SC ärgert die Elite
22.10.2012, 10:00 UhrLinks neben der Tür zum Seiteneingang des großen historischen Rathaussaals blickt dem Besucher der grimmige Fuchs von Dornheim, seines Zeichens Fürstbischof von Bamberg, entgegen. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts schwang er sich zu einem gefürchteten Hexenverfolger auf. Es heißt, eine gut aufgetischte Verschwörungstheorie über den ungeliebten Nachbar reichte, um selbigen loszuwerden.
Udo Güldner ist weit davon entfernt, Verschwörungstheoretiker zu sein. Trotzdem taxiert der langjährige Vorstand des Schachclubs Forchheim „die Wahrscheinlichkeit, ganz nüchtern realistisch betrachtet“, dass die heimischen Akteure am 1. Spieltag im Forchheimer Rathaussaal gegen die Teams der SG Solingen und des SV Wattenscheid eine Gewinnchance haben, auf „null Prozent“. Zu unterschiedlich seien die sportlichen und finanziellen Voraussetzungen.
Der gastgebende Aufsteiger stemmt den Etat für die Ausrichtung zweier Heimspieltage (der zweite im Februar) — ein kostspieliger Posten ist die Live-Übertragung der Partien im Internet —, sowie Fahrt- und Übernachtungskosten bei Auswärtsspielen mit Mühe und Not dank dreier Sponsoren. „Unsere gesamten jährlichen Mitgliedsbeiträge, wenn wir das Geld für nichts anderes ausgeben würden, reichten nicht einmal für eine halbe Bundesliga-Saison“, erklärt der stellvertretende Vorsitzende Rainer Stephan. Während er das sagt, muss sich sein 1. Vorsitzender, Manfred Heidrich, auf dem fünften Forchheimer Brett gegen die Angriffe des Bosniers Predrag Nikolic erwehren. Der erste Forchheimer Gegner aus Solingen hat ganz andere Voraussetzungen, sagt Güldner: „Die sind um zwei Klassen besser. Durch die Bank sind die mit Großmeistern bestens aufgestellt. An den hinteren Brettern ist der Unterschied deshalb umso größer.“
Prusikin lockte die Schweiz
So tritt der letztjährige Bundesliga-Dritte mit dem österreichischen Starspieler Markus Ragger, zwei niederländischen Nationalspielern, einem Engländer, einem US-Amerikaner, einem Deutschen und dem Dänen Mads Andersen auf Brett 8 an, der den Forchheimer Bernd Hümmer nach knapp dreieinhalb Stunden besiegt. Das 1:0 für die Gäste. Die Hausherren mussten indes auf die Hilfe ihres besten Spielers, Michael Prusikin, verzichten. „Er spielt heute für Zürich in der Schweizer Liga. Die haben das Geld, wir können da nicht mithalten“, erklärt Güldner und fügt an: „Unsere beiden Topspieler Prusikin und Jansa kommen dagegen selbst für ihre Fahrtkosten auf. Zusammen mit Berlin bilden wir die Ausnahme, sind Hobbyvereine unter Profis.“
Die deutsche Liga boomt, hat sich seit dem Mauerfall – in ehemaligen Sowjetrepubliken wie Armenien ist Schach Nationalsport – und im Schatten medial besser zu verkaufenden Mannschafts- und Einzelsportarten professionalisiert. Konnten die Forchheimer in ihrer letzten Bundesliga-Saison vor gut zehn Jahren oft lange mithalten, so sitzen den bayerischen Amateuren nun die Größen ihrer Branche gegenüber.
Wacker halten sich die Forchheimer am Samstag bis in die Endphase ihrer Spiele, fast vier Stunden mentale und körperliche Belastung – die Kontrahenten mustern Mimik und Gestik ihres Gegenüber wie beim Poker sehr genau – liegen hinter ihnen. „Ab hier trennt sich die Spreu vom Weizen, passieren die entscheidenden Spielzüge, bestrafen die guten Spieler jeden Fehler“, kündigt Güldner an. Kaum spricht er den Satz aus, erwischt es innerhalb von zehn Minuten den jungen Debütanten Alexander Seyb, Johannes Zwanzger, Jörn Bade und Hans-Jürgen Döres. 0:5. Jubel dann nach viereinhalb Stunden Spielzeit. Heidrich schafft ein Remis und holt einen halben Punkt.
Vlastimil Jansa und der 17-jährige Leon Mons liegen auf den Brettern 1 und 2 zwischenzeitlich noch besser im Rennen. Gegen GM Daniel Stellwagen aus den Niederlanden, dessen Spielstärke über 300 ELO-Punkte über der des Forchheimers liegt, gelang dem Nachwuchstalent tatsächlich das zweite Remis des Abends. Die Krönung einer couragierten Leistung der Hausherren folgte gegen 20 Uhr. Vlastimil Jansa, der Routinier aus Prag, spielte gegen Solingens Nummer eins Ragger auf Sieg und setzte sich nach sechs Stunden durch. Die 2:6-Auftaktniederlage — sie fühlte sich fast wie ein Sieg an. Mit einer Verschwörung hatte das allerdings wenig zu tun.
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