Lyrik mit Gasgebilden
14.8.2013, 10:32 UhrWas ist eigentlich ein BTG, also ein Bild-Text-Gedicht? Vordergründig werden hier ein oder mehrere Bilder und ein literarischer Text auf einer gemeinsamen Grundlage zusammengefügt. Doch eine bloße Illustration soll ein BTG nicht sein. Hintergründig will es viel mehr, will es Bilder, Sprache und Gedanken zusammenbringen: „Genau das“, sagt Lyriker Tobias Falberg, „ist die Poetik eines Bild-Text-Gedichts.“ Rein optisch betrachtet, bedeutet dies: Da werden einmal ganze Wörter weggelassen und durch Bilder ersetzt, ein anderes Mal stehen ganze Wortschichten übereinander, oder die Wörter fließen in spezifisch grafischer Gestaltung in die Bildebene hinein.
Das Ganze soll aber keine artifizielle Spielerei sein, sondern verfolge vielmehr bestimmte Intentionen, so Falberg: „BTGs sollen abstrakte Sprache deutlicher machen, größere Interpretationsräume schaffen und die Voraussetzung schaffen, um an Gefühlslagen besser heranzukommen.“
Die Idee zu den Bild-Text-Gedichten entwickelte sich bei einem gemeinsamen Stipendienaufenthalt des Lyrikers Tobias Falberg und des bildenden Künstlers Hans-Peter Stark in Ahrenshoop im April 2010. Wie kann man Bild und Text zusammenführen und dabei echten literarisch-künstlerischen Mehrwert schaffen? Diese Frage diskutierten Falberg, der im Raum Nürnberg lebt, und der Stuttgarter Stark auf dem Dach des Künstlerhauses Lukas mit Blick auf den schmalen Landstreifen zwischen Ostsee und Saaler Bodden.
Gedacht, getan: Falberg, ausgezeichnet mit dem Literaturpreis der Nürnberger Kulturläden, dem Feldkircher Lyrikpreis und dem Literaturförderpreis 2013 der Kulturstiftung Erlangen, liefert zunächst den „Roh-Text“ mit allen Worten an Stark, der für dieses Wort-Material erste Skizzen und grafische Aufteilungen entwickelt, das dann wiederum an Falberg zurückgeht, der auch selbst zeichnet und so weiter. „So geht das hin und her“, erklärt Falberg, „manchmal entstehen für ein BTG 30 Versionen, manchmal auch nur zwei.“
Eigene Mechanik
Jedes Gedicht habe seine eigene Mechanik, und die solle unbedingt schlüssig sein, so Falberg. Deshalb wird an den Texten respektive Textgebilden markiert und gefeilt, werden Metaphern grafisch aufgegriffen, Farbstreifen mit ganz eigener Farbpalette entworfen und Schablonen kreiert. „Wir beide“, sagt Tobias Falberg, „sind sehr experimentell und testen unsere Grenzen aus.“ Das Ergebnis ist oftmals verblüffend: Texte führen hier tatsächlich ein grafisches Leben, was die Essenz der Aussage und ihre Bedeutungsebenen auch optisch – im wahrsten Sinne des Wortes – ins Bild setzt.
Das Themenspektrum der beiden Künstler hinsichtlich der Inhalte ihrer Bild-Text-Gedichte ist ziemlich breit: Es geht um Sehnsucht, um die Entstehung und den Sinn des Lebens, um Funktionsweise der Sprache, um Natur, um den Mensch zwischen Natur und Technologie und deren Vernetzung in der Zukunft. Gerade im wissenschaftlichen Bereich, erläutert Falberg, gehe es um Verständlichkeit: „Komplexe Sachverhalte auszudrücken, ist natürlich schwierig, aber wir versuchen es trotzdem – mit einfachen Worten, einfachen Bildern, mit lyrischen Mitteln.“ Dezidiert politisch gehe es in den BTGs jedoch nicht zu. Über 60 Bild-Text-Gedichte sind seit jenem April 2010 entstanden und bereits andernorts – Wien, Nürnberg, Würzburg – zu sehen gewesen. Insgesamt 21 Bilder sind über mehrere Stockwerke der Stadtbibliothek verteilt und laden zum Verweilen ein. Puzzlestücke, Regenbogen, eine DNS als Telefonkabel, Wüste, Gasgebilde, Astralwolken, dazu die Lyrismen von Tobias Falberg: Man sollte sich Zeit nehmen, um in diese ganz eigenen Gedanken-Kosmen einzutauchen.
Am Poetenfest selbst wird Tobias Falberg in der Stadtbibliothek nicht nur aus seinen Werken lesen (1. September, 12 Uhr, Bürgersaal), sondern auch einen begehbaren Zettelkasten mit Ton und Beamer vorstellen, in dem man mit einem Barcode Texte abrufen kann.
Die Ausstellung dauert bis 10. September, der Eintritt ist frei (Öffnungszeiten: Mo., Di., Do., Fr. 10 bis 18.30 Uhr, Sa. 10 bis 14 Uhr, Mi. geschlossen).
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