B wie Blume

7.8.2012, 22:00 Uhr
B wie Blume

© André De Geare

FÜRTH — Warum die Namen für Juden so wichtig sind? Gisela Naomi Blume hält kurz inne. Die Erinnerung, erklärt sie, habe im Judentum einen hohen Stellenwert: Für das Volk, das im Laufe der Geschichte immer wieder vertrieben wurde und über die ganze Welt verstreut ist, seien die Namen manchmal das einzige Bleibende gewesen. Sie stehen für die Identität, für die Wurzeln — religiös wie familiär.

An Pessach, einem der wichtigsten Feste der Juden, das ihren Auszug aus Ägypten und die Befreiung aus der Sklaverei feiert, wird explizit der Reihe der eigenen Väter und Vorväter gedacht und an die Ahnen erinnert. Beim Propheten Jesaja 56:5 heißt es: „Ich will ihnen in meinem Hause und in meinen Mauern einen Ort geben und einen bessern Namen denn den Söhnen und Töchtern; einen ewigen Namen will ich ihnen geben, der nicht vergehen soll.“

Das alles wusste Gisela Blume nicht, als sie auf einer Wanderstudienreise nach Santiago de Compostela Anfang der 90er von der Erforschung jüdischer Geschichte hörte und neugierig wurde. „In Fürth gab es früher auch Juden ...“, erinnerte sie sich. Die Zeit war reif: Gerade war das Buch „Kleeblatt und Davidstern“ herausgekommen und die damalige Stadtheimatpflegerin Barbara Ohm beklagte den Zustand des alten jüdischen Friedhofs.

Mehr als 300 Jahre lang — von 1607 bis 1936 — hatten die Fürther Juden ihre Toten zur Bogenstraße gebracht, noch 6300 Grabsteine sind vorhanden. Zwischen Efeu und Brennnesseln machte sich Gisela Blume zunächst an die Kartierung. „Am Anfang war das für mich Heimatkunde. Bis irgendwann Nachfahren neben mir standen, die die Gräber ihrer Familien suchten.“

Das gab den Anstoß. Danach ist Gisela Blume drei Sommer lang „jeden trockenen Tag“ auf dem Friedhof gewesen, hat vorsichtig das Moos von den verwitterten Steinen gebürstet und versucht, die Inschriften sichtbar zu machen. Eine israelische Kunststudentin half ihr, die hebräischen Zeilen zu entziffern.

Namen, Sterbedaten, Lobpreisungen — viele waren nur Fragmente, manche nur mit den Fingern zu ertasten: Bruchstücke in einem Steinbruch der Erinnerung. Blume hat dann Wochentage mit Kalendern abgeglichen, in Archiven geblättert und Datenbanken durchsucht.

Über 20000 Namen hat sie zusammengetragen: „Bei vielen habe ich das Gefühl, ich kenne sie persönlich.“ Sie weiß, wer wen wann geheiratet hat, wie die Kinder hießen, woran sie gestorben sind oder wann eine Familie ins Königreich Württemberg auswanderte.

„Es war ein Segen darauf“, sagt Gisela Naomi Blume. Die intensive Beschäftigung mit dem Judentum hat ihr Leben verändert. Anfangs war sie nur von der hebräischen Schrift fasziniert, schließlich konvertierte die in einem religionslosen Haushalt aufgewachsene Protestantin zum jüdischen Glauben und war für einige Jahre sogar Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde.

Herkunftsort als Name

Sie nahm einen zusätzlichen Vornamen an: Naomi. Im Buch Ruth heißt so die Witwe, die auf der Suche nach ihrem Gott ist. Das passt, fand Gisela Naomi Blume. Die geborene Hussong hatte 1960 einen hanseatischen Kaufmann geheiratet — „Blume wollte ich zwar nicht heißen, aber damals musste man den Namen des Mannes nehmen“ — und wurde dann früh zur Witwe.

Natürlich hat sie sich auch mit jüdischen Namen beschäftigt. Bis weit in die Neuzeit trugen sie nur Vornamen. 1813 aber legte der Matrikelparagraf fest, dass alle Juden einen Familiennamen annehmen mussten. Oft wählten sie den Herkunftsort, um Doppelungen zu vermeiden. Auch Namen wie Rosenblüth und Veilchenblau empfand man damals einfach als schön. Sie alle finden sich in den 13 Ordnern, die Gisela Naomi Blume mit Stammbäumen und Familienunterlagen gefüllt hat. „Sie weiß mehr über unsere Familie als wir“, hat eine Tochter von Lilli Bechmann-Rahn, die 1934 als letzte Jüdin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen promoviert hatte, einmal ausgerufen.

Wann ist das abgeschlossen? „Nie, so alt werde ich nicht!“, sagt Gisela Naomi Blume. Sie hat sich für die Restaurierung der Trauerhalle eingesetzt und ein Buch über den alten jüdischen Friedhof geschrieben; sie hält Vorträge über das Judentum, begleitet nach wie vor Besucher über den Friedhof und unterstützt Nachfahren der Fürther Juden bei der Familienforschung.

 

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