Ein Happel-Schüler für Fürths Talentschmiede

13.11.2011, 19:10 Uhr
Ein Happel-Schüler für Fürths Talentschmiede

© privat

Er ist seit neun Tagen hier. Auf dem großen Abreißblock, der neben seinem Schreibtisch an einer Art Staffelei hängt, ist ein freihändig gezeichnetes Herz zu sehen. Daneben steht: „lich willkommen in Fürth“. Eben hat Mario Himsl das großzügig bemessene Büro verlassen. Weitere Gesprächspartner werden folgen. Allein das Organigramm des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) in der Kronacher Straße weist neben dem sportlichen Leiter Himsl noch einen allgemeinen Leiter (Vizepräsident Günter Gerling), einen Juniorenleiter (Jürgen Brandl) sowie diverse andere Mitarbeiter aus. Es gibt also allerhand zu koordinieren für Alfred Hörtnagl, seit kurzem „Fußball-Koordinator“ des Kleeblatts.

Hörtnagl war in Österreich 20 Jahre Profi und brachte es als Mittelfeldmann auf 27 Länderspiele. Er wurde mehrfach Landesmeister und trainierte unter anderem nach Vorgaben von Jogi Löw und des österreichischen Fußballdenkmals Ernst Happel. Vorübergehend füllte er eine Kolumne in der Kronenzeitung, dem einflussreichen Massenblatt der Alpenrepublik. „Ich hab’ die selbst geschrieben“, betont der 45-Jährige lächelnd, wohl wissend, dass das in seiner Branche die Ausnahme ist. Sogar ein Buch stammt aus Hörtnagls Feder. Es erschien 2005 mit dem etwas martialischen Titel „Kämpfen und Siegen mit Herz – Fußball als Lebensweg“.

Hesse und Coelho

Den Job in Fürth haben ihm andere Meriten eingebracht. Hörtnagl, der sich per Fernstudium zum Manager fortbildete, organisierte ab 2006 als Sportdirektor von Rapid Wien die Nachwuchsarbeit des Traditionsklubs aus Hütteldorf. Mit Erfolg.

Die langen Finger des gebürtigen Tirolers greifen nach einem Din-A-Blatt und einem Stift. Er zieht rasch mehrere kleine Kreise und einen Großen drumherum, die Struktur der Fußball-Akademie bei Rapid: Jugend, Amateure, 1. Mannschaft. Er und seine Mitstreiter führten beispielsweise ein, dass Junioren zweimal täglich trainieren konnten, die Schule fand nicht mehr vorher statt, sondern dazwischen. Etliche aus dem Hütteldorfer Nachwuchs schafften es so im Eiltempo in die Bundesliga und manche bis in die Nationalmannschaft. Hörtnagl, man spürt das, könnte jetzt stundenlang referieren, doch er bremst sich. „Ich möchte das nicht zu sehr strapazieren.“ Schließlich sei auch die SpVgg auf einem guten Weg und er nicht angetreten, das Rapid-System eins zu eins in Fürth umzusetzen.

Hörtnagl trägt ein beiges Cord-Sakko, darunter einen roten Pulli und ein braunes Hemd. Auch die dezent modische Brille in dem länglichen Gesicht passt zum unprätentiösen Auftreten des Mannes, den Vereinspräsident Helmut Hack als vielleicht wichtigen Streiter beim Verteidigen des „Innovationsvorsprungs“ der Fürther eingestellt hat.

Der in Matrai am Brenner geborene Familienvater hat einen Hang zu gepflegter Literatur. Seine Lieblingsautoren sind Hermann Hesse und Paulo Coelho. Er formuliert im Gespräch ruhig und präzise, möchte erklären, aber nicht besserwisserisch wirken. Eine seiner Maximen lautet: „Ich kommentiere keine laufenden Prozesse.“ Will heißen: Im Gegensatz zu vielen Fußballpromis, vor allem in Österreich, glaubt Hörtnagl nicht, zu allem und jedem seinen Senf geben müssen. „Mein Ego braucht das nicht.“ So scheint es ihn auch nicht zu stören, dass er formal Manager Rachid Azzouzi unterstellt ist. Er gibt den Macher im Hintergrund.

„Unheimliche Dynamik“

Der erste Kontakt zwischen Hack und Hörtnagl kam 2008 zustande. Damals ging es um Kauf und Weiterverkauf von Stephan Maierhofer. Neben dem Stürmer, der von Fürth nach Wien und von dort zu den Wolverhampton Wanderers wechselte, machten auch beide Vereine einen schönen Schnitt. So was verbindet. Im August dieses Jahres trafen sich Hörtnagl und Hack erneut, zum Gedankenaustausch. Vier Monate vorher hatte der Österreicher sein Amt als Rapid-Sportdirektor, in dem er sich oft an Trainer Peter Pacult rieb, niedergelegt. „Mein Auftrag war erfüllt.“ Nun hat er einen neuen, im seiner Ansicht nach attraktivsten Fußballmarkt der Welt. „Hier gibt es sogar in der Dritten Liga tolle Stadien.“

Wenige Schritte von Hörtnagls Büro entfernt führt eine Treppe in die einstige Tennishalle des Tuspo. In einer Ecke kehren Arbeiter den letzten Rest schwarzes Gummigranulat zwischen die grünen Plastikhalme des frisch verlegten Kunstrasens. Mit Geld aus dem Verkauf von Genussrechten im Wert von drei Millionen Euro (wir berichteten) will die SpVgg ihr NLZ auch noch an anderer Stelle ausbauen und modernisieren. Das heißt, der Rahmen in dem Hörtnagl wirkt, wird größer und größer.

„Im Fußball wie in der Gesellschaft herrscht eine unheimliche Dynamik“, sagt Hörtnagl ohne Bedauern. Einer wie er lebt nicht in der Vergangenheit. Und doch möchte er gewisse Werte bewahrt wissen, die schon Ernst Happel wichtig waren: „Disziplin, die Fähigkeit, sich zu überwinden, die Hingabe zum Beruf, Teamgeist.“ Happel ließ vor einem Auswärtsspiel mal einen Spieler am Hof stehen, weil derjenige nicht – wie alle anderen – schon Minuten vorm vereinbarten Zeitpunkt im Mannschaftsbus gesessen hatte. Hörtnagl erinnert sich auch gern an 2001/2002, die letzte Saison des später insolventen FC Tirol Innsbruck. Obwohl er und seine Mitspieler sechs Monate kein Gehalt gesehen hatten, wurde die von Jogi Löw trainierte Mannschaft am Ende Meister.

Die Geschichte ist kaum erzählt, da hat auf einem der grünen Besucherstühle des Fußball-Koordinators schon wieder ein anderer Gast Platz genommen. Das Blatt mit dem Willkommens-Herz hängt immer noch da.

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