Die Gustavstraße war schon immer eine unruhige Adresse
24.8.2012, 16:00 UhrEs vergehe kaum eine Nacht, wetterte Stadtrat M., in der es nicht zu Exzessen und Ausschreitungen komme. Die Bewohner der Gustavstraße und ihrer Umgebung seien nicht nur in ihrer Ruhe gestört, sondern auch in ihrer Sicherheit erheblich bedroht.
In der Fürther Altstadt ist allabendlich der Teufel los. Vor allem in der Gustavstraße kriegen die Anwohner nachts kein Auge mehr zu. Gröhlende Zecher ziehen bis in die Morgenstunden umher, in den Wirtschaften dudelt laute Musik und auf den Gehsteigen führen sich die Gäste auf, als wären sie auf dem Volksfest. Manchen Fürthern sind diese Zustände schon lange ein Dorn im Auge. Sie fordern mehr Engagement seitens des Stadtrats und werfen dem Oberbürgermeister Untätigkeit vor. Eine Verlängerung der Sperrzeiten müsse her. Dagegen wehren sich die Wirte, die die Beliebtheit des Vergnügungsviertels und ihre Umsätze gefährdet sehen. In Leserbriefen der Zeitung streiten Bürger mit unterschiedlichen Interessen munter miteinander.
Nein, die Zu- und Umstände sind nicht zu vergleichen. Mag in diesen Berichten auch manches entfernt an die Diskussion erinnern, die gerade über die „Kneipenmeile“ geführt wird, so stellte sich die Lage vor knapp 60 Jahren doch absolut anders dar. Eines freilich ist unleugbar: eine ruhige Gegend – das wusste jeder, der dort wohnte oder freiwillig hinzog – war die Fürther Altstadt noch nie. Vor allem aber hat sie auch schon weitaus heißere Zeiten erlebt als heute. An allem waren damals die amerikanischen Soldaten schuld, die als Vertreter der beschützenden Besatzungsmacht massenhaft in den Kasernen in und um Fürth wohnten und abends gerne dem Militäralltag entfliehen wollten.
Rund um die Gustavstraße bestand traditionell eine attraktive Mischung aus Wirtschaften, Kneipen, Tanzcafés und Bars. Für die zahlungskräftigen GI’s wurde die Gegend zum Anziehungspunkt – sehr zur Freude der Wirte. Freilich auch zum Plaisier für Vertreterinnen eines anderen Gewerbes, das sich vornehmlich horizontal abspielt. Im Dunstkreis der Amerikaner kamen Prostituierte, Zuhälter, bald gab es Auseinandersetzungen um Frauen, Liebeslohn oder auch verlorenes Spielgeld. Im alkoholisierten Zustand wurden Streitereien angezettelt, Schlägereien gehörten zur Nacht-Ordnung.
„Nahkampf mit Bierflaschen“ hieß dann zum Beispiel anderntags die übliche Zeitungsmeldung über die Vorkommnisse in der Gustavstraße, der Schindel- oder Fischergasse: da stürmten schon mal 20 GI’s eine Kneipe und mischten das Stammpublikum auf und nach Mitternacht war noch lange nicht Schluss.
Aus dem Schlaf gerissen
Da wurden die Bewohner „erneut aus dem Schlaf gerissen, weil die amerikanischen Soldaten wieder in Gruppen von 20 bis 30 Mann die ganze Gegend unsicher machten. Sie grölten und johlten in einem Maße, dass die Anwohner mit Recht ihrer Empörung in lauten Worten Luft machten. Die Soldaten ließen sich dadurch aber in keiner Weise von ihrem wüsten Treiben abhalten, zumal weder die deutsche Polizei noch die MP gegen den Unfug einschritten. Lediglich ,einige sinnlos Betrunkene wurden schließlich mit Taxis abtransportiert‘, so weit die Fahrzeuge nicht in ,wilden Schlachten‘ von den Soldaten ,besetzt‘ wurden...“
„Wildwestiade“ sagte man seinerzeit zunächst noch sarkastisch dazu, konnte aber bald schon nicht mehr darüber lachen. Nicht nur Vereine wie „Treu Fürth“ oder auch Kirchen wiesen immer wieder darauf hin, dass die mehr und mehr sich öffentlich zeigende Prostitution zum endgültigen Sittenverfall führen würde. Tatsächlich häufen sich in dieser Zeit in der Zeitung Polizeimeldungen über Vergewaltigungen und Unzucht mit Minderjährigen in dieser Gegend alarmierend.
