Fall Peggy: Neue Zweifel am Geständnis von Ulvi Kulac

16.4.2014, 07:56 Uhr
Fall Peggy: Neue Zweifel am Geständnis von Ulvi Kulac

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Es ist mucksmäus­chenstill im Schwurgerichtssaal des Bayreuther Landgerichts, als der beisitzende Richter Jochen Götz aus Vernehmungsprotokollen zitiert. "Was haben Sie gemacht, als Peggy hingefal­len war und blutete? Ich hätte ihr ein Pflaster gegeben. Ich hätte versucht, die Wunde mit einem Taschentuch abzu­wischen", sagte demnach Polizist R. zu Ulvi Kulac.

Prompt antwortete Ulvi, er habe nach einem Pflaster gesucht, aber keines dabei gehabt. Dann habe er zum weinenden Kind gesagt: "Indianer kennt keinen Schmerz.". "Ich hatte den Eindruck, er wollte unsere Erwartungshaltung bedie­nen", schildert Polizeihauptkommis­sar M. dem Gericht.

Er war im Feb­ruar 2002 mit sechs weiteren Beamten aus ganz Bayern nach Hof beordert wurde, um die zweite Sonderkommis­sion "Peggy" zu unterstützen, die auf Hochdruck arbeitete. M. war eigent­lich Computerspezialist, jetzt wurde er im Auftrag von Soko-Leiter Wolf­gang Geier zusammen mit Kollege R. auf Kulac angesetzt.

"Nicht in diesem Jahr!"

Kulac ist nach dem Verschwinden der neunjährigen Peggy am 7. Mai 2001 in Lichtenberg dutzende Male vernommen worden, in 16 Vernehmun­gen hatte der damals 23-Jährige bestritten, etwas mit dem Mord an der Kleinen zu tun zu haben. Nur dass er sie vergewaltigt haben will, sagte er den Beamten bereits am 6. September 2001. Es sei so etwa "drei Wochen vor ihrem Verschwinden gewesen, nur nicht in diesem Jahr!"

Der geistig behinderte Kulac hatte keinen Zeitbe­griff. Alles dauerte bei ihm "immer zehn Minuten", sagt Polizist M., egal wie lange er dafür wirklich brauchte. Ulvi hatte Angst vor der Polizei - und vor dem Gefängnis. "Da kommen die Mörder hin", sagte er mehrfach. Trotzdem legte er am 2. Juli 2002 erst­mals ein Geständnis ab: Er hatte Peggy umgebracht, als er sich bei ihr für den Missbrauch vier Tage vorher entschuldigen wollte, Peggy sich aber von ihm losriss, schrie, stolperte, hin­fiel, sich wieder aufrappelte, davon­lief, er sie einholte, umdrehte, sie bäuchlings hinschmiss und ihr Nase und Mund zu hielt, bis sie tot war. Ermittler M. hörte nur noch die letz­ten Worte dieses stockend vorgetrage­nen Geständnisses - von einem Neben­zimmer aus.

Denn eigentlich war die Vernehmung bei der Polizeidirektion in Hof längst beendet gewesen, Ulvi Kulac hatte den Polizisten wieder nichts Brauchbares berichtet, sein Anwalt war bereits zu einem anderen Termin aufgebrochen und er sollte zurück ins Bezirkskrankenhaus Bay­reuth gebracht werden. Da plötzlich öffnete er sich dem Beamten H. So hal­ten es die Akten fest. H. gehörte gar nicht zur Soko Peggy. Er sollte nur die Fahrdienste übernehmen - und Ulvi die Angst vor der Polizei nehmen.

Denn H. kam aus Lichtenberg und kannte Ulvi, man traf sich beim Bier in der Wirtschaft, die Ulvis Eltern betrieben, und war "per Du". H. spielte die Rolle des väterlichen Freundes. Der Polizist betonte, er sei nie bei einer Vernehmung dabei gewesen. Auf dem Weg zum Auto fragte er Ulvi an diesem Tag beiläufig: "Hast Du auch die volle Wahrheit gesagt?" Da soll Ulvi den Kopf schräg gelegt, gelä­chelt und "nein" gesagt haben. H. führte seinen Schützling zurück ins Vernehmungszimmer, die Tonbän­der waren aber schon abgebaut.

Und so gestand Ulvi schließlich den Mord ohne seinen damaligen Anwalt, ohne elektronische Dokumentation, nur die­sem Polizisten. Später wandelte er die Geschichte ab, schmückte sie aus. Er nannte auch Bekannte, die angeblich die Leiche weggeschafft hatten. Doch die Frau und der Mann hatten ein was­serdichtes Alibi. Und eine Leiche gab es am besagten Ort auch nicht. Der heute pensionierte Polizist H. widersprach im Zeugenstand, er habe Ulvi mit den Worten "Du bist nicht mehr mein Freund, wenn Du nicht die Wahrheit sagst", damals unter Druck gesetzt. Doch Ulvis jetziger Anwalt Michael Euler nahm ihm das nicht ab, versuchte mehrfach, dessen Glaub­würdigkeit zu erschüttern.

Waffe an den Kopf gehalten?

Dem überraschten Gericht legte Euler eine eidesstattliche Versiche­rung eines Lichtenberger Bürgers vor. Dieser Mann schildert, wie ihm Poli­zist H. in Uniform, aber in betrunke­nem Zustand, in einer Gastwirtschaft die Dienstwaffe an den Kopf gehalten habe. H., der mit seinem Rechts­beistand erschienen war, wies diese Anschuldigung zurück. Doch musste er mehrfach Erinnerungslücken im Fall Peggy einräumen.

Euler lieferte sich mit den beiden Staatsanwälten Sandra Staade und Daniel Götz immer wieder Wortge­fechte, weil den Anklägern die Vor­würfe gegen die Ermittler, sie hätten Vernehmungen mit Ulvi absichtlich so arrangiert, dass sein Anwalt nicht dabei sein konnte, sichtlich zu weit gingen. Nur in dem Punkt, Ulvi könne die flinke Peggy kaum eingeholt haben, stimmten sie zu: "Ulvi sagt selbst: ,Wenn ich renne und laufe, muss ich erst einmal stehen bleiben", äußerte Sandra Staade.

Schließlich hatte Euler eine weitere Überraschung parat. Er verlas das Schreiben eines Rechtsanwaltskolle­gen in Halberstadt. Darin äußerte die­ser den Verdacht, Zeuge Peter H. habe nicht nur Ulvi zu Unrecht belas­tet, sondern auch seinen Mandanten, der elf Jahre Haft wegen Totschlags erhalten hatte. Peter H. hatte kurz vor seinem Tod zugegeben, die Ge­schichte, Ulvi habe ihm den Mord an Peggy gestanden, frei erfunden zu haben, um Hafterleichterungen zu erhalten.

Dieser Artikel wurde am 16. April um 7.52 Uhr aktualisiert.

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