Neunkirchener nimmt Fußballprofis unter die Lupe
19.5.2015, 06:00 UhrHerr Lochmann, wie können Sie dazu beitragen, dass unsere fränkischen Zweitligisten erfolgreicher spielen?
Matthias Lochmann: Das Schöne am Fußball ist, dass er leicht erklärt ist und jeder mitreden kann. Die Sportart im Detail aber ist eine echte Wissenschaft für sich. Deshalb gibt es unzählige Stellschrauben, an denen gedreht werden kann. Eine Beratung funktioniert wie bei einem Unternehmen, das sich externe Experten ins Haus holt. Feststellung von Optimierungspotenzialen und Ausarbeitung von Maßnahmenkatalogen. Die Umsetzung erfolgt durch den Verein selbst. Unsere Expertise umfasst die Bereiche Sportmedizin, Sportpsychologie, Management und Trainingslehre. In der Gesamtanalyse ist die Frage nach Möglichkeiten der individuellen Verbesserung von Spielern also nur eine unter vielen.
Und wo fangen wir da an?
Matthias Lochmann: Auch hier können wir vom Hundertstel ins Tausendstel gehen und uns mit Ernährungsplänen beschäftigen. Allerdings beginnen üblicherweise erste Maßnahmen, um kurz- und mittelfristig Einfluss auf die Wettkampfform zu nehmen, bei den athletischen Grundvoraussetzungen. An der Technik vor allem der älteren Stars sind kaum Veränderungen zu erzielen. Schnelligkeit, Kraft und Ausdauer lassen sich indes mit verschiedenen Methoden messen und trainieren. Gibt es in einer Mannschaft häufiger Oberschenkelverletzungen, müssen unter Umständen Rumpf- und Beckenmuskulatur bevorzugt gestärkt werden. Untersuchungen belegen, dass so bis zu 30 Prozent derartiger Blessuren vermieden werden können. Mehr Sprints auf gerader Strecke mit Höchstgeschwindigkeit sind hingegen keine geeignete Maßnahme, um an Tempodefiziten zu arbeiten. Da wären spezifische Schnellkraft-Übungen zu empfehlen und Trainingsformen zum Mitdenken, um die Reaktionszeit zu verkürzen.
Was lässt sich davon auf die Amateurebene übertragen?
Matthias Lochmann: Sehr viel. Oft wird ja beklagt, in zwei Einheiten unter der Woche sei wenig machen. Dabei kann Zeit eingespart werden, wenn zum Beispiel die überflüssigen Sprints und isolierte Konditionsläufe gestrichen werden. Ein wichtiger Leitsatz sollte sein, alle Übungen so nah wie möglich an die Wettkampfsituationen anzulegen. Stimmt die Intensität, ist die körperliche Beanspruchung genau richtig, die Wettkampfkondition herauszubilden.
Wie sehen solche Übungen, nah an der Spielsituation, aus?
Matthias Lochmann: Der Torschuss ist ein typisches Beispiel. Die traditionelle Variante mit einmal Anlauf nehmen und den Ball von einem Zuspieler abgelegt zu bekommen — selbst zum Aufwärmen in der Bundesliga zu sehen — , ist Verschwendung wertvoller Zeit. Sinnvoller sind Abschlüsse nach Angriffssituationen im Eins-gegen-Eins und Zwei-gegen-Zwei unter Bedrängnis. Auch für den Torwart ist die Erfahrung wichtig. Im Ernstfall befinden sich Abwehrspieler vor ihm, die einen Schuss abfälschen können oder die Sicht versperren. Außerdem müsste die Übung im Idealfall so aufgebaut sein, dass es nach einem Torschuss mit einem schnellen Abschlag oder Konter der bis dato verteidigenden Mannschaft weitergehen kann. Da wären wir wieder beim Thema Handlungsschnelligkeit, das betrifft dann ebenso das Rückzugsverhalten und Gegenpressing der Stürmer.
An welchen Hebeln können Trainer noch ansetzen?
Matthias Lochmann: Eine Menge unausgeschöpftes Potenzial besteht bei Standardsituationen. Diese sind oft spielentscheidend, und doch beschäftigen sich längst nicht alle intensiv damit. Die kurze Ecke ist mein Lieblingskind. Bieten sich statt einem gleich zwei Spieler zur Ausführung an, muss der Gegner reagieren. Entweder stellt er beide zu, dann ist für eine Flanke im Zentrum mehr Platz. Kommt nur ein Verteidiger mit, können die Angreifer ihre Überzahlsituation ausspielen und in Richtung Strafraum ziehen. Egal ob Flanke oder Schuss folgt, die Abwehrordnung ist für diesen Moment gestört. Eine Sichtsperre für den Torhüter durch einen weiteren Stürmer am Fünfmeterraum erhöht die Erfolgsaussichten genau wie ein Block in der Mauer beim Freistoß. Aus anderen Sportarten wie Handball und Basketball ist der Block als effektives Mittel bekannt. Zudem sollten die Laufwege und Endpositionen der Offensive bei Flanken samt Signale vorher genau festgelegt sein. Je mehr Varianten, desto besser. Die Automatismen entstehen durch Wiederholung, dafür bietet sich die Vorbereitung an.
Zurück zur Gesamtbetrachtung bei der Zusammenarbeit mit den Klubs.
Matthias Lochmann: Wie angesprochen, schauen wir uns die allgemeinen Strukturen an. Bei einem Nachwuchsleistungszentrum werden die in einem Prinzipienkatalog fixierten langfristigen Ausbildungsziele überprüft. Bei der Infrastruktur geht es teils um nackte Zahlen. Wie viele Plätze stehen zur Verfügung, sind überall Flutlichtanlagen vorhanden? Unter qualitativen Aspekten ist unter anderem die Organisation der ärztlichen Betreuung interessant. Die Personalstruktur ist ein eigenes Feld. Gibt es exakte Stellenbeschreibungen zu allen Positionen und sind die mit ausreichend qualifizierten Mitarbeitern besetzt, lauten unsere Fragen.
Zum Schluss noch das in diesem Frühjahr aufgekommene Thema Doping. Können Fußballer ihre Leistung künstlich steigern?
Matthias Lochmann: Bei Technik, Taktik und Koordination ist Doping weniger bedeutsam. Aber Ausdauer, Schnelligkeit und Kraft, die Voraussetzung für zweitgenannte ist, sind zentrale Leistungsgrundlagen. Substanzen wie Steroide im Kraftbereich erzielen unbestritten eine steigernde Wirkung. Die gibt es für die Ausdauer auch. In den letzten zehn bis 15 Jahren kam der Athletik sogar eine immer größere Bedeutung zu. Das Spiel ist dynamischer und dadurch körperlich aufwändiger geworden.
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