Artisten auf dem Sprach-Drahtseil
7.8.2018, 10:08 UhrZum Beispiel: Ein Wort, zerlegt in seine fünf Silben. Die fünf Silben in vielfacher Ausführung auf weißem Papier; man könnte meinen, ein Fischschwarm kreuze den Weg des Betrachters. Und vermutlich liegt man richtig damit: "Intelligenz" heißt das Wort nämlich im unzersäbelten Zustand. Und so machen also die Herren Stark und Falberg die Schwarmintelligenz mit ihrer Kunst im Din–A3-Format zum sinnlich-bildhaften Vergnügen.
Die Chemie, sagt Tobias Falberg, habe sofort gestimmt, als er im Ostsee-Örtchen Arenshoop, wo er Stipendiat war, 2010 auf einen anderen Stipendiaten traf: Hans–Peter Stark, viel beschäftigter Maler und Bildhauer aus Berlin. 2018 zeigt das kreative Duo seine nunmehr zehnte Ausstellung in der 13. Stadt. Vor nicht allzu langer Zeit waren die Bild-Text-Gedichte der beiden auch in der Hauptstadt zu sehen, in der Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommerns, Schirmherrin war eine gewisse Frau Merkel, Bundeskanzlerin. Die weiß vermutlich an manchen Tagen selber gar nicht so genau, wo sie überall Schirmherrin ist und warum eigentlich. In den Dienst einer rufschädigenden Sache hat sie sich im Fall Falberg-Stark aber keineswegs gestellt.
Aha-Effekte und Emotionen
"Es geht uns nicht darum, einfach ein Bild mit einem Text zu versehen", sagt der 42-jährige Lyriker, der in Lutherstadt Wittenberg geboren wurde und mit seiner Familie in Nürnberg lebt, "sondern wir wollen Stimmungen erzeugen, Sprache lebendig machen". Um Aha-Effekte und "zusätzliche Emotionen" soll es gehen. Falberg selbst antwortet auf die Frage, ob die Arbeitsergebnisse der Herren nun in der Abteilung Literatur oder bildende Kunst zu hängen kommen: "Ich würde sagen, es ist bildende Kunst, die Sprache als tragenden Bestandteil enthält."
Das hat kunsthistorisch und literarisch zwar einige Vorbilder mit nicht ganz kurzen Bärten, gleichwohl haftet den Arbeiten nichts Epigonenhaftes an. Wenn das Neue-Mitte-Shoppern sehr geläufige Modewort "Sale" zeilenweise schrumpft und ins Unendliche entschwindet, dann kombinieren Falberg und Stark Zeitbezogenheit mit origineller Hintergründigkeit — je mehr Sale, desto schmaler der Geldbeutel.
Leitthema Geld
Geld, der Kampf ums Geld, steigende Preise: Sie sind die Leitthemen der aktuellen Schau in der Innenstadtfiliale der Volksbücherei, die neulich zum "Lesen!"-Festival eröffnete. Keine Ausstellung soll der anderen gleichen, in jeder Stadt schaut das Duo, das sich seine Ideen telefonisch und per Mail zwischen Nürnberg und Berlin zuspielt, mit neuen Ideen vorbei.
Zur Ausstellung zählt ferner eine witzige filmische Dokumentation, die das Künstlerpaar mit transparent-überdimensionalem BTG auf seinem Weg durch die Innenstadt begleitet. Stationenweise sprühten Stark und Falberg immer mehr Textfragmente auf ihre Tafel und postierten sie im öffentlichen Raum — es hat durchaus Loriot-Qualität, wenn zuletzt im Stadtpark ein ausnahmslos malvenfarben gekleideter Junggesellinnenabschied eine Art Feentanz um die Künstler und das BTG herum wagt.
"Kunst", sagt Tobias Falberg, "sollte immer wieder Verbindungen zu den Menschen herstellen, sie ist nichts Abgehobenes." Auch Gedichte sollen vorwiegend "Lust am Sprachmaterial entfalten, es ist gar nicht so wichtig, dass man sie immer gleich versteht". Leser der "Fürther Freiheit" ahnen, was Falberg damit meinen könnte: Mit seinen lyrischen Sprachgebilden ist der mit zahlreichen Preisen dekorierte Autor, der mit seiner chinesischen Partnerin in einem Haus mitten in der Nürnberger Fußgängerzone lebt, seit vielen Jahren Mitglied des Autorenteams der literarischen FN-Mittwochsreihe.
Im Jahrbuch der Lyrik ist er darüber hinaus seit 2006 Stammgast "Ich habe schon als Jugendlicher daheim alles weggelesen." Hölderlin nennt er als Vorbild unter den klassischen Autoren. "Wie er die Sprache in starre Formen fließen lässt, das hat absolute Leuchtturm-Qualität". Ihn selbst interessieren in der Literatur wie in der Musik immer die Extreme. Musiker, die schlagartig das Rad der Geschichte in eine völlig neue Zeit trieben. Die Stones. E-Bass-Gott Jaco Pastorius. Johann Sebastian Bach. Ein Nachname übrigens wie eine Inspiration fürs nächste Bild-Text-Gedicht.
Z"Zirkulieren im Sprachrohr": Volksbücherei, Innenstadtbibliothek Carl-Friedrich-Eckart-Stiftung (Friedrichstraße 6 A). Dienstags, donnerstags, freitags 11 bis 19 Uhr, samstags 10 bis 14 Uhr. Bis 16. August.
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