Studie in Erlangen: Bouldern hilft gegen Depression
31.1.2018, 18:00 UhrManchmal muss Bernd Müller (Name von der Redaktion geändert) die Technik etwas abwandeln, mehr Kraft einsetzen. Um die Boulder nach oben zu kommen, braucht es bei ihm mehr als nur Geschick. Doch er schafft sie, die Kletterroute in Absprunghöhe, bis ganz oben an die Blockhelden-Decke. Dass er das überhaupt versucht, ist dabei die eigentliche Überraschung.
"Ich stand kurz vor dem Suizid"
"Als ich in die Tagesklinik kam, stand ich kurz vor dem Suizid." Bernd Müller sagt das neutral, aber konzentriert, als würde er einen komplizierten Sachverhalt erklären. Und nicht, als würde es darum gehen, dass er sich vor ein paar Jahren selbst töten wollte. "Später galt ich als Suizid-gefährdet. Ich konnte nichts machen, bin nicht aus dem Bett gekommen, hatte extreme Schlafstörungen, hatte mich aus meinem sozialen Umfeld herausgezogen. Ich habe mein Leben komplett nicht mehr auf die Reihe bekommen."
In der Tagesklinik hat er dann von der Studie des Uniklinikums erfahren. Eine Bouldertherapie für Menschen, die an einer Depression leiden. "Zugetraut habe ich mir das nicht", sagt Müller. "Doch mein Therapeut hat mir dazu geraten. Man bekommt Sport gratis mit Therapeuten-Anbindung. Es war eine Chance, die ich nutzen konnte." Also meldete sich der 31-Jährige an. "Ich hatte natürlich Zweifel, gerade aufgrund meiner körperlichen Verfassung, die damals noch wesentlich schlechter war."
Müller war übergewichtig und unsportlich. Also eigentlich alles, nur kein Typ fürs Bouldern. Trotzdem hat er angefangen. "Die Boulder-Therapeuten meinten, dass meine Verfassung keine Rolle spielen würde", sagt Müller. "Und so war es auch." Zu Beginn sei es dennoch schwierig gewesen. "Ich war sehr konkurrenzorientiert. Ungefähr jeder war besser als ich, allein aufgrund meiner körperlichen Verfassung." Spaß gemacht hat es trotzdem — wegen der Gruppe.
"Ich war tief in der Depression, hatte kaum soziale Kontakte." Durch das Bouldern ist Bernd Müller überhaupt wieder mit Menschen zusammen gekommen. "Trotzdem dachte ich immer: Ich bin ganz, ganz schlecht. Dann habe ich schnell gemerkt, dass ich Fortschritte mache. Das ist ein sehr positives Erlebnis. Nach zwei Wochen kann man etwas, was man vorher nicht konnte." Beim ersten Termin in der Boulderhalle hatte Müller noch Respekt vor der Wand, "doch man wird schnell sicherer und arbeitet mit der Gruppe an sich selbst".
Keine Zeit zum Grübeln
Katharina Luttenberger, Psychologin vom Uniklinikum, leitet die Studie. "Bouldern hat aus unserer Sicht viele Vorteile gegenüber anderen Sportarten. Dadurch dass wir von Geburt an Angst vor dem Fallen haben, bin ich beim Bouldern im Moment. Ich denke nicht daran, was Schlimmes passieren könnte."
Achtsamkeit, so heißt das. "Das Symptom bei Depression ist das, was wir Grübelschleifen nennen." Zeit zum Grübeln hat man beim Bouldern allerdings nicht. "Das unterscheidet Bouldern von Ausdauersportarten." Ein Depressiver redet sich seine eigenen Erfolge zudem oft klein. "Hier klettert man hoch und ist oben, das ist nicht wegzudiskutieren."
Das soll auch in der Nachfolgestudie, die Anfang März startet, so sein. Dann wollen die Wissenschaftler die Bouldertherapie mit bewährten Depressionsbehandlungen vergleichen. "Dafür suchen wir Teilnehmer, die an Depressionen leiden", sagt Luttenberger. Wie die Therapie helfen kann, zeigen die Mitglieder der Nachsorgegruppe. Für sie geht es nach oben. Steil nach oben.
Interessierte sind zur Informationsveranstaltung am Dienstag, 6. Februar, 16.30 Uhr, im Wintergarten der Tagesklinik (Schwabachanlage 6, 3. Stock) eingeladen.
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