Gans als Königsgabe
9.1.2012, 12:00 UhrNoch in den letzten Kriegstagen 1945 wurde das Gotteshaus durch die Sprengung der nahegelegenen Eisenbahnbrücke beschädigt. Die Druckwelle ließ das linke von drei neugotischen Kirchenfenstern vom Ende des 19. Jahrhunderts zerbersten.
„Eine exakte Rekonstruktion war wegen fehlender Vorlagen leider nicht möglich. Und so habe ich etwas gestaltet, was sich nicht zu sehr von den anderen Kirchenfenstern abhebt, aber doch eine eigene Bildsprache hat.“ Mit den Mitteln der Abstraktion gelingt ihm ein an Metaphern, Zitaten und Zeichen reiches Kunstwerk, das zeitlose Aktualität besitzt. Wie er überhaupt dazu kam? „Alfred Grimm, damals im Kirchenvorstand von St. Johannis, war ein Kollege am Gymnasium Höchstadt/Aisch. Er unterrichtete Mathematik, ich Kunst.“
Nicht historisiert
Walter Veit-Dirscherl hatte bei seinem Münchner Kunstprofessor Carl Crodel die technische Seite der Gestaltung von Kirchenfenstern kennen gelernt. Abgebildet in St. Johannis ist die Weihnachtsgeschichte, wie sie im Lukas- und Matthäus-Evangelium erzählt wird. Aber nicht etwa in der historisierenden Fassung der beiden über 100 Jahren alten originalen Kirchenfenster. Sondern aus dem eigenen Erfahrungsbereich des gebürtigen Straubingers heraus.
„Die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit habe ich als Schulbub erlebt. Wir hatten damals eine große Sehnsucht nach Frieden. Das schwingt im Kirchenfenster alles mit.“ Ganz oben zeigen sich Ruinen, in denen zwei Menschen die himmlische Musik verkörpern. „Ich habe sie absichtlich nicht als Engel gestaltet.“ Der eine singt, der andere spielt ein Instrument, alles zum Lobe Gottes. Als Vorlage dienten dem Künstler, der heute in Rimbach im Rottal lebt, Fotos vom zerstörten Nürnberg.
Der realistische Zugang zeigt sich auch im zweiten Segment mit der Geburt Christi. Dort sieht man keine Magier oder andere exotische Gestalten, sondern einfache Menschen in Gewändern, die an Soldatenmäntel erinnern. „Sie bringen dem Jesuskind nicht etwa Gold, Weihrauch und Myrrhe, sondern Dinge, die für uns nach dem Krieg sehr wertvoll waren: einen Laib Brot, einen Karpfen und eine Gans – alles ganz fränkisch.“ Die Krippe steht in einer weiteren Ruine, die durch ihr königliches Rot die vornehme Abkunft Jesu anzeigt.
Gleich darunter durchzieht ein gelber Streifen das Geschehen, der nicht ohne Grund an die Farbe des stigmatisierenden Judensterns erinnern soll. In ihm thematisiert Walter Veit-Dirscherl nicht nur den Kindermord zu Bethlehem, sondern auch den Holocaust. „Davon habe ich erst nach dem Krieg von einer neunjährigen Jüdin erfahren.“ Wer ganz genau hinsieht, erkennt trotz abstrakter Gestaltung Soldaten, die mit Messern und Pistolen bewaffnet sind. Ganz unten ist die Heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten. „Flucht und Vertreibung haben wir kurz vor und nach 1945 hautnah selbst erlebt. Unsere Familie wurde noch im April 1945 ausgebombt und musste sechs Stunden zu Fuß zu entfernten Verwandten laufen.“ Deshalb sind Josef, Maria und Jesus auch nicht die einzigen, die vor der Verfolgung durch die Mächtigen flüchten.
Für den 75-jährigen Künstler blieb es das einzige Kirchenfenster. „Als junger Mann hat man Kraft ohne Ende. Schließlich hatte ich nur einen Monat Zeit. Neben meinem Lehrerberuf bin ich täglich in die Werkstatt nach Zirndorf gefahren. Heute würde ich mir das nicht mehr zutrauen.“
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