, spritzen oder rauchen, sind psychotisch oder depressiv. Viele schlucken deswegen in der Klinik Psychopharmaka. Manche werden gesund. Andere bleiben psychisch krank. Crystal ist Gift für die Nervenzellen.

Erster Joint mit 14

Erlangen, nachmittags, in einem Café nahe des Bahnhofs. Martin (Name geändert) trippelt nervös auf und ab, läuft um die Cafétheke und wieder zurück.

Eine heiße Schokolade bestellt er schließlich und Zwiebelkuchen. Eine leichte Alkoholfahne strömt aus seiner Richtung. Martin spricht schnell, wechselt oft das Thema, verliert oft den Faden. Geschichten, die er erzählt, sehen mal so aus und mal so. Schwanken zwischen Wahrheit und eigenem Konstrukt, das sein Leben zusammenhält.

Martin ist 14 Jahre alt, als „coole Leute“ in seiner Klasse landen. Rasch bringen sie ihm bei, wie man Joints bastelt und wie man Jägermeister kippt. Bald kifft Martin täglich. Bis er 20 ist, reicht ihm das. Dann probiert er Crystal-Speed. Und bleibt schnell hängen.

Einige Wochen später bricht er seine Ausbildung zum Spielautomatentechniker ab. „Kein Bock mehr“, erinnert er sich. Bis heute hat Martin keine Ausbildung gemacht.

Mehr als 20 Jahre lang ist Martin drogenabhängig. „Ich hab mein halbes Leben vergeudet.“ Was er all die Jahre gemacht hat, ist schnell erzählt. Es ist eine kurze Geschichte, die eintönig, die bedauernswert klingt und nach Hast, nach Unruhe, nach eigenwilligen Höhen und nach Tiefen. „Gefeiert, geschnupft, getrunken, gefeiert. Und manchmal gearbeitet“, lautet sein Resumee. „Wenn es nichts zu schnupfen gab, bin ich auch nicht aufgestanden“, schiebt er hinterher. So einfach war das. In dieser Zeit isst Martin nur selten. Bei einer Größe von 1,94 Meter wiegt er bald nur noch 75 Kilo. Ein paar Zähne fallen ihm aus. „Man stumpft ab, man wird gefühllos.“

Seine Nebenjobs, mal als Türsteher, mal als Handwerker, reichen bald nicht mehr, um seine Drogensucht zu finanzieren. 70 bis 80 Euro am Tag braucht Martin für seine Dosis: ein halbes oder ganzes Gramm Crystal-Speed. Dazu zwei, drei Gramm Amphetamine. Ein bisschen Hasch. Ein paar Bier. Und drei, vier Schnaps. Um ein wenig Geld zu machen, fängt Martin an zu dealen. Nicht im großen Stil. Nur an eine Handvoll Bekannte verkauft er das Crystal. Jahrelang geht das gut.

Nüchtern nach langer Zeit

Eines Tages verpfeift ihn ein Kumpel. Martin landet im Knast. „Das war das Beste, was mir je passiert ist.“ Dort war er zum ersten Mal nach langer Zeit wieder nüchtern – nicht betrunken, nicht berauscht, nicht bekifft.

Das ist knapp vier Jahre her. Inzwischen ist Martin 40. Den Kontakt zu seinen früheren Freunden hat er abgebrochen. Damit hat er mit den 20 Jahren gebrochen, in denen sein Leben fremdbestimmt war, fremdbestimmt von kleinen Kristallen, die ein wenig aussehen wie grobes Meersalz. 20 Jahre, die er nicht zurückbekommt.

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