Und die Polizei verzeichnete einen Anstieg der Fälle von „Geschlechtskrankheiten, Kuppelei-, Gewerbeunzuchts- und Schwarzhandelsfällen im Zentrum der Gustavstraßen-Gegend“. Eine „Brutstätte der Unmoral“! Gleichwohl sah der damalige Fürther Polizeidirektor Dr. Kaltenhäuser die ganze Sache nur halb so dramatisch: die Lage habe sich eher beruhigt. „Lebhafter Betrieb“ in den Bordellbetten „herrsche nur acht Tage nach dem Zahltag oder nach längerer Abwesenheit der Soldaten in Manövern“.
Doch am 6. November 1954 zogen schließlich die Verantwortlichen die Notbremse. Zwar fand sich im Fürther Stadtrat bis dahin keine Mehrheit für drastische Maßnahmen gegen die Verrohung der Fürther Altstadt (vor allem übrigens der Vertreter der KPD, jener eingangs erwähnte Stadtrat M., machte sich stark für ein hartes Eingreifen – freilich mit antiimperialistischen Hintergedanken –, wohingegen die Vertreter der bürgerlichen Parteien herumdrucksten und wohl vor allem die starke Lobby der Wirte fürchteten); Oberbürgermeister Bornkessel aber wagte trotzdem zusammen mit der US-Militärbehörde (nur sie war für die Truppen weisungsberechtigt) den von den Anwohnern lange erwarteten Schritt: die gesamte Altstadt wurde zum „Off-limits“-Gebiet für Angehörige der amerikanischen Armee erklärt. Sie durften die Gegend nurmehr mit dem Auto oder der Straßenbahn „durchfahren“, Aussteigen und Aufenthalt waren ihnen zwischen 17 Uhr und sechs Uhr früh verboten. So sehr die Maßnahme, Menschen das Betreten gewisser öffentlicher Orte zu verbieten, auch manche Bürger an Methoden aus der gerade vergangenen Nazi-Zeit erinnerte – sie schien sich zu bewähren. Schon nach dem ersten Wochenende hieß es in den „Fürther Nachrichten“: „Die Gustavstraße selbst bot am ersten Abend und in der ersten Nacht ein völlig ruhiges Bild. Großen Teilen der Bevölkerung fiel tatsächlich ,ein Stein vom Herzen‘, denn es waren nicht nur die lärmenden Soldaten aus dem Straßenbild verschwunden, sondern auch die ,Ami-Mädchen‘ und der lichtscheue Tross der Zuhälter und Schlepper.“
Der Schaden für die betroffenen Gastwirte war freilich unbestreitbar. „Einige, die sich bisher in der Hauptsache auf Ami-Kundschaft eingestellt hatten, waren sogar gezwungen, am Samstagabend frühzeitig ihre Pforten zu schließen. Hier liegt schließlich der Kernpunkt des Streites um das ,Off-limits‘-Gebot: was wiegt schwerer, der geschäftliche Schaden einiger Gastwirte oder das Fortbestehen der ständigen Störung der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Moral in diesem Gebiet?“
Und Gastwirte und Taxifahrer protestierten umgehend. Der örtliche Gaststättenverband warf dem OB vor, er hätte es sich mit der „Lösung des Problems“ sehr einfach gemacht. Eine Reihe von „Vergnügungsbetrieben“ sei nun „dem Ruin ausgeliefert“, und überhaupt hätten nicht die Wirte die Pflicht gehabt, für Ruhe und Ordnung „vor“ ihren Lokalen zu sorgen. Dies sei Sache der Stadt, vor allem der Polizei, die sich jedoch als unfähig erwiesen hätte. Abgestraft würden nun die Gastwirte, über die man „die Todesstrafe verhängt“.
Grabesruhe in der Gustavstraße auf einmal. In Leserbriefen bedankten sich ein Bürger erleichtert: „Die ganze Stadt freut sich“; „Dass die Zustände in der Gustavstraße auf Dauer unerträglich waren, muss jedem vernünftigen Menschen klar sein“; „Stellen Sie sich doch auf Deutsche um! Wenn Sie Ihr Geschäft anständig führen, werden Sie ebenfalls leben können“; „Hoffentlich findet die großzügige Lösung nicht doch irgendeinen kleinlichen oder engherzigen Stadtrat, der diesen Beschluss zugunsten einiger Wirte wieder zu Fall bringen möchte.“
Rückblickend freilich kann man von Glück sagen, dass das „Off limits“ für die amerikanischen Soldaten erst 1954 kam. Wäre es drei Jahre früher schon in Kraft getreten, dann wäre es nie zum Auftritt (und nachfolgend zur steilen Karriere) von Freddy Quinn im „Gelben Löwen“ gekommen, der ja bekanntlich vor allem wegen des US-Publikums engagiert worden war.
